Politische Berichte Nr. 2/2021 (PDF)30
Kalenderblatt

23. März 1948 Sachsen Sächsischer Landtag beschließt erstes Gesetz für die Rechte der sorbischen Minderheit

01 Faksimile: Sächsisches Sorbengesetz vom 23.3.1948

02 KRABAT

Vorbemerkung (E.D). „In Staaten mit ethnischen, religiösen oder sprachlichen Minderheiten darf Angehörigen solcher Minderheiten nicht das Recht vorenthalten werden, gemeinsam mit anderen Angehörigen ihrer Gruppe ihr eigenes kulturelles Leben zu pflegen, ihre eigene Religion zu bekennen und auszuüben oder sich ihrer eigenen Sprache zu bedienen.“ (UNO-Deklaration über die Minderheitenrechte, Konkretisierung des Art. 27 UNO-Paktes über bürgerliche und politische Rechte). Sorben – auf deutschem Staatsgebiet, auch auf tschechischem, polnischem und kroatischem, sind Sorben als Minderheit vorhanden – kämpfen gegen Zwangsassimilation, Umsiedlungspolitik und Unterdrückung von Sprache und Kultur. Für den Autor des folgenden Beitrags ist vor allem die Rolle des linken Parteienspektrums von Bedeutung für die Wahrung und Durchsetzung dieser Rechte und des Schutzes dieser Minderheit.


Heiko Kosel, Malschwitz

Im Kommunistischen Manifest wird zwar als Aufgabe formuliert „in den verschiedenen nationalen Kämpfen der Proletarier die gemeinsamen, von Nationalität unabhängigen Interessen des gesamten Proletariats hervorzuheben und zur Geltung zu bringen“. Aber eine konkrete Befassung mit den „verschiedenen nationalen Kämpfen“ sucht man im gesamten Text – mit Ausnahme der polnischen Frage – vergebens. Wenige Wochen nach dem Erscheinen des Kommunistischen Manifestes beginnt sich Friedrich Engels im Kontext der Revolution von 1848 wiederholt zur Geschichte, Gegenwart und Zukunft der slawischen Völker zu äußern. Er erwähnt dabei auch die „Wenden oder Sorben in der Lausitz“. Ihre Sprache hält er für verlorengegangen. Die Eroberung und Kolonisierung der sorbischen Gebiete durch deutsche Feudalgewalten rechtfertigt er als „Kulturtat im Interesse der Zivilisation“. Von den Sorben selbst spricht er als „ganz isolierten Resten“. Er betrachtet sie wie die anderen slawischen Völker – außer Polen und Russen – als geschichtslos und perspektivlos. Begriffe wie „Völkerruinen“ und „Völkerabfall“ werden in den Abhandlungen gebraucht. Mit dieser desaströsen Ausgangslage in der Nationalitätenfrage konnte es bei der deutschen Linken eigentlich nur noch besser werden – und wurde es ja auch –, auch bezüglich der Sorben. Die Schriften des tschechisch-deutschen Philosophen Karl Kautsky und der polnisch-jüdischen Revolutionärin Rosa Luxemburg vermittelten in der deutschen Sozialdemokratie ein sensibleres und differenziertes Bild der slawischen Völker. Die radikale Eindeutschungspolitik des deutschen Kaiserreiches gegenüber den ethnischen Minderheiten führte dazu, dass führende Vertreter der Sozialdemokratie, wie zum Beispiel August Bebel, eben für diese nationalen Minderheiten Partei ergriffen und deren „Germanisierung“ ablehnten. Und so kam es denn auch, dass sozialdemokratische Zeitungen in der Oberlausitz seit 1910 die Interessen der Sorben verteidigten und sich für deren Recht einsetzten, „sich in Sprache und Eigenart voll und frei auszuleben“. Zur selben Zeit kämpfte Karl Liebknecht im preußischen Abgeordnetenhaus für die Aufhebung des diskriminierenden Sprachenparagrafen im Reichvereinsgesetz von 1908 und hatte dabei ausdrücklich auch die sorbische Sprache im Blick. Karl von Ossietzky brachte 1914 den erreichten positiven Minimalkonsens der deutschen Linken in der Nationalitätenfrage auf den Punkt, als er in der Wochenzeitung „Das freie Volk“ schrieb: „Wenn etwas gegen unsere Machthaber spricht, so ist es ihre Unfähigkeit, Provinzen mit gemischter Bevölkerung vernünftig zu regieren.“*

