PB
PDF

PB
ARCHIV

Nr.1/2020, S.20

Magazin „Compact“ – Erben der „Konservativen Revolution“ Rechte Provokationen – demokratische Antworten.Redaktionsnotizen. Die „Konservative Revolution“: Keine Sonderform des Konservatismus in der Weimarer Republik, sondern ideologische und politische Vorbereitung zum Nationalsozialismus

Magazin „Compact“ – Erben der „Konservativen Revolution“

… und sie wirken. Die thüringischen Ereignisse sind Beispiel für das Fortschreiten des Versuchs, das „Soziale mit dem Nationalen zu versöhnen“ (stellv. CDU-Fraktionschef Sachsen-Anhalt). Das Magazin „Compact“ gilt unter Beobachtern als „Querfront“-Publikation. Sein Mitbegründer 2010 und Chefredakteur Jürgen Elsässer, Anfang der 80er Jahre Mitglied im Kommunistischen Bund, warf Ende der 1990er der Linken vor, sie hätte Probleme „das Sozialistische im Faschismus“ zu erkennen. Seit 2013 wirbt „Compact“ auf seinem Internetauftritt mit dem AfD-Slogan „Mut zur Wahrheit“.

Michael Juretzek, Bremen

In einem Artikel „Die neuen 20er Jahre“ – einem Versuch von „Compact“, die heutige Situation mit der Weimarer Republik zu vergleichen – überschreibt Autor Jürgen Elsässer einen Abschnitt „Die Konservative Revolution“. In ihm ruft er einen ihrer wirkmächtigsten Vertreter als Zeuge auf, Carl Schmitt, Mitglied der NSDAP von 1933 bis 1945:

„Auch was der Staatsrechtler Carl Schmitt 1923 über ,Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus‘ schrieb, liest sich verzweifelt aktuell: ,In manchen Staaten hat es der Parlamentarismus schon dahin gebracht, dass sich alle öffentlichen Angelegenheiten in Beute- und Kompromissobjekte von Parteien und Gefolgschaften verwandeln(…)‘.“ Demgegenüber bewegten sich die Intellektuellen der Konservativen Revolution „zwischen einer Volksdemokratie auf plebiszitärer Grundlage und einer modifizierten Neuauflage der Monarchie. Sie betonten den Antiliberalismus stärker als den Antimarxismus, plädierten für einen ,preußischen Sozialismus‘ (Oswald Spengler) und fühlten sich Russland trotz dessen bolschewistischem Irrweg verbundener als den Westmächten.“ Doch ihr Versuch, unter Führung von Kurt von Schleicher, 1932 eine ,Querfront gegen Hitler‘ aus Militär, Teilen der sozialdemokratischen Gewerkschaften und dem nationalrevolutionären Strasser-Flügel der NSDAP zu bilden, scheiterte. „Die Eliten stürzten Schleicher…“ (alle Zitate „Compact“ 1/2020, S. 11, 12).

Tenor: Heute wie damals führen „die Eliten“ das Volk in den Abgrund, ignorieren und unterdrücken bestehende Alternativen.

Was hier als Alternative zu Hitler aufgebaut wird, war eine Strategie, emanzipatorisch orientierte Intellektuelle und Teile der Arbeiterbewegung zum Nationalsozialismus herüberzuziehen oder sie ideologisch zu lähmen. Für den Spagat zwischen Volksdemokratie und Monarchie, zwischen preussischem Militärstaat und Sozialismus benutzte die Konservative Revolution den Begriff „Querfront“. In der Querfront verbinden sich Nationalismus und Sozialismus, versöhnen sich nationale und soziale Frage.

Querfront – Primat des Nationalen

Wer in diesem unvereinbar Vereinten das Sagen hat, wer in diesem Denkmodell die Meinungsführerschaft hat, wird deutlich in einer Rede des französischen Journalisten Eric Zemmour, laut „Compact“ „neuer Stichwortgeber der französischen Rechten“ (1/2020, S.39), gehalten im September 2019 bei der Convention de la Droite in Paris:

„Ich sage nicht, dass die Ökonomie nicht existiert, dass es keine Deindustrialisierung gibt, dass es für viele am Monatsende finanziell eng wird, dass es keine kleinen Renten gibt, dass es keine Arbeitsgesetzgebung gibt, dass es keine Standortverlagerung gibt, dass es keine Mängel des Euro gibt. Ich stelle nur fest, dass die Frage der Identität des französischen Volkes vor allem anderen steht…Es geht um Leben und Tod…Die Frage der Identität ist auch die verbindende, weil sie die Arbeiterklasse und die Mittelschicht und sogar jenen Teil der Bourgoisie, der sich noch seinem Land verbunden fühlt, zusammenbringt.“ („Compact“ 1/2020, S.42)

Verbindung durch Unterwerfung und Degradierung der sozialen, emanzipatorischen Interessen zwecks Verteidigung der nationalen Identität.

Souveränität – Ausnahmezustand

In der Erstausgabe der „Compact“ 2010 formulierte Elsässer als Aufgabe des Magazins, man wolle „eine ,Volksfront‘ aus der Gesamtbevölkerung aufbauen, damit diese die fehlende Souveränität erkämpfe“. (Wikipedia Stichwort „Querfront“) Um Menschen unterschiedlichster, teilweise entgegengesetzter sozialer Interessen zusammenzubringen, bedarf es mehrdeutiger Begriffe. „Compact“ hat den Untertitel „Magazin für Souveränität“. Was für den Einen die Befreiung aus individueller Fremdbestimmung ist, rechtlich abgesicherte Selbstbestimmung (z.B. Abschaffung des Rechts des Ehemannes, Arbeitsverträge seiner Ehefrau zu kündigen), ist für den Anderen die Überzeugung, Ausgangspunkt der gesamten Staatsgewalt zu sein, ungehindert Normen für alle anderen setzen zu dürfen. Also das genaue Gegenteil. „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet“ schreibt Carl Schmitt 1922 in „Politische Theologie“ und meint damit „die Befugnis, das geltende Gesetz aufzuheben – sei es generell, sei es im einzelnen Fall“. Als solcher ist der Souverän „zuständig für die Entscheidung, ob die Verfassung in toto suspendiert werden kann.“ (C. Schmitt Politische Theologie, S.11-13) In diesem Sinn stilisiert „Compact“-Chefredakteur Elsässer den ARD-Tatortkommissar Schimanski zum Querfront-Vorbild:

„Schimanski war die wandelnde Querfront, er polterte wie ein Roter mit den Kohlekumpeln gegen Ausbeuter und Politiker und nagelte wie ein Brauner Kinderschänder und Mafiosi ganz ohne Haftbefehl und Staatsanwaltschaft an die Wand …“ („Compact“ 2/2020 S.10)

Während dem Roten zugestanden wird, mit den Kumpeln gegen Ausbeuter und Politiker zu poltern – einem erkämpften Recht, das von den zur Macht gekommenen Autoritären zum Schutze der „deutschen Wirtschaft“ zur Disposition steht, wird dem Braunen das Angebot gemacht, eigenmächtig rechtsstaatliche Normen außer Kraft zu setzen und Selbstjustiz zu üben. Der selbsterklärte Ausnahmezustand ist Inhalt des häufig von rechts benutzten Satzes „Wir befinden uns im Krieg“ und liefert die Rechtfertigung für gewaltsame Übergriffe und politische Morde.

Der Feind – die Eliten

Der ausgemachte Feind sind „die da oben“, das Establishment, die Eliten, die Parteien. „Die Parteien verkommen zur Beutegemeinschaft, die den Staat okkupiert“ schreibt Daniel Pföhringer in „Compact“ 10/2019 in seinem Artikel „Demokratie ohne Volk“. Es scheint, als mache er sich zum Anwalt „der da unten“, der Unterprivilegierten, der Ausgeschlossenen. Die kommen bei ihm allerdings in ihrer „Neigung, sich täuschen zu lassen und sich einer starken Führung zu unterwerfen“ schlecht weg. Als treffende Feststellung der Eigenheiten der Massen zitiert er den Soziologen Robert Michels, der sich 1903 der Sozialdemokratie anschloss und in den 1920ern als Anhänger faschistischer Elitetheorien von Mussolini auf den Lehrstuhl für Nationalökonomie in Perugia berufen wurde:

„Die Massen besitzen einen tiefen Drang zu persönlicher Verehrung. Sie bedürfen in ihrem primitiven Idealismus weltlicher Götter, denen sie mit desto blinderer Liebe anhängen, je schärfer das rauhe Leben sie anpackt“.

Was also tun bei einem unmündigen Volk gegen die Parteien-Oligarchie? Die Lösung liefert der Autor am Ende mit einem weiteren Zitat von Michels:

„Das Ideal wäre eine Aristokratie sittlich guter und technisch brauchbarer Menschen“ (alle Zitate „Compact“ 10/2019, S.20-22).

Weit entfernt von einer Weiterentwicklung der Demokratie landen wir nach „Monarchie“ bei einem weiteren vorrepublikanischen Begriff, der Aristokratie, einer privilegierten Herrschaftskaste.

Das Ziel – absolutistischer Staat

Der scheinbar Demokratie fordernde Angriff auf „die Eliten“ enthüllt sich als Offensive einer selbsternannten Elite gegen eine auf gleichen Rechten beruhenden Staatsform. Oder wie Marc Jongen, der Vorsitzende der Programmkommission der AfD es 2014 formulierte:

„Die Vision eines anderen Deutschland – zugleich das Programm der AfD – wäre geboren: Die Vision eines Deutschland, dessen produktive, kulturtragende Schicht sich aus dem Zangenangriff von ausufernder Sozialindustrie unten sowie asozialen Finanzeliten oben befreit, in dem echter Bürgersinn und Meritokratie folglich wieder Platz greifen können.“ (Cicero, Magazin für politische Kultur, 22. Jan. 2014) Meritokratie = Herrschaft des Verdienstadels (Duden 5, Fremdwörterbuch).

Wie sich die Worte doch ähneln: Bei Michels (s.o.) bedarf es der Herrschaft einer Aristokratie sittlich guter und technisch brauchbarer Menschen, bei Jongen der Herrschaft des produktiven, kulturtragenden Verdienstadels. Das Ziel: Ein absolutistischer Staat, verfassungsmäßig ungebunden, mit einer rassistisch ausgerichteten Verwaltung, Justiz, Polizei und Armee zur Durchsetzung unkontrollierter Herrschaft einer nationalistischen Elite.

Abb. (PDF): Quelle Bild „Compact“: www.derstandard.de