Politische Berichte Nr.1/2022 (PDF)30
Kalenderblat

23. Aug. bis 3. Sept.1848Deutsche Länder

Gründungskongress der „Allgemeinen deutschen Arbeiter-Verbrüderung“

01 Luise Otto in der 1849 gegründeten Frauenzeitung: „Sendschreiben an alle ,Verbrüderten‘
02 dokumentiert:  Aus den Beschlüssen des Arbeiter-Kongresses zu Berlin vom 23. August bis 3. September 1848

Rolf Gehring, Brüssel, Eva Detscher, Karlsruhe

Das Jahr 1848 gilt als Symbol für den demokratischen Aufbruch, gegen Feudalismus und auch für die Formierung von Territorialstaaten. Die Nationalversammlung in der Paulskirche zu Frankfurt war aber auch Schauplatz einer bemerkenswerten Auseinandersetzung um die ausdrücklich so bezeichnete „Soziale Frage“. In einem „Manifest des deutschen Arbeiter-Kongresses an die konstituierende Versammlung zu Frankfurt a.M.“ vom 2. September 1848 wird festgestellt:

„Wir Arbeiter und unsre Angelegenheiten stehen den Augen der Staatsmänner, wie diese bisher durch das Staatsleben gebildet wurden, zu fern, ja für die meisten waren die Arbeiter eigentlich gar nicht als Staatsbürger da und sichtbar, sondern nur als Ziffern in den Bevölkerungslisten und in den Berechnungen der Volksmacht.“ [1, S. 4]

Die Anerkennung des einzelnen Arbeiters als „Persönlichkeit“ und die „Berechtigung im Staatsleben“ wird gefordert (S. 5). Von der allergrößten Bedeutung ist, dass mit der Fundierung politischer Rechte durch „Arbeit“ die hergekommene ständische Ordnung mit ihren unendlichen Differenzierungen infrage und diesem Zustand die Gleichberechtigung gegenüberstellt wird.

Die ganze Sache ist ein starker Auftritt. Durch eine Optik von heute betrachtet, fällt vor allem die Konzeption auf: sie beruht darauf, dass der Kampf um die Staatsverfassung – vom Haushaltsrecht bis zum Wahlrecht – verbunden wird mit dem Kampf um erweiterte Handlungsräume der Einzelnen, dies betrifft die bereits hier erhobene Forderung nach Begrenzung des Arbeitstages (auf 10 Stunden). Die politische Demokratie, verstanden als Konfiguration staatlicher Macht und Gewährleistung von Freiheiten bei der Handhabung (und Anhäufung) von Eigentum, muss mit der Erweiterung der Handlungsräume der Einzelnen verflochten werden, wenn Emanzipation das Ziel ist.

Die Nationalversammlung hat dieses Manifest nicht angenommen.

Entwicklungsstränge

Zwar nahm die Zahl der Lohnarbeiter in Deutschland von 1832 (450 000) bis 1848 (1 000 000) beträchtlich zu, die organisatorischen Kerne der sich bildenden Arbeiterbewegung wurden aber stärker von wandernden Gesellen und Handwerkerzusammenschlüssen getragen. In den entwickelten Handwerken ist der Übergang zu Wissenschaft und Technik fließend, typisch erkennbar in den Denkmalen des Bauwesens, aber auch der aufkommenden Mechanik. An der Wende zum 19ten Jh. sind lese- und schreibkundige Handwerker nicht mehr ungewöhnlich. Ihr Erfahrungshintergrund als selbständige Personen, die in Kontakt kommen mit der überall anders strukturierten Sozialwelt, die althergebrachte Unterstützungskassen kennen und auch finanzieren können, die Kritik an den Fesseln der ständischen Ordnung entwickeln und so eine Idee der eigenverantwortlichen Organisation entwickeln, tragen die Bewegung. Sie bilden auch im Ausland Zusammenschlüsse, so etwa den Bund der Geächteten 1834 in Paris.

Fortdauernde Wirkung zeigt die Fundierung politischer Rechte durch „Arbeit“, das stellt die hergekommene ständische Ordnung mit ihren unendlichen Differenzierungen infrage und stellt ihr die Gleichberechtigung gegenüber.

Der Leipziger Kongress 1850

Die Niederlage in der Paulskirche wurde nicht kampflos hingenommen. Das seit 1. Oktober 1848 zweimal wöchentlich erscheinende Organ „Verbrüderung“ rief die Arbeiter „offen zu Kampf für die Reichsverfassung und gegen die Konterrevolution auf“. In Dresden, Baden und in der Pfalz kam es ab Mai 1849 zu Aufständen.

„Die Reaktion siegte auf der ganzen Linie. Die in den einzelnen Ländern gewährten Verfassungen wurden revidiert und die demokratischen Freiheiten beseitigt.“ ([2], Vorwort S. XIII).

Dennoch fand von 20. bis 26. Februar 1850 die „Generalversammlung der deutschen Arbeiter“ statt. Dort wurde das Organisationsstatut beschlossen, das über die im „Manifest“ begründeten Ansprüche hinaus auch eine Hinwendung zu Kooperations- und Selbsthilfeeinrichtungen beinhaltet.

§. 1. Die Arbeiter- Verbrüderung hat den Zweck, unter den Arbeitern aller Berufsarten eine starke Vereinigung zu begründen, welche auf Gegenseitigkeit und Brüderlichkeit gestützt, die Rechte und den Willen der Einzelnen zu einer Gesamtheit, die Arbeit mit dem Genuss vermitteln soll.[3]

Die wenig bekannten Originaldokumente zeigen die Bandbreite der Befassung mit dem gesellschaftlichen und sozialen Leben und den nötigen Einrichtungen: die gleiche Teilhabe an Wahlen auf allen Ebenen als Ausgangsforderung zur Anerkennung der Arbeiter; konkrete Vorstellungen für eine selbstorganisierte Arbeitsverwaltung; Tarif- und Kündigungsvorschriften wie auch Vorschriften für Konkurse; Gewerbefreiheit und die Aufhebung von Beschränkungen bei der Erlangung des Meisterrechts, verbunden mit Vorstellungen zur wirtschaftlichen Selbstorganisation u.v.m. Die Gelder der Organisation sollen vor allem für Darlehen für besseres Wohnen und für genossenschaftliche Wirtschaftstätigkeit genutzt werden. Besonders bemerkenswert ist, dass hier exponiert die gleiche Teilhabe der Frauen in der Organisation proklamