Politische Berichte Nr. 4/2020 (PDF)02b
Blick in die Medien

EZB-Urteil: eine Befürchtung bestätigt sich

Johannes Kakoures, München

In der vergangenen Ausgabe der Politischen Berichte hat der Verfasser die Befürchtung geäußert, dass aus der verqueren Anlage des gesamten Prozesses, der auf Grundlage eines zweifelhaften Rechtsschutzbedürfnisses lediglich Feststellungen, statt klar tenorierter konkreter Maßnahmen ausurteilen konnte, gravierende Unklarheiten für den weiteren Verlauf entstehen werden. Diese Befürchtung bestätigt sich. Zumindest insoweit herrscht Eindeutigkeit. Das Verfassungsgericht hatte eine Frist von drei Monaten gesetzt, innerhalb derer die EZB darlegen musste, dass sie die Verhältnismäßigkeit der gegenständlichen Anleihekäufe geprüft hat. Die EZB ist dieser Verpflichtung dadurch nachgekommen, dass sie der Bundesbank (nur diese war unmittelbar aus dem Urteil verpflichtet) ein Konvolut aus Dokumenten übersendeten, im Wesentlichen Protokolle der Sitzungen des EZB-Rates. Die Bundesbank geht nunmehr davon aus, dass damit die Verpflichtungen aus dem Urteil erfüllt sind. Im Einklang mit der Bundesregierung geht sie davon aus, dass einer weiteren Beteiligung an Anleihenkäufen nichts im Wege steht. Die Kläger sehen dies naturgemäß anders. Konkret stören sie sich daran, dass drei der Dokumente als geheimhaltungsbedürftig eingestuft wurden und haben einen Antrag auf Freigabe im Wege einer durch das Verfassungsgericht angeordneten Akteneinsicht eingereicht. Schleierhaft bleibt, was passiert, wenn die Kläger sich auch durch die dann freigegebenen Dokumente nicht von der Verhältnismäßigkeit der Anleihenkäufe überzeugen lassen. Dem Bundesverfassungsgericht unterstehen keine Vollstreckungsorgane. Es kann weder auf Antrag der Kläger und schon gar nicht von sich aus tätig werden. Es kann nur urteilen und das hat es bereits getan. Bislang war dies kein Problem, da die Urteile entweder unmittelbar Gesetzeskraft hatten oder zumindest so eindeutig waren, dass jeder schon in etwa wusste, ob sie erfüllt sind oder nicht… Selbstverständlich können die Kläger gegen neue Anleihenkäufe wieder vor das Bundesverfassungsgericht ziehen und prüfen lassen, ob bei neuen Anleihenkäufen die Maßstäbe und Anforderungen des alten Urteils gewahrt wurden. Dies könnte solange fortgesetzt werden, bis das Gericht eine Begründung als ausreichend ansieht. Das Gericht würde sein Urteil also durch weitere Urteile selbst vollstrecken und wäre hierbei auf immer neue Klagen angewiesen. Am Ende könnte weniger die EZB als die bislang so gut beleumundete deutsche Verfassungsgerichtsbarkeit zutiefst diskreditiert aus diesen wirren Wegen herauskommen. Grund genug, an der Sache dran zu bleiben.