Politische Berichte Nr. 3/2021 (PDF)26
Diskussion – Dokumentation – Termine

Von Atomwaffen-Versuchen im Pazifik bis zum Atomwaffen-Verbotsvertrag 2021

Am 22. Januar dieses Jahres trat nach vielen Jahren der Vorbereitung und eines weltweiten Engagements der Atomwaffenverbotsvertrag völkerrechtlich in Kraft, 51 Staaten haben ihn ratifiziert. Vier Jahre zuvor – am 7. Juli 2017 – war er mit den Stimmen von 122 UN-Mitgliedern beschlossen worden. Zuletzt hatten 56 Staats- und Regierungschefs, zu denen auch 20 Nato-Staaten, Japan und Südkorea gehörten, in einem Offenen Brief auf eine endgültige Akzeptanz gedrängt: „Sooner or later our luck will run out“ –„früher oder später wird uns das Glück verlassen“.

Edda Lechner, Norderstedt

Für die Menschen im pazifischen Raum ist die Ratifizierung des Verbotsvertrages von besonderer Bedeutung. Deshalb stammen von den 51 Unterzeichner-Staaten allein neun aus dieser Region: Fidschi, Kiribati, Palau, Samoa, Vanuatu, Niue, Tuvalu, Nauru und Cook Islands, sowie Neuseeland mit Tokelau. Warum reagierten diese Kleinst-Staaten im großflächigen ozeanischen Raum mit größter „nuklearer Betroffenheit“? Diese erst „vor kurzem“ selbständig gewordenen Staaten, ihre Bewohner und Völker wurden nach dem Zweiten Weltkrieg als Territorien oder Kolonien der USA, Großbritanniens und Frankreichs für deren militärischen Atomwaffen-Testprogramme genutzt.

315 Atombombentests …

… waren es insgesamt, die hier im Kalten Krieg von drei westlichen Supermächten – unter Schonung des eigenen Staats-Territoriums – vollzogen wurden. Die USA testeten Mitte der 1940er Jahre bis Anfang der 1950er auf den Marschallinseln, einem Teil des UN-Treuhandgebiets, das den USA überlassen wurde, ihre Atomwaffen. 67 US-Tests wurden rund um den Bikini-Atoll vollzogen – im Gedächtnis geblieben auch wegen des damals in Mode gekommenen gleichfalls so benannten Mini-Badebekleidungsstückes. 1962 folgten 25 Atomtest auf den Christmas-Islands (Kirimati), dem größten Korallenatoll der Erde. In der ehemaligen britischen Kolonie der Gilbert-Islands und der Insel Malden wurden 1957 „nur“ sechs und danach noch einmal drei Atombomben gezündet. Der Premierminister von Fidschi, Frank Bainimarama, hat anlässlich des Inkrafttretens des Verbotsvertrages von seinem Vater berichtet, der 1957 zusammen mit anderen Soldaten aus Fidschi in unmittelbarer Nähe einen britischen Wasserstoffbombentest auf Malden Island beobachten musste. Weitere Tests der USA und Großbritanniens fanden auf den Inseln des heutigen Kiribati statt.

Frankreich nutzte seine Kolonie Maohi Nui (Französisch-Polynesien) dreißig Jahre lang, von 1966 bis 1996, für atmosphärische und unterirdische Tests. Erst am 27. Januar 1996 fand in der Lagune des Atolls Fangataufa im Tuamotu-Archipel der letzte französische unterseeische Atombombenversuch statt. Die Atombombe „Xouthos“ hatte eine Sprengkraft von 120 Kilotonnen und war der 193. Versuch dieser Kolonialmacht, durchgeführt vom „Centre d’experimentation du Pacifique“. Damit verletzte der französische Präsident Francois Mitterand ein Moratorium über die Nicht-mehr-Zündung von Atombomben, das er 1992 selbst unterzeichnet hatte. Der in den neunziger Jahren entstandene weltweite Protest – vor allem bekannt geworden durch die von Greenpeace durchgeführte Evakuierung der Menschen von der Insel Mururoa und dem Mordanschlag auf ihr Schiff „Rainbow Warrior“ – erreichte schließlich, dass zukünftig alle weiteren Versuche eingestellt wurden.

Widerstände und Erfolge

Von Anfang an haben die Bewohner des Pazifiks ihre Empörung gegen die radioaktive Verseuchung und die erlittenen gesundheitlichen Schäden geäußert und Widerstand gegen die menschenverachtenden Maßnahmen organisiert. Bereits 1985 schufen dreizehn pazifische Staaten „vor Ort“ auf den Cook Island einen Vertrag, in dem sie im Südpazifik eine nuclear free zone ohne Atomwaffen, Atomtests und Atommüllversenkung vereinbarten. Immer wieder wurde vor allem auf Frauenkonferenzen in Fidschi von den verheerenden gesundheitlichen Schäden der atomaren Verseuchung berichtet. Doch zunächst konnten sie die Atomtests nicht stoppen. Klagen vor dem Internationalen Gerichtshof gegen die Atomtests führten zwar zu Urteilen, die ihnen Recht gaben, aber sie wurden einfach nicht umgesetzt. Auch auf internationaler Ebene gab es bereits in den siebziger Jahren weltweit eine Bewegung für einen atomwaffenfreien und unabhängigen Pazifik (NFIP) und danach die internationale Kampagne zur atomaren Abrüstung (ICAN). Sie haben auf Dauer wesentlich dazu beigetragen, dass das aktuelle Atomwaffenverbot zustande gekommen ist. ICAN erhielt für ihr bedeutendes Engagement 2017 den Friedensnobelpreis.

Nie gab es auf Kirimati nach den Atomtests irgendwelche gesundheitlichen Untersuchungen der Bevölkerung. Bis heute fand keine ausreichende Messung und Nachverfolgung der medizinischen, psychologischen und ökologischen Auswirkungen des jahrzehntelangen radioaktiven Niederschlags statt. Die Umweltrisiken durch das Entweichen von radioaktivem Material in den Ozean aus den von Atomtests durchlöcherten Atollen in Französisch-Polynesien und den Plutoniumsgruben auf der Insel Runit wurde keine Beachtung geschenkt. Eine vom französischen Staatspräsidenten erwartete Entschuldigung, geschweige denn eine zugesagte Entschädigung, fand bisher nicht statt.

Nun schafft der von einem Viertel der weltweit existierenden Staaten ratifizierte Atomwaffenverbotsvertrag neue Hoffnung. Der Vertrag verbietet jegliche Aktivitäten mit Atomwaffen, sowohl was den Einsatz als auch die Androhung eines Einsatzes betrifft, er untersagt die Entwicklung und Herstellung, Tests, Transport und Lagerung von Atommaterial ebenso wie die Unterstützung solcher Handlungen.

Eine Besonderheit des Atomwaffenverbotsvertrags ist, dass er die nukleare Vergangenheit einschließt. In Artikel 6 geht es um die medizinische Versorgung, Rehabilitation und psychologische Unterstützung für Personen, die vom Einsatz von Atomwaffen in Kriegs- und Testfall betroffen sind (dies umfasst auch geschädigte Nachkommen) und die Sanierung radioaktiv verseuchter Gebiete. Jetzt endlich können die noch lebenden Opfer für sich und ihre Verstorbenen auf Entschädigung klagen!

Am Tag der Unterzeichnung des Atomwaffenverbotsvertrags wurde deshalb viel gefeiert. Auch in Hamburg. Ein Bündnis aus den Friedensgruppen – die Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW), die bereits genannte ICAN, Greenpeace, die Deutsche Friedensgesellschaft, die Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), das Hamburger Forum und verschiedene Gewerkschaftsgruppen – beglückwünschten mit Blumenstrauß über einen Livestream-Vertreter diejenigen Länder, die zum Inkrafttreten des Vertrages beigetragen hatten, die Hamburger Pazifikgruppe nahm die Wünsche stellvertretend entgegen. Die Honorarkonsuln von Samoa und Palau erhielten Blumensträuße. Zahlreiche kirchliche Vertreter, z.B. vom Pazifik Netzwerk aus Nürnberg und der Eine-Welt-Mission aus Neuendettelsau, die viele Jahrzehnte im Pazifik missionarisch tätig gewesen sind, sowie die pazifischen Partnerkirchen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und der Friedensbeauftragte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) freuten sich mit den Menschen auf der östlichen Halbkugel und überall auf der Welt über den Erfolg des Atomwaffenverbotsvertrages. Papst Franziskus hatte bereits 2019 bei einem Besuch in Hiroshima geäußert: „Kernwaffen entsprechen nicht der katholischen Lehre und sind unmoralisch“.

Nur die Bundesrepublik Deutschland hat für die Unterzeichnung des Vertrages bisher keine parlamentarische Mehrheit gefunden. Obwohl nach Umfragen 92% der Bevölkerung dafür wären. Wer dem Nachdruck verleihen will, kann dies im Blick auf die Bundestagswahl über die Initiative „Meine Stimme für das Atomwaffenverbot“ tun bei:

www.ican.de/abgeordnetenerklaerung.

Quellen: Rundbriefe des Pazifik Quellen: Rundbriefe des Pazifik-Netzwerkes Nr. 122-4/20 und Nr. 123 – 1/21; Pazifik aktuell, Nachrichten aus Papua-Neuguinea und den pazifischen Inseln Nr. 125 – März 2021.

Abb. (PDF): Demonstration in Samoa gegen französische Atombombentests, 1995, Foto: Wolf-Dietrich Paul im „Rundbrief Pazifik-Netzwerk“ 4/20, Abdruck mit freundlicher Genehmigung.

eoff