Politische Berichte Nr.5/2021 (PDF)20
Rechte Provokationen - demokratische-Antworten

Redaktionsnotizen AfD-Kommentare zum Ergebnis der Bundestagswahlen: „Gekommen, um zu bleiben“

Rechte Provokationen – demokratische Antworten – Redaktionsnotizen. Zusammengestellt von Rosemarie Steffens, Langen, Hessen

01 Zu mehr als 13 Jahren Haft wegen der Aufnahme von 300 Geflüchteten wurde Domenico Lucano verurteilt.

02 Leseempfehlung: Jüdische Frauen im Widerstand.

03 Vor 80 Jahren – das Verbrechen von Babyn Jar.

04 Ein Hilfseinsatz für die Flutopfer im Ahrtal dient dem rechtsextremen Magazin Compact dafür, sich im Katastrophengebiet mit seinem extra dafür gegründeten „Compact-Werk“ einzuschleusen.

05 Leseempfehlung: Rechter Terror.

01

Zu mehr als 13 Jahren Haft wegen der Aufnahme von 300 Geflüchteten wurde Domenico Lucano verurteilt. Er war von 2004 bis 2018 Bürgermeister des süditalienischen Dorfes Riace und ihm wurde Beihilfe zur illegalen Einwanderung, Amtsmissbrauch, Betrug und Erpressung zur Last gelegt. Die Haftstrafe ist doppelt so hoch wie von der Staatsanwaltschaft gefordert. Lucano hieß Migranten in dem von Landflucht betroffenen kalabrischen Ort mit 1800 Einwohnern willkommen und wurde dafür z.B. mit dem Friedenspreis der Stadt Dresden geehrt. Das „Riace-Modell“ wurde mit EU-Geldern gefördert, Lucano soll nun 500 000 Euro zurückzahlen. Das Urteil sei „völlig unverständlich und ungerechtfertigt“, so die Anwälte, die dagegen in Berufung gehen. Die Lega und ihr Vorsitzender Matteo Salvini, der den Bürgermeister 2018 wegen illegaler Begünstigung von Einwanderung festnehmen ließ, begrüßen den Richterspruch. In Europa wurde das „Riace-Modell“ als einfache, aber effektive Methode zur Wiederbelebung dünn besiedelter Dörfer und zur Unterbringung von Asylbewerbern gepriesen. Im Rahmen des Programms wurden verlassene Häuser restauriert und Handwerksbetriebe in Riace wiedereröffnet, was Touristen anlockte und oft als Vorbild für Integration gelobt wurde.

www.spiegel.de/Ausland, 1.10.21

02

Leseempfehlung: Jüdische Frauen im Widerstand. 1942 notierte Emanuel Ringelblum (1900 bis 1944), der das Untergrundarchiv im Warschauer Ghetto aufbaute, in seinem Tagebuch: „Die Geschichte der jüdischen Frau wird ein glorreiches Kapitel in der Chronik des Judentums während des gegenwärtigen Krieges sein. Und die Chajkas und Frumkas werden in dieser Geschichte die Hauptfiguren sein. Denn diese Mädchen sind unermüdlich.“ Die Autorin Judy Batalion hat in jahrelanger Forschungsarbeit eine unendliche Menge verschollenen Wissens über diese „unermüdlichen Mädchen“ zu Tage gefördert. Sie folgt den Spuren von 20 jungen Frauen im besetzten Polen und würdigt in ihrer Erzählung den überwältigenden Beitrag dieser und der vielen anderen jüdischen Frauen zum Widerstand gegen die faschistische Besatzungsmacht. Frauen waren an der Gründung einer jüdischen Kampforganisationen, des ZOB, einem Zusammenschluss wesentlich linker zionistischer Bewegungen, maßgeblich beteiligt. In heldenhaftem Kampf gegen die organisierte Vernichtung störten sie Deportationen, experimentierten mit Sprengstoff, leisteten als Fluchthelferinnen, Waffenschmugglerinnen, Saboteurinnen, Kurierinnen oder, unter oft schwierigen Bedingungen, als Partisaninnen Widerstand. Sehr viele wurden gefoltert und getötet. Aber auch noch in den Vernichtungslagern verteidigten sie kämpfend ihre Würde. Das Buch entreißt sie und die Überlebenden dem Vergessen.

Judy Batalion, Sag nie, es gäbe nur den Tod für uns. Die vergessene Geschichte jüdischer Freiheitskämpferinnen. Piper Verlag 2021, 624 Seiten, 25 Euro

03

Vor 80 Jahren – das Verbrechen von Babyn Jar. Die FIR (Fédération Internationale des Résistants) erinnert an eines der schlimmsten Verbrechen im faschistischen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion, das Massaker Ende September 1941 in der Schlucht von Babyn Jar bei Kiew (Ukraine). Vorgeblich wegen Bränden und Explosionen im Kiewer Stadtzentrum kamen der Befehlshaber der Einsatztruppen von Wehrmacht und SS überein, die in der Stadt verbliebenen Juden zu töten und dieses Vorhaben als „Evakuierungsaktion“ zu tarnen.