Im Jahre 1948 stehen die Rechte der Sorben wieder auf der Tagesordnung des sächsischen Landtags. In der Zwischenzeit hatten die Nazis nicht nur sorbische politische Aktivisten verfolgt und zum Teil getötet, die sorbischen Vereine liquidiert, Teile der sorbischen Intelligenz aus der Lausitz zwangsausgesiedelt und die sorbische Sprache bis in den Privatbereich hinein verboten, sondern in Himmlers sogenannten Denkschrift „Einige Gedanken zur Behandlung der Fremdvölkischen im Osten“ für die Sorben das Prinzip Vernichtung durch Arbeit aufgestellt und somit den Genozid als Ziel postuliert sowie bereits mit ersten Vorbereitungen hierzu begonnen. Nach der Zerschlagung des Nazi-Regimes hatten daher viele Sorben kein Vertrauen mehr in eine gedeihliche Perspektive ihres Volkes innerhalb Deutschlands. Die sorbischen Autonomiebestrebungen waren daher bedeutend stärker als nach dem Ersten Weltkrieg und wurden von Polen, der Tschechoslowakei, Jugoslawien und – teilweise – der sowjetischen Besatzungsmacht vor Ort unterstützt. Die Angelegenheit wurde schließlich so brisant, dass sie dem sowjetischen Außenminister Molotow zur Entscheidung vorgelegt wurde, der sie – wohl nach Rücksprache mit Stalin – wie folgt entschied: Keine Abtrennung der Lausitz von der sowjetischen Besatzungszone in Deutschland mit dem Ziel, sie an Polen oder die Tschechoslowakei anzubinden oder einen unabhängigen Staat zu gründen. Stattdessen aber Erlass eines Nationalitätengesetzes für die Sorben, das ihre sprachliche und kulturelle Perspektive sichert. Klare Linie: Am 23. März 1948 beschließt der sächsische Landtag einstimmig das „Gesetz zur Wahrung der Rechte der sorbischen Bevölkerung“.

Die Kürze der acht Paragrafen des sogenannten „Sorbengesetzes“ (siehe Kasten) ist bemerkenswert und noch bemerkenswerter ist, dass ihr Inhalt – im Gegensatz zum weltweiten Trend vieler anderer Rechtsnormen zum Schutz indigener Bevölkerungen – auch real verwirklicht wurde.

Bereits am 3.5.1948 wurde das sorbische Kultur- und Volksbildungsamt geschaffen, ein sorbisches Schulnetz prägte sich aus. Im Oktober 1948 wurde das sorbische Volkstheater als professionelle Bühne eröffnet. Ab November 1948 übertrug Radio Dresden sorbischsprachige Sendungen. Ab Dezember 1948 war die sorbische Buchhandlung in Bautzen wieder geöffnet und im Januar 1949 begann der Unterricht an der sorbischen Volkshochschule in Radibor. Ab 1950 wurden erste durchaus prosorbische Durchführungsbestimmungen zu verschiedenen Paragrafen des „Sorbengesetzes“ erlassen. Am Ende der Verfassungsdebatte zur Gründung der DDR war es durch die konsequenten Forderungen sorbischer und deutscher SED-Mitglieder aus der Lausitz schließlich auch gelungen, den im SED-Entwurf ursprünglich fehlenden Minoritätenschutzartikel aufzunehmen. Artikel 11 der DDR-Verfassung von 1949 lautete in Anklang an ähnliche Regelungen in der Paulskirchenverfassung von 1848 und der Weimarer Reichsverfassung von 1919: „Die fremdsprachigen Volksteile der Republik sind durch Gesetzgebung und Verwaltung in ihrer freien volkstümlichen Entwicklung zu fördern, sie dürfen insbesondere am Gebrauch ihrer Muttersprache im Unterricht, in der inneren Verwaltung und in der Rechtspflege nicht gehindert werden.“

Aktuell steht eine weitere nationalitätenpolitische Herausforderung vor der Mehrheitsgesellschaft und damit auch vor der politischen Linken: Im Jahre 2018 wurde das erste sorbische Parlament – der Serbski Sejm – gewählt. Seine Aufgabe besteht darin auf der Grundlage einer gewaltfreien Nationalitätenpolitik die Mit- und Selbstbestimmungsrechte des sorbischen Volkes im Rahmen einer Kultur- und Bildungsautonomie zeitgemäß weiterzuentwickeln. Bisher haben Orts- und Kreisvorstände der Linken, SPD und von Bündnis 90/Grüne die Wahl des Serbski Sejm unterstützt. Die Landes- und Bundesvorstände dieser Parteien haben diesen neuen Ansatz bisher ignoriert. Das sollte sich ändern.

* Wochenzeitung „Das freie Volk“ vom 4. April 1914. Diese Wochenzeitung der „Demokratischen Vereinigung“ DV wurde 1909 gegründet und fortan von Rudolf Breitscheid herausgegeben. Quelle: „Rechenschaft: Publizistik aus den Jahren 1913-1933 von Carl von Ossietzky; TP Verone Publishing House Ltd.

Abb. (PDF): Verkündung des sächsischen Sorbengesetzes, 1948; Fotograf: Schmidt (Bautzen); Sorbisches Kulturarchiv am Sorbischen Institut

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Faksimile: Sächsisches Sorbengesetz vom 23.3.1948,

Gesetz zur Wahrung der Rechte der sorbischen Bevölkerung. § 1 Die sorbische Bevölkerung genießt in Bezug auf ihre Sprache, kulturelle Betätigung und Entwicklung gesetzlichen Schutz und staatliche Förderung. § 2 Für sorbische Kinder sind Grund- und weiterbildende Schulen mit sorbischer Unterrichtssprache einzurichten, in denen auch deutscher Sprachunterricht zu erteilen ist. § 3 Bei Behörden und Verwaltungen in den sorbisch-deutschen Gebieten ist neben der deutschen Sprache auch die sorbische Sprache zuzulassen. § 4 In den sorbisch-deutschen Gebieten sind der zahlenmäßigen Stärke der sorbischen Bevölkerung entsprechend antifaschistisch-demokratische Sorben zur Verwaltung heranzuziehen. § 5 (1) Zur Lenkung und Förderung des sorbischen Kulturlebens wird ein sorbisches Kultur- und Volksbildungsamt mit dem Sitz in Bautzen errichtet, das dem Ministerium für Volksbildung untersteht. (2) Die personelle Besetzung erfolgt auf Vorschlag der zugelassenen antifaschistischen sorbischen Organisation. (3) Für den Wiederaufbau des sorbischen Kulturlebens und seine Weiterentwicklung sind finanzielle Mittel aus allgemeinen Staatsmitteln bereitzustellen. § 6 Die Behörden und Verwaltungen in den gemischtsprachigen Gebieten haben die Pflicht, die sorbischen Kulturinteressen in jeder Weise zu fördern. § 7 Ausführungsbestimmungen erlassen das Ministerium des Innern und das Ministerium für Volksbildung, § 8 Das Gesetz tritt mit seiner Verkündigung in Kraft.

Abb. (PDF): Repro aus: Nowa doba 2 (24.3.1948) 23, S. 1, dort auch in deutscher Sprache. Die deutsche Fassung aus Platzgründen hier als Anmerkung wiedergegeben)

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KRABAT

Eva Detscher, Karlsruhe

Krabat, als Titelfigur von Ottfried Preußlers Jugendbuch* bekannt, ist ein Waisenkind, er stammt aus der Lausitz, ist Sorbe. Seine Lehre in einer Mühle gefällt ihm, auch die Schwarze Magie, die der Lehrherr ausübt, fasziniert ihn anfangs. Als er jedoch verstanden hat, dass der Meister Menschenopfer bringt – nach drei Jahren stirbt unter seltsamen Umständen jeweils der Geselle –, sucht er einen Ausweg und findet ihn: Die Macht des Müllers kann durch die Liebe eines Mädchens zu einem Müllerburschen gebrochen werden. Und so geschieht es. Am Ende des dritten Lehrjahres stellt der Meister Krabat vor die Wahl, ob er die Nachfolge als Meister antreten möchte. Krabat lehnt entschieden ab, der Meister beschließt ihn zu opfern. In der Silvesternacht erscheint jedoch das Mädchen, das Krabat liebt, und fordert vom Meister Krabats Freiheit. Sie besteht eine Probe, und nun sind Krabat und seine Mitgesellen frei, haben aber keine magischen Fähigkeiten mehr. Der Meister stirbt in der Silvesternacht, die Mühle geht in Flammen auf. Preußlers Krabat geht auf die sorbische Legende eines Krabat zurück – eine Sammlung von Episoden und Geschichten, Sagen und Erzählungen, die in dieser Figur zusammengeführt werden. „Der faktisch belastbare Hintergrund aller Sagen und Legenden um Krabat ist die Tatsache, dass es einen in den Türkenkriegen kampferprobten Elitesoldaten in der kurfürstlichen Kroaten-Garde gab, einen Reiterobristen mit dem eingedeutschten Namen Johann von Schadowitz. Unter vier sächsischen Kurfürsten diente dieser Kroate – verballhornt zu Krabat – als Berater und Bodyguard.“

(Zitat nach mdr: „Wer war Krabat – Mensch und Mythos“ https://www.mdr.de/tv/programm/sendung911716_ipgctx-false_zc-b528bc81.html) * Siehe auch https://de.wikipedia.org/wiki/Krabat_(Roman)

Viele Erzählungen, die sich um die Befreiung vom Joch der Knechtschaft, anderer Unterdrückung und auch magischer Macht drehen, kommen in der Gestalt des Krabat und den Erzählungen um ihn herum wieder zum Vorschein. Seit die sorbische Sprache unter dem Schutz von Rechtssicherheit steht, entstanden neue Romane um Krabat herum, in sorbischer und in deutscher Sprache. Einer dieser Autoren ist Jurij Brězan (geb. 1916, gest. 2006). Der Roman „Krabat oder Die Bewahrung der Welt“ von 1993 ist die Fortsetzung des Romans „Krabat oder Die Verwandlung der Welt“. Krabat mit seinem Wanderstab, der einmal ein Wunderstab gewesen war, und der Müller mit der Trompete machen sich erneut auf, das Land Glücksland zu suchen. Es liegt hinter den Bergen der Hoffnung und jenseits der Wüste Fata Morgana. Was sie dabei vorfinden, macht Krabat „krank an der Seele“. Sein Wanderstab verlernt das Wundern und Jakob Kuschks Trompete vergisst die Fröhlichkeit. Vor dem Hintergrund ökologischer Zerstörung der Umwelt und wirtschaftlicher Machtinteressen entspinnt sich eine philosophische Geschichte, die den Umbruch der Gesellschaft in der Wendezeit und die „Gebrechen der Marktwirtschaft“ widerspiegelt.“ (Kurzbeschreibung des Dowomina-Verlags). Auch wenn die Lektüre anfangs verwirrend ist (vor allem, wenn man die Vorgeschichte nicht gelesen hat), entwickelt sich eine Spannung darauf, was noch alles kommt und fügen sich am Ende die Erzählstränge zu einem Ganzen.