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Nr.10/2019, S.18

Die Linksfraktion im Hessischen Landtag fordert einen unabhängigen Polizeibeauftragten

„Rechtsradikale und ausländerfeindliche Aussagen und Verhaltensweisen müssen gemeldet werden können“ sagt H. Schaus.

01 Rechte Vorfälle in der hessischen Polizei

Seit Mitte letzten Jahres kommen immer neue rechtsextreme Vorfälle innerhalb der hessischen Polizei an die Öffentlichkeit. Von der Entdeckung einer NS-Devotionaliensammlung eines Polizisten über die Aufdeckung rechter Chatgruppen bis hin zum Verdacht auf Unterstützung von Morddrohungen durch rechte Polizei-Netzwerke reicht das Spektrum. Welche Erklärungen gibt es dafür? Wie kann man dieser erschreckenden Entwicklung wirksam entgegentreten?

Uns interessiert, welche Erklärungen und Forderungen die Linke im Hessischen Landtag dazu hat. Das folgende Interview wurde mit Hermann Schaus geführt. Er ist parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion, Sprecher für Innenpolitik und für Antifaschismus und ehemaliger Obmann im NSU-Untersuchungsausschuss. Das Interview führte Olaf Argens, Schmitten.

Olaf Argens: Seit rund einem Jahr wird in den Medien über immer neue rechtsextremistische Vorfälle in der hessischen Polizei berichtet. Hat sich hier nach deinem Eindruck tatsächlich etwas verändert oder waren rechte Strukturen schon länger vorhanden und nur die öffentliche Wahrnehmung ist eine andere geworden? Gibt es hier eine Entwicklung?

Hermann Schaus: Dass es rechtsextreme Polizeibeamt*innen gibt, wurde schon lange vermutet, allerdings fehlten bisher entsprechende Belege. Immer wieder tauchten in der Öffentlichkeit auch Berichte zu Übergriffen von Polizeibeamten, insbesondere gegen ausländisch aussehende Personen auf, diese wurde allerdings immer als Einzelfälle abgetan.

Erst durch die Ermittlungen zu den Drohfaxen aus dem Darknet, gegen die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz, wurde die Polizei auf eine Gruppe von sechs Polizeibeamtinnen und -beamten aus dem 1. Frankfurter Polizeirevier aufmerksam, die sich gegenseitig über WhatsApp regelmäßig Nazibilder und ausländerfeindliche Sprüche zuschickten. Polizisten aus dieser Gruppe fragten vor den ersten Morddrohungen gegen die Rechtsanwältin und ihre Familie, im Polizeicomputer vertrauliche Daten ab. Lange versuchte das Polizeipräsidium Frankfurt hier intern zu ermitteln und kein öffentliches Aufsehen entstehen zu lassen. Erst als die FAZ darüber berichtete, wurde uns im Landtag die Sache bekannt und es wurde eiligst eine Sonderkommission beim Landeskriminalamt gebildet, die derzeit aus über 60 Personen besteht.

Die weiteren Ermittlungen führten nahezu in allen Polizeipräsidien in Hessen zu weiteren rechtslastigen Polizeibeamten. Derzeit stehen mehr als 60 Polizeibeamte unter Verdacht. Einige von ihnen wurden bereits vom Dienst suspendiert, fünf Wachpolizisten im Angestelltenverhältnis wurden entlassen, sechs Polizeianwärter werden nicht übernommen. Die Ermittlungen gehen weiter und ich bin mir sicher, dass sie zu weiteren Personen führen werden.

O.A.: Worin siehst du die besonderen Gefahren, wenn Rechtsextremisten auch in

Institutionen, Behörden, der Justiz, der Bundeswehr und eben auch der Polizei Strukturen und Netzwerke aufbauen können?

H.S.: Durch die bundesweit bekannten Fälle von Rechtsextremen in der Bundeswehr, denken wir an Franco A., der aus Offenbach stammt, an Nordkreuz oder an größere illegale Waffenlager aus Bundeswehrbeständen, werden die beängstigenden Bedrohungen durch Rechtsextreme in Deutschland greifbar.

Durch die in Hessen bekanntgewordenen Fälle wird zudem die Glaubwürdigkeit der Polizei erheblich geschädigt. Polizeibeamte sind die einzigen, die legal Gewalt anwenden dürfen (Gewaltmonopol). Wenn die Bevölkerung aber nicht mehr auf eine Unabhängigkeit der Polizei vertrauen kann, dann wird auch die Anerkennung anderer staatlicher Institutionen, wie Gerichtsentscheidungen immer öfter in Frage gestellt werden.

Zudem hat sich insbesondere durch die ständige grenzüberschreitende Rhetorik der AfD – z.B. den Nationalsozialismus als „Vogelschiss der Geschichte“ zu verharmlosen – das gesellschaftliche Klima leider nach rechts verschoben. Dem müssen wir alle ständig entgegentreten!

O.A.: Die Opposition im Hessischen Landtag hat die rechtsextremistischen Vorfälle in der Polizei wiederholt aufgegriffen. Die Reaktion des Innenministers Beuth (CDU) war überwiegend abwiegelnd und beschönigend. Ihm wurde mehrfach vorgeworfen, Parlament und Innenausschuss nicht zeitnah zu informieren. Welche Konsequenzen ziehst du daraus?

H.S.: In der Tat hat der Innenminister lange versucht die Angelegenheit zu vertuschen. Erste Erkenntnisse zu der Polizeigruppe im 1. Frankfurter Revier lagen übrigens bereits vor den hessischen Landtagswahlen vor. Wäre also dies alles vor den Wahlen öffentlich geworden, dann hätte es vermutlich zu anderen Wahlergebnissen geführt; immerhin hat die schwarzgrüne Koalition nur 1000 Stimmen mehr erreicht als die gesamte Opposition und nur eine Stimme Mehrheit im Landtag! Auch nach Bekanntwerden hat der Innenminister immer nur das im Innenausschuss bekanntgegeben, was bereits zuvor in der Zeitung stand. So mussten wir ihm in drei stundenlangen Sondersitzungen jede interessante Information einzeln und mühsam „aus der Nase ziehen“. Er beruft sich formal nach wie vor auf die laufenden Ermittlungen, die angeblich gefährdet werden könnten. Wir müssen hier zusammen mit der Öffentlichkeit und den Medien den Druck erhöhen, um an den Kern der Wahrheit zu kommen. Immerhin arbeitet die Sonderkommission beim LKA weiter mit 60 Personen und das muss auch in den künftigen Jahren so bleiben.

O.A.: Die Linke im Landtag hat immer wieder gefordert, dass rechtsextremistische Vorfälle bei der Polizei konsequent disziplinarrechtlich und auch strafrechtlich verfolgt werden. Welche Erfahrungen gibt es damit? Wie lässt sich in diesem Kontext die bei der Polizei existierende „Wohlverhaltenspflicht unter Kameraden“ aufbrechen? Die suspendierten Polizeibeamten aus dem 1. Revier in Frankfurt schweigen nach wie vor.

H.S.: In der Tat gibt es bei der Polizei einen sehr starken internen Zusammenhalt. Man verpfeift keinen Kollegen, selbst wenn man mit seinen Taten oder Aussagen nicht konformgeht. Wir müssen deshalb Möglichkeiten schaffen, dass auch intern, aus den Reihen der Polizei, anonym rechtsradikale oder ausländerfeindliche Aussagen und Verhaltensweisen gemeldet werden können. Dafür fordern wir schon seit Jahren die Einrichtung eines unabhängigen Polizeibeauftragten, der direkt beim Landtag angesiedelt werden muss. An ihn sollen sich auch Bürger*innen direkt wenden können. Diese Stelle muss mit entsprechenden Befugnissen ausgestattet werden. So müssen die Mitarbeiter*innen einen direkten und uneingeschränkten Zugang zu allen Akten der Polizei und zu allen Mitarbeiter*innen erhalten. Darüber hinaus müssen die Möglichkeiten des Disziplinarrechts endlich voll ausgeschöpft werden.

O.A.: Im Zuge der Aufdeckung der jüngsten Skandale wurde gefordert, dass die Auswahl und Ausbildung der Polizeianwärter verbessert werden müsse. Was heißt das genau?

H.S.: Bisher wurde fast ausschließlich bei der Personalauswahl auf das Bestehen der inhaltlichen Leistungstests, der sportlichen und gesundheitlichen Eignung geschaut. Zukünftig muss intensiver als bisher die Vergangenheit der Bewerber*innen überprüft werden. In Zweifelsfällen muss eine Ablehnung erfolgen. Die Einstellungsentscheidungen sind zudem von unabhängigen Gremien zu treffen. Zudem muss im Rahmen der Ausbildung stärker auf politische Bildung gesetzt werden. Entsprechende verpflichtende Fortbildungsangebote sollten darüber hinaus zur Regel werden.

O.A.: In Hessen wurden – wie in anderen Bundesländern auch – die Befugnisse der

Polizei schon im Vorfeld von vermuteten Gefährdungstatbeständen ausgeweitet. Besteht hier nicht die Gefahr, dass rechtsextremistisch eingestellte Polizeibeamte sich das im Dienst zunutze machen (Stichwort: racial profiling), weil das Polizeigesetz hier nicht ausreichend Grenzen zieht?