Am 28. September 1941 wurden Bekanntmachungen über eine Evakuierung an die Kiewer Juden herausgegeben. Diese sollten sich am folgenden Tag in der Nähe des Bahnhofes einfinden und warme Kleidung, Geld sowie persönliche Dokumente und Wertgegenstände mitbringen. Diesem Aufruf folgten mehr Juden als erwartet. In Gruppen wurden diese aus der Stadt und zur Schlucht geführt, mussten sich dort ihrer Kleidung entledigen und wurden dann entsprechend dem „Einsatzbefehl der Einsatzgruppe Nr. 101“ systematisch durch Maschinengewehr- und Maschinenpistolenfeuer erschossen. Bei den Erschießungen am 29. und 30. September 1941 wurden laut Ereignismeldung der SS-Einsatzgruppe C vom 2. Oktober 1941 innerhalb von 36 Stunden 33771 Juden getötet. Nachdem deutsche Pioniere 1941 durch Sprengungen dieses Massengrab tarnten, mussten im Sommer 1943 – beim Rückzug der Wehrmacht – KZ-Häftlinge diese Leichen und weitere wieder ausgraben und verbrennen, um die Beweise für die Verbrechen zu beseitigen.

Das Verbrechen von Babyn Jar wurde juristisch sowohl in der Sowjetunion, aber insbesondere beim Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess, im Prozess Nr. 9 (Einsatzgruppenprozess) verhandelt. Der Befehlshaber des Sonderkommandos 4a Paul Blobel wurde 1948 zum Tode verurteilt und 1951 hingerichtet. Kein an dem Verbrechen beteiligter Offizier der Wehrmacht musste sich jemals vor Gericht verantworten. Trotz dieser Verbrechensdimension dauerte es Jahrzehnte, bis es eine erste Gedenkstätte für die „ermordeten Sowjetbürger und Kriegsgefangenen“ gab. Erst 1991 wurde mit der Errichtung einer Menora als Gedenkzeichen gezeigt, dass es überwiegend jüdische Opfer in Babyn Jar gab. Nationalistische Kräfte, die sich für die Bandera-Verherrlichung einsetzen, kritisieren, hier werde der ukrainischen Opfer zu wenig gedacht – als seien die Kiewer Juden keine Einwohner der Ukraine gewesen. Antifaschistische Kräfte in der Ukraine treten ein für eine Gedenkstätte am historischen Ort Babyn Jar, die dem besonderen Charakter des Verbrechens Rechnung trägt und gleichzeitig den Kampf der Partisanen und der Roten Armee um die Befreiung des Landes würdigt.

FIR, PM-Auszüge, 24.9.21

04

Ein Hilfseinsatz für die Flutopfer im Ahrtal dient dem rechtsextremen Magazin Compact dafür, sich im Katastrophengebiet mit seinem extra dafür gegründeten „Compact-Werk“ einzuschleusen. Unter dem Motto: „Wir stehen zusammen, wenn der Staat versagt“ rühmen sie sich, im Juli und August zwei Hilfslieferungen aus Spenden im Wert von etwa 18 000 Euro ins Ahrtal geschickt zu haben und verbreiten begleitend ihre rechte Hetze gegen staatliches Versagen.

Compact-online.de, 24.9.21

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Leseempfehlung: Rechter Terror. Der Autor, Martín Steinhagen, befasst sich vor allem mit dem Mord an dem CDU-Politiker Walter Lübcke am 1. Juni 2019 und der nicht vollendeten Aufklärung dieses Mordes. Nach dem Urteil gegen den Haupttäter Ernst E. bleibt die Einzeltäterschaft fraglich. Das Verdienst dieses Buches ist es, zum einen die lange unerkannte und verdrängte (oder billigend in Kauf genommene) Bedrohung durch rechten Terror in Erinnerung zu rufen. Zum anderen analysiert er das gefährliche Zusammenspiel verschiedener Strömungen innerhalb der Rechten – von den Stichwortgebern der Neuen Rechten, die nicht erfolglos um die kulturelle Hegemonie kämpfen, über die Enthemmung der Debatten, die von den Möglichkeiten der sozialen Medien vorangetrieben wird, die parlamentarisch etablierte AfD und die alten und neuen militanten Nazi-Strukturen. Dabei thematisiert er die Rolle des Verfassungsschutzes, der sich ein ums andere Mal als untaugliches Instrument zur Bekämpfung rechten Terrors erweist.

Martín Steinhagen, Rechter Terror. Der Mord an Walter Lübcke und die Strategie der Gewalt. Rowohlt-Verlag 2021, 304 Seiten, 18 Euro