Politische Berichte Nr. 5/2020 (PDF)18a
EU-Politik

Perspektiven der EU-Außenpolitik

Die EU, internationale Konventionen und Organisationen

Die Akteur*innnen der europäischen Sicherheits- und Außenpolitik

Perspektiven der EU-Außenpolitik

Eva Detscher, Rolf Gehring, Rüdiger Lötzer

Am 1. Oktober erörterten die Staats- und Regierungschefs der EU die Lage im östlichen Mittelmeerraum, die Beziehungen zu China, die Lage in Belarus, den Bergkarabach-Konflikt und die Vergiftung Alexej Nawalnys – vielschichtige Konflikte unterschiedlichster Tragweite. Ein Standard-Reaktionsmuster steht da nicht zur Verfügung. Sicherheitspolitik besteht aus mehreren Komponenten, Außenpolitik ist ein Element davon, dabei sind die Zuständigkeiten der EU begrenzt.

Historisch war die Außen- und Sicherheitspolitik kein Bestandteil der EWG-Politik. Mit der „Europäischen Politischen Zusammenarbeit“ wurde sie Gegenstand der europäischen Integration und mit der „Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik“ (GASP) seit Maastricht Bestandteil der Verträge. Artikel 11 beschreibt die Zielsetzungen mit den Worten „Wahrung des Friedens“, „Stärkung der internationalen Sicherheit“, „Förderung internationaler Zusammenarbeit“, „Stärkung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“ und „Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten“. Ein weiterer Schritt war 2016 die EU-Globalstrategie mit den Sofia-Einsätzen, die in der ersten Phase humanitären Charakter hatten. Mit der Europäischen Interventionsinitiative wurde dann eine außerhalb der EU angesiedelte Struktur geschaffen, der heute 13 Staaten angehören.

Hier zeigt sich die besondere Rolle Frankreichs in der EU. Nach Austritt von UK ist Frankreich einzige Atommacht und stärkste Militärmacht in der EU, in den meisten militärischen Konflikten involviert; hat darüber hinaus in der Außenpolitik eine besondere Haltung zu Russland. Auch sieht Frankreich aktuell das Militär als Schlüsselelement internationaler Politik (Macron bei seiner Rede im Februar an der École Militaire), und agiert völlig schamfrei unilateral entsprechend der eigenen Interessen.

Die EU ist aufgrund der hohen Zahl der Mitglieder und deren unterschiedlichen Größe und mehr oder weniger starken Dominanz strukturell mit Fraktionierungen in der politischen Positionsbildung konfrontiert. Die divergierenden Interessen der Mitgliedsstaaten müssen aber nicht unbedingt in Handlungsunfähigkeit der EU als ganzer enden oder in Einzelaktionen von EU-Staaten. Der weitgehend einheitliche Bezug auf den Multilateralismus ist hierbei eine wichtige Konstante. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges hat er eine politische Relevanz erfahren, Einrichtungen wie die WHO, das Pariser Klimaabkommen oder andere Formate regelmäßiger Treffen/Kommunikation sind Ausdruck davon. Sicher aktuell durch den Rückzug der USA aus diversen Strukturen unter Druck, gibt es doch ein weltweites Interesse am Ausbau solcher Strukturen, und in der EU kann der Bezug darauf vor allem auch eine Klammer nach innen bilden.

Dass die GASP mehr ist als ein institutionelles Forum zur Abstimmung der Interessen der Mitgliedsstaaten, wo jedes Land Vetorecht hat, zeigt sich an den Diskussionen um die Schaffung des Internationalen Strafgerichtshofs. In den Verhandlungen zu seiner Einsetzung und seinem Statut gab es keine einheitliche EU-Position. Zusätzlich hat die USA ihn bekämpft. Dennoch kam ein Kompromiss zustande, und mit der Arbeitsaufnahme eine Abstimmung der EU-Staaten. Hier wird nicht gesagt, dass es an der Praxis des Strafgerichtshofs oder die faktische Außerkraftsetzung der Genfer Flüchtlingskonvention durch EU-Staaten keine Kritik geben darf. Am Beispiel kann aber gesehen werden, dass Normen wie Rechtstaatlichkeit, Menschen- und Grundrechte und ihre prozeduralen Verfahren über die Zeit Konsens stärken und Konflikte regulieren können.

Nun muss man der EU-Außenpolitik keinen ethischen Universalismus unterstellen, aber eine auf Dialog setzende internationale Politik hat positive Wirkung. Das EP hat am 17. September das türkische Parlament aufgerufen, das gemeinsame Parlamentskomitee wiederzubeleben. Und der Rat ruft am 2. Oktober „dazu auf, eine Multilaterale Konferenz über den östlichen Mittelmeerraum zu veranstalten. Auf der Konferenz könnten Themen behandelt werden, bei denen multilaterale Lösungen nötig sind, darunter Seegebiete, Sicherheit, Energie, Migration und wirtschaftliche Zusammenarbeit.“

Eine solche Form der Außenpolitik ist auch die einzige Chance, Konflikte, die oft lange zurückliegende Gründe haben und nicht rasch zu „lösen“ sind, wenigstens so zu moderieren, dass es zu keiner kriegerischen Auseinandersetzung kommt. Ihre Moderation zu ermöglichen, gegenseitige Interessen verstehen zu lernen – das sollte Agenda der EU sein unter der Voraussetzung, dass die Beteiligten sich auf Gewaltfreiheit als Basis und Voraussetzung einigen. Alternativen hierzu würden wesentlich in roher Durchsetzung von Herrschaftsverhältnissen bestehen (große über kleine Staaten, militärische Bedrohung, wirtschaftliche Dominanz und Abhängigkeit). In der zunehmenden Betonung, die EU müsse eine „dritte Macht“ neben den USA und China werden, deutet sich allerdings auch an, dass Kräfte, die die europäische Politik in eine eher aggressive Richtung treiben wollen, derzeit an Einfluss zunehmen. Eine Schranke dagegen kann sein, dass das Europäische Parlament künftig eine größere Rolle spielt.

Ausgewählte Quellen: Deitelhoff, Nicole; Burkhard Eva: Europa vor Gericht: die EU-Außenpolitik und der Internationale Strafgerichtshof | Emmanuelle Maître: Zwischen Kontinuität und Innovation – Macrons Konzept der französischen Abschreckung. In Welttrends Nr. 167, S. 41 bis 45