Aus Politische Berichte Nr. 04/2019, S.22 • InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

01 Gründung der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO)

02 Das Arbeitnehmerbüro bei der ILO

03 Gegenseitige Stärkung: ILO und UNO

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Gründung der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO)

Von Rolf Gehring, Brüssel

Mit der Manufaktur und der folgenden Industrialisierung tritt auch die organisierte Arbeiterbewegung auf den Plan. Früh findet in den Konflikten zwischen Lohnarbeit und Kapital eine Fokussierung auf die rechtliche Ausgestaltung der Arbeitsbeziehungen und der Arbeitsbedingungen statt, die im bürgerlichen Recht nicht vorgesehen war. Gleichzeit entwickelt sich eine Kritik an den übelsten Formen der Ausbeutung, der Kinderarbeit oder der Länge des Arbeitstages.

Zwischen 1869 und 1874 werden in mehr als 1 000 Streiks im Kaiserreich höhere Löhne, Überstundenzuschläge, kürzere Arbeitszeiten, die Abschaffung autokratischer Fabrikordnungen und eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen gefordert. 1873 wird dann der erste Tarifvertrag für das Buchdruckergewerbe abgeschlossen – ein neues Rechtsinstrument geschaffen. Bereits die Gründung der Internationalen Arbeiterassoziation 1866 war der Versuch, die Arbeitskraft zu schützen und ihre Emanzipation zu erlangen, und zwar als internationale Aufgabe. Die Kritik der tatsächlichen Arbeitsbedingungen war auch hier ein zentrales Thema.

Der Widerstand gegen elendste Arbeitsbedingungen in der Hochindustrialisierung und einer sich verschärfenden Weltmarktkonkurrenz und ihrer gesellschaftlichen Folgen wird auch militanter, vor allem aber offensichtlich zu einer Sprengkraft für die soziale Ordnung. Vor diesem Hintergrund findet auf kaiserlichen Erlass 1890 eine internationale Arbeitsschutzkonferenz in Berlin statt, auf der Fragen der Arbeits- und Sozialordnung als Gegenstand der internationalen Beziehungen thematisiert wurde. Kurz darauf wurde noch im gleichen Jahr die Internationale Vereinigung für gesetzlichen Arbeitsschutz mit Sitz in Basel gegründet. Sie kann als direkter Vorläufer der ILO gesehen werden. Die Vereinigung suchte die Kooperation mit Regierungen und der Wissenschaft. Ihre Aktivitäten führten zur Gründung der Internationalen Vereinigung für gesetzlichen Arbeitsschutz, deren Aktivitäten 1905 in der ersten internationalen Konvention mündeten – das Verbot der Frauennachtarbeit und das Verbot von weißem Phosphor in der Zündholzfertigung.

Der Große Krieg setzte eine Zäsur. Imperialistischer Krieg, Kolonialismus aber auch der Internationalismus der sozialistischen Bewegung und anderer Strömungen wurden wichtige Momente für ein weiter wachsendes Bemühungen internationale Organisationen zu formieren. Die Friedenskonferenzen in den Jahrzehnten vor dem großen Krieg, ist ein weiterer Strang, der dann in der Gründung der ILO mündet.

Die ILO wird auf der Versailler Friedenskonferenz als ständige Einrichtung des Völkerbundes mit dem ausdrücklichen Ziel der Sicherung des Weltfriedens am 11. April 1919 gegründet. Soziale Gerechtigkeit wird als eine Voraussetzung eines anhaltenden Friedens gedeutet und die Arbeitskraft soll ausdrücklich nicht nur als Ware, sondern mit Rechten ausgestattet angesehen werden. Die ILO war die erste internationale Organisation, die sich gegen das Nazi-Regime positionierte. Nach der Unterdrückung der Gewerkschaften durch das faschistische Regime, lehnte die Arbeitnehmergruppe die Vertreter der Deutschen Arbeiterfront als Arbeitnehmervertretung des Deutschen Reiches ab.

Von zentraler Bedeutung für die ILO ist die Konferenz von Philadelphia (1944), auf der Ziele und Zweck der internationalen Organisation nach dem Zweiten Weltkrieg neu bestimmt wurden. Die Erklärung von Philadelphia wurde Bestandteil der ILO-Verfassung. Sie verankert den Grundsatz, dass Armut, wo immer sie besteht, eine Bedrohung des Wohlstandes aller ist. Die Erklärung verpflichtet die ILO, sich für die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen einzusetzen. Jetzt hieß es ausdrücklich: „Arbeit ist keine Ware“. Als Zielsetzung der ILO wurden die Freiheit der Meinungsäußerung und die Vereinigungsfreiheit wie auch eine stabile internationale Finanzarchitektur als wesentliche Voraussetzung für nachhaltigen Frieden benannt. 1946 wird die ILO die erste UN-Unterorganisation.

Die Organisation hatte bei ihrer Gründung 45 Mitglieder, heute sind es 183. Als Organe der Organisation wurden eingerichtet:

– Die Internationale Arbeitskonferenz, die sich jährlich trifft.

– Der Verwaltungsrat mit 56 Mitgliedern (28 staatliche Vertreter, 14 Arbeitnehmervertreter und 14 Arbeitgebervertreter –Stand heute).

– Das Internationale Arbeitsamt ist das in Genf angesiedelte Sekretariat mit 40 Zweigstellen in verschiedenen Ländern.

Die internationale Arbeitskonferenz beschließt Übereinkommen und Empfehlungen, die sich jeweils mit konkreten Gegenständen der Arbeit und der Arbeitsbeziehungen befassen. Bis heute wurde 189 Übereinkommen und 205 Empfehlungen durch die ILO verabschiedet.

Durch Mitgliedsstaaten ratifizierte Übereinkommen werden in den jeweiligen Ländern Rechtsnormen. Anders als innerstaatliches Recht können diese völkerrechtlichen Normen nicht von einer zentralen Gewalt durchgesetzt werden, sie sind von der Anerkennung durch die Vertragspartner abhängig. Es hat sich in diesem Zusammenhang ein System der Beschwerde- und Klageverfahren herausgebildet, einschließlich eines Sonderverfahrens für die Verletzung der Vereinigungsfreiheit (1951 gegründet); gewissermaßen frühe Formen der Mediation und Streitschlichtung.

Kaum zu hoch dürfte die Funktion der Begegnung sein, die sich den Beteiligten bietet. Vertreter nicht nur der unterschiedlichen Gruppen, vielmehr noch der Menschen aus unterschiedlichsten Teilen der Welt mit ihren kulturellen, technischen und arbeitsorganisatorischen Unterschieden, Unterschieden in der Sicherheitskultur, den sozialen Strukturen usf. treten hier in Austausch und Kooperation.

Die tripartistische Struktur ist eine wichtige Voraussetzung der Akzeptanz von getroffenen Vereinbarungen. Sie ist vor allem aber auch Voraussetzung für das öffentliche Ansehen und die gesellschaftliche Akzeptanz, ohne die die ILO gewissermaßen eine bürokratische Instanz bleiben würde. Die tripartistische Struktur und die Formen der politischen Aushandlungsprozesse haben nicht zuletzt die Rolle und Funktion der Sozialpartner in den EU-Verträgen stark beeinflusst.

Die ILO vertritt auch heute noch ihren Gründungsimpuls der Verbindung von Arbeitnehmerrechten, sozialer Entwicklung und Frieden, auch in unwirtlichen Zeiten, in denen internationale Strukturen und Aushandlungsprozesse durch Nationalismus und Protektionismus infrage gestellt werden. Zuletzt (2017) hatte sie die Empfehlungen für Wanderarbeiter revidiert und auch eine Empfehlung (Nr. 205) zu Krisen und Migration verabschiedet* und bereits 2013 (Konvention 189) eine für die Arbeit von Hausangestellten verabschiedet. Die ILO-Kernarbeitsnormen werden heute als universelle Menschenrechte anerkannt.

Inhaltlich hat die Organisation auch Marken für Mindeststandards in Bereich der sozialen Sicherung gesetzt. Von 1952 bis 1982 wurden sechs relevante Übereinkommen in diesem Bereich verabschiedet, die unter anderem Ziele für die Sozialpolitik formulieren und Standards für Krankheit, Alter, Mindestlöhne, die Versorgung von Migranten und Flüchtlingen usf. formulieren.

Strukturelle Änderungen in den Beschäftigungsformen à la Plattformökonomie deuten heute starke Verwerfungen in den tradierten Beschäftigungsformen und -verhältnissen an, die an die Frühindustrialisierung erinnern. Die ILO hat allerdings alle Instrumente schon geschaffen und erprobt, um auch weiterhin Impulse für die soziale Ausgestaltung dieser Entwicklungen zu geben.

* Siehe hierzu auch PB 8/2017 – ILO-Empfehlungen zu Krisen und Migration.

Quellen:

DGB: Geschichte der Internationalen Arbeitsorganisation – https://www.dgb.de/themen/++co++848d2e14-8acb-11e0-5636-00188b4dc422

Klaus Pickshaus: 100 Jahre ILO: Kampf um globale Arbeits- und Sozialstandards, in Sozialismus 4-2019

Ralf Pieper: Die „Erklärung von Philadelphia“ (1944) – Vision für eine globale Arbeits- und Sozialordnung am Ausgang des 2. Weltkriegs

Abb. (PDF): Der Generaldirektor der ILO, Edward Phelan (links) und der Generaldirektor der Vereinten Nationen, Trygve Lie, unterzeichnen im Dezember 1946 das Abkommen, das die ILO zu einer eigenständigen Agentur der UN macht. https://www.ilo.org/global/about-the-ilo/history/lang--en/index.htm

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Das Arbeitnehmerbüro bei der ILO

Das Arbeitnehmerbüro bei der ILO (ACTRAV) fungiert als Bindeglied zwischen dem Internationalen Arbeitsamt und den Gewerkschaften. ACTRAV arbeitet dabei mit dem Sekretariat der Arbeitnehmergruppe des ILO-Verwaltungsrats zusammen.

Aufgabe des Büros ist es, die Arbeitnehmerorganisationen bei der Verteidigung und Förderung der Arbeitnehmerrechte zu unterstützen. Dazu werden eigene Aktionsprogramme aufgelegt und Projekte durchgeführt. Ein wesentlicher Schwerpunkt des Büros sind Bildungsmaßnahmen. Die globalen Programme in diesem Bereich richten sich an Interessenten aus der Arbeiterbewegung und den sozialen Bewegungen. Ein Teil der Bildungsmaßnahmen findet im Internationalen Trainingszentrums der ILO in Turin statt. Eine zentrale Zielstellung der Bildungsaktivitäten ist es, die Akteure auszubilden, um sich wirksamer am sozialen Dialog und der öffentlichen Debatte zu beteiligen und Umsetzung der Politik beteiligen zu können. Insbesondere bieten die Kurse auch eine Möglichkeit der Begegnung von unterschiedlichen Kulturen, gewerkschaftlichen und betrieblichen Bedingungen und Praktiken.

Die Global Labour University

ACTRAV hat auch eine netzwerkartige Kooperation mit dem universitären Sektor aufgebaut, die Global Labour University (GLU). Die Global Labour University selbst ist ebenfalls ein Netzwerk von Universitäten, internationalen und nationalen Gewerkschaften, Organisationen der Zivilgesellschaft und der ILO, das Gewerkschaftsmitglieder, Arbeitnehmeraktivisten und Experten für Postgraduierten-Qualifizierungsprogramme unterstützt. Die GLU bietet in diesem Zusammenhang auch einen sechsmonatigen Ausbildungskurs an.

Schwerpunkte des Global Labor University Netzwerkes:

• Globalisierung und Arbeit

• Arbeit und Entwicklung, Wirtschaftspolitik, Globalisierung und Arbeit

• Arbeitspolitik und Globalisierung

• Sozialwirtschaft und Arbeit

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Gegenseitige Stärkung: ILO und UNO

Eva Detscher, Karlsruhe

Die ILO wird heute als „Sonderorganisation der UN“ beschrieben, das Logo der ILO weist auch direkt auf die Einbindung in das völkerverbindende Projekt UNO hin.

Die ILO wurde wie auch der Völkerbund auf der Friedenskonferenz 1919 gegründet, die UNO 1945. 2011 wurden die acht Kernarbeitsnormen der ILO im Rahmen der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrecht völkerrechtlich den „klassischen“ Menschenrechten gleichgestellt.

Würdiges Leben benötigt die Anerkennung und Sicherung von Grundrechten, Bürgerrechten und eben auch normativen Vorgaben für das Arbeitsleben.

Ein langer und mühsamer Weg, den die ILO gegangen ist und geht, und in vielen Fragen ist sie Vorreiter und Maßstab für EU und die UN.

ILO Kernarbeitsnormen

- Vereinigungsfreiheit und Schutz des Vereinigungsrechts (1948)

- Vereinigungsrecht und Recht zu Kollektivverhandlungen (1949)

- Beseitigung von Zwangsarbeit (1930) und Protokoll dazu (2014)

- Abschaffung der Zwangsarbeit (1957)

- Gleichheit des Entgelts (1951)

- Anti-Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf (1958)

- Mindestalter (1973)

- Verbot und unverzügliche Maßnahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit (1999)

Abb. (PDF): Logo der ILO