Aus Politische Berichte Nr. 11/2018, S.22 InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

Kalenderblatt 20.Februar 1832 England

01 1832 England: Erste öffentliche Waschküchen und Bäder- Bill Lawrence, Newcastle*, * Freie Übersetzung und Anordnung der Teilprojekte: Eva Detscher, Karlsruhe

02 Hinweise für Literatur zum Thema:

03 „Kitty Wilkinson commemorative bench Everton Park“

04 Eine irirsche Migrantin

05 Gemeinschaftswäscherei ehrt die „Heilige der Slums“

01

1832 England: Erste öffentliche Waschküchen und Bäder

Müll, Dreck, Exkremente auf Schritt und Tritt, Fehlen von Möglichkeiten der Körperpflege, Seuchen – in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wuchs die Sanitary Movement. Sie ist verknüpft mit der Entwicklung der Public Health durch Straßenhygiene, Kanalisation, Wasserklosetts und Frischwasserversorgung. Edwin Chadwicks Bericht über die sanitären Verhältnisse der arbeitenden Bevölkerung von 1842 gab den Anstoß für den Public Health of Towns Act (Gesetz über die öffentliche Gesundheit in den Städten) und den Public Health Act (Gesetz über die öffentliche Gesundheit, 1848) sowie die Gründung des Board of Health – Sicherung der Hygiene auf lokaler Ebene.

(Zitiert nach Wikipedia und „A History of public Health“).

Bill Lawrence, Newcastle*

1832 tobte die Cholera auf der ganzen Welt, als sie auch in Liverpool ausbrach. In diesem Jahr wurde eine irische Einwandererfrau, die „Frau eines Werktätigen“, Catherine Kitty Wilkinson, zur „Heiligen der Slums“.

Kitty hatte den einzigen Waschboiler in ihrer Nachbarschaft, also lud sie diejenigen mit infizierter Kleidung oder Wäsche ein, ihn zu benutzen, was viele Leben rettete. Dies war die erste öffentliche Waschanlage der Stadt. Zehn Jahre später, mit öffentlichen Mitteln, führte ihre Arbeit zur Eröffnung einer kombinierten Waschküche und eines öffentlichen Bades, des ersten in Großbritannien.

Heute, mehr als 175 Jahre später, hat eine Gruppe von Frauen in der Stadt einen kooperativen Waschsalon als Hommage an Kitty eingerichtet. „Kitty‘s Launderette“ wird das erste nichtkommerzielle Waschhaus in Liverpool seit vielen Jahrzehnten sein und eine der am stärksten benachteiligten Gemeinden Europas – Everton – versorgen.

Pandemie im 19. Jahrhundert

Eine Cholera-Epidemie hatte sich 1826 von Bengalen, Indien, herkommend, über Persien (Iran), Afghanistan auf den alten Karawanenrouten nach Südrussland und bis 1830 über ganz Osteuropa ausgebreitet. Von Polen aus erreichte sie Preußen im August 1831, kam dann bis nach Berlin und zu den Ostseehäfen.

Passagiere, die von der Ostsee nach Sunderland im Nordosten Englands kamen, trugen die Krankheit im September 1831 nach Großbritannien, von wo aus sie sich weit und schnell ausbreitete, und ein Jahr später war sie in 431 Städten aufgetreten. 82.528 Menschen waren davon betroffen, 31.376 Briten fielen der Seuche zum Opfer.

Liverpool war Anfang der 1830er Jahre ein wichtiger Hafen. In Irland herrschte große Hungersnot, und viele Iren kam über Liverpool auf der Suche nach Arbeit in die Stadt. In den überfüllten Slums, bei schlechten sanitären Einrichtungen und mangelnder Gemeinschaftshygiene war die Ausbreitung der Krankheit nur eine Frage der Zeit.

Der erste Cholera-Fall der Stadt wurde im Mai 1832 bestätigt. Die Behörden mussten Krankenhäuser einrichten, in denen die Opfer kostenlos behandelt werden konnten, aber die Ärzte hatten keine Ahnung von der Ursache und einer Heilung.

Zudem bestand in der Bevölkerung das Misstrauen, dass Ärzte die Betroffenen absichtlich sterben ließen, um menschliche Körper für die Präparation in ihren anatomischen Labors zu erhalten. Unruhen brachen aus, Ärzte und freiwillige Krankenschwestern flohen vor dem Mob, die Polizeikräfte wurden aufgestockt … Karren, die Opfer ins Krankenhaus brachten, wurden zerstört und Ärzte daran gehindert, die Häuser der Cholera-Kranken zu betreten. Die Unruhen in der Stadt dauerten fast zwei Wochen lang.

Kampagne

Es war bekannt, dass Auskochen von Kleidung, Bettwäsche und anderer Haushaltswäsche mit Kalkchlorid die Cholerabakterien tötete. Kitty ergriff die Initiative und bot ihren Nachbarn an, ihren Boiler, ihr Waschhaus und ihren Hof zum Waschen und Trocknen ihrer Kleidung zu einem Preis von einem Penny pro Woche zu nutzen.

Der Erfolg machte bald von sich reden, und die Behörden unterstützten ihre Kampagnenarbeit. Außerdem half wieder die Familie Rathbone (s. Kasten „Eine irische Migrantin“). Überzeugt von der Unverzichtbarkeit von Sauberkeit für die Bekämpfung von Krankheiten, drängte sie auch auf öffentliche Bäder für Arme.

1842 wurde in Liverpool die erste öffentliche Badeanstalt und Waschküche in der Frederick Street eröffnet – die erste in Großbritannien. 1846 wurden die Wilkinsons mit der Führung dieser Badeanstalten betraut. Öffentliche Waschküchen wurden zu einer wichtigen Leistung der Daseinsvorsorge für Arbeiterfamilien. Sie ermöglichten nicht nur sauberere Lebensverhältnisse, sondern stellten auch einen Ort dar, an dem sich Frauen während des Wäschewaschens treffen, ihre Probleme und Sorgen teilen und Gemeinschaftsgeist entwickeln konnten.

Als Anerkennung erhielt Kitty Wilkinson eine silberne Teekanne von Königin Victoria für ihre Leistung als die „Heilige der Slums“.

* Freie Übersetzung und Anordnung der Teilprojekte: Eva Detscher, Karlsruhe

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Hinweise für Literatur zum Thema: Kelly, Michael (2000) The Life of Kitty Wilkinson. http://www.michaelkelly.org.uk/page2.php • Kitty Wilkinson Launderette (the new project) http://kittyslaunderette.org.uk/ • Pidd, Helen „The Observer“ (newspaper) 6th June 2018 „Liverpool community launderette honours the Saint of the Slums“, http://www.theguardian.com/uk-news-/2018/Jun/16/kitty-wilkinson

03

„Kitty Wilkinson commemorative bench Everton Park“

… eine Sitzbank im Everton-Park zeigt drei „heldenhafte“ Bilder: Kitty (hier abfotografiert von der Bank); Molly Bushell, die berühmt für ihre Süßigkeiten „toffees“ ist und dem Premiere League Fußballclub Everton FC seinen Spitznamen The Toffees gab; als drittes ein Liverpooler Dockarbeiter.

Abb, Bildquelle: Eigene Aufnahme B. Lawrence

04

Eine irirsche Migrantin

Wilkinson wurde 1786 in der Grafschaft Londonderry, Irland, als Catherine Seaward geboren. Sie kam mit neun Jahren gemeinsam mit ihren Eltern nach Liverpool. Vater und Schwester ertranken, als ihr Schiff auf Grund lief.

Im Alter von 12 Jahren wurde sie Lehrling in einer Baumwollfabrik in der Nähe von Preston, Lancashire. Acht Jahre später, nachdem sie ihren Vertrag abgearbeitet hatte, kehrte sie nach Liverpool zurück, wo sie einen französischen Seemann, Emanual Demontee, heiratete.

Sie hatte zwei Kinder und verlor dann ihren Mann, der auf See ertrank. Sie verdingte sich als Hausmädchen bei Familie Rathbone, Verwandte der Fabrikbesitzer, in deren Fabrik sie als Jugendliche gearbeitet hatte.

Diese Familie überließ ihr eine Wäschemangel, mit der sie sich als Waschfrau betätigte.

1823 heiratete Kitty Tom Wilkinson, einen Arbeitskollegen der Baumwollspinnerei. Er war ebenfalls nach Liverpool gezogen, um in einem Lagerhaus zu arbeiten, das ebenfalls mit Familie Rathbone verbunden war.

05

Gemeinschaftswäscherei ehrt die „Heilige der Slums“

Die Tage der öffentlichen Waschküchen und Bäder mögen vorbei sein – die letzten in Liverpool wurden 1995 geschlossen – aber heute gibt es wieder das Bedürfnis danach. Das Erbe von Kitty Wilkinson lebt im neuen „Kitty‘s Launderette“ weiter:

2010 ehrte Liverpool Kitty mit einer Statue in St. George‘s Hall – die einzige Frau unter den „worthies“, den Wertvollen der Stadt. Die Ärmel hochgerollt, bereit, ihre Hände schmutzig zu machen – während die Männer um sie herum in ihrem Pomp gefangen sind, als ob sie bereit wären, zu predigen oder eine Rede zu halten.

Jetzt soll Kitty verewigt werden, nicht in Stein, sondern in Seifenlauge, mit der Eröffnung eines gemeinnützigen Waschsalons auf ihren Namen.

„Die von einer Genossenschaft junger Aktivisten gegründete „Kitty‘s Launderette“ wird Familien in einer der am stärksten benachteiligten Gemeinden Europas in einer Innenstadtregion helfen, in der fast die Hälfte der Kinder in Armut aufwächst und die durchschnittliche Familie von weniger als 20 000 Euro pro Jahr lebt. Viele der Familien können sich keine Waschmaschinen leisten und müssen sich zwischen einer gemieteten Haushaltsgerätebude oder einem automatisierten Waschsalon in der Hauptstraße entscheiden. Eine Untersuchung der Regierungsbehörde Financial Conduct Authority ergab, dass Kunden der Rent-to-Own-Stores mehr als 1.700 Euro für Geräte zahlen, die anderswo für weniger als 350 Euro verkauft werden.

Die in gewisser Weise genossenschaftliche Unternehmensgruppe sagt: „Diese Unternehmen machen das Leben für so viele Menschen unerträglich. Es ist eine der verborgenen Folgen der Austerität, sie fordert ihren Tribut von den armen Familien.“ Der neue Waschsalon will seine Preise niedriger als üblich halten, alle Gewinne werden in die Gemeinschaft zurückgeführt. Außerdem will die Genossenschaft den Waschsalon zu einem „warmen und einladenden Ort für Kunst und Gesellschaft“ machen und plant Ausstellungen, Handwerks- und Reparaturvereine, sozialhistorische Projekte und Filmabende, bei denen die Filme so lange wie ein Wasch- und Trockenzyklus dauern. Die Menschen sollen sich hier aufhalten – ein kleiner Barbereich mit Getränken und Erfrischungen, Internetzugang und erschwinglichen Computer- und Druckeinrichtungen soll ihnen Partizipation ermöglichen.

Abb (PDF): „Kitty‘s Launderette“, Genossenschaft junger Aktivisten. Fotos vom Tag der Offenen Tür mit der Nachbarschaft, als gerade die Räumlichkeiten für das Projekt gesichert waren. Internetauftritt der Initiative: https://www.kickstarter.com/projects/72049281/community-launderette-in-liverpool.

Über die Webseite besteht auch die Möglichkeit, eine Vielzahl soziale und kultureller Projekte zu unterstützen. Ein Beispiel siehe Abb. rechts.