H.S.: Leider ist es so, dass die Polizeigesetze – auch in Hessen – verschärft wurden. Dies erfolgte stets mit der Begründung, dass die weiteren Grundrechtseinschränkungen zur Vorbeugung vor islamistischen Anschlägen oder wegen der zunehmenden organisierten Bandenkriminalität notwendig seien. Darin sehe ich eine schleichende Aushöhlung des Rechtsstaates. Rechtsextreme Polizeibeamten*innen fühlen sich dadurch bestärkt und bestätigt. Racial profiling findet leider zunehmend statt, wird aber polizeiintern weiter heruntergespielt oder sogar geleugnet. Dieses Bagatellisieren muss durch die Polizeiführungen beendet werden. Zudem müssen die jeweiligen Vorgesetzten stärker als bisher eingreifen, gegensteuern und gegebenenfalls selbst zur Verantwortung gezogen werden.

O.A.: Auf den Listen der AfD kandidieren häufig (ehemalige) Polizeibeamte. Wie agiert die AfD im hessischen Landtag zu dem Thema?

H.S.: Unter den 18 Mitgliedern der AfD-Fraktion befinden sich immerhin drei Polizeibeamte. Zu Beginn der Legislaturperiode bin ich davon ausgegangen, dass die AfD-Mitglieder sich insbesondere im Innenausschuss, mit ihren sicherheitspolitischen Positionen intensiv einbringen. Erstaunlicher Weise ist das aber bisher nicht geschehen. Sie beteiligen sich an keiner Ausschuss-Debatte und kommen stets unvorbereitet in die Ausschusssitzungen. Sie ziehen nur im Plenum ihre große Show, mit ihren ausländerfeindlichen Sprüchen ab. An sachlicher und zielorientierter Parlamentsarbeit sind sie nicht interessiert.

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Rechte Vorfälle in der hessischen Polizei

August 2018: Morddrohungen gegen die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz und deren zweijährige Tochter, Unterschrift „NSU 2.0“. Die RA hatte im NSU-Prozess die Hinterbliebenen des 1. NSU-Opfers, Enver Simsek vertreten.

Erst im Dezember wird bekannt: persönliche Daten von RA Basay-Yildiz wurden aus dem Melderegister abgerufen, eine Spur führt ins 1. Polizeirevier Frankfurt a.M. Eine polizeiinterne Chatgruppe, mit rassistischen und antisemitischen Mails fliegt auf. Innenminister Beuth (CDU) informiert weder Landtag noch die Öffentlichkeit, nicht einmal den Innenausschuss. Ab Mitte Dez. 2018 wird überregional berichtet, nun ermittelt das LKA. Die empörte Opposition im Landtag fühlt sich daran erinnert, dass der damalige hessischen Innenminister Bouffier 2006 auch Erkenntnisse über einen V-Mann am Tatort des Mordes an Halit Yozgat vor dem Landtag zurückgehalten hatte. S. Basay-Yildiz erhält weitere Drohungen auch gegen ihre Angehörigen, die erst im Januar 2019 erneut durch die Medien publik werden. Wieder informiert Beuth weder Landtag noch Innenausschuss, denn „Täterwissen zu verbreiten, schadet den Ermittlungen“. Ermittler finden in Kirtorf „ein museal eingerichtetes Zimmer mit NS-/Wehrmachts-Uniformen, Fahnen, Abzeichen“ bei einem Polizisten. Zwei Beamte sollen dort rechtsextreme Parolen gerufen haben.

Mitte Januar wenden sich 150 Menschen auf einer Kundgebung der DIDF-Jugend vor dem 1. Frankfurter Polizeirevier gegen strukturellen Rassismus in der Polizei. Auch in Dieburg hat eine Polizeibeamtin Informationen aus dem Polizeicomputer an die rechte Gruppe „Aryans“ weitergegeben und wurde im März zur Zahlung von 6750 Euro verurteilt. Im Mai informiert Beuth nun über viele Untersuchungen gegen Rechtsextremisten in der Polizei. Polizisten bekommen nun häufig den Vorwurf zu hören, dass sie wohl vom Nazi-Revier in Frankfurt stammten. Es herrscht Angst vor einem Generalverdacht gegen die Polizei. Sechs Polizisten aus der Chatgruppe vom 1. Revier sind nun suspendiert, am 25. Juni wird einer mit dem Verdacht festgenommen, an den Drohungen gegen Basay-Yildiz beteiligt gewesen zu sein. Weil die Voraussetzungen für einen Haftbefehl jedoch nicht gegeben sind, ist er weiter auf freiem Fuß. S. Basay-Yildiz erhält am 5. Juni, kurz nach der Ermordung des RP Lübcke weitere Drohungen von NSU 2.0, die sich zu diesem Mord bekennen und drohen: „Bald bist du dran!“ …

Lektürehinweis: Das Buch „Extreme Sicherheit – Rechtsradikale in Polizei, Verfassungsschutz, Bundeswehr und Justiz“, Hrsg. Matthias Meisner/Heike Kleffner ist am 18. Sept. 2019 erschienen. RA Seda Basay-Yildiz hat ein Vorwort dazu geschrieben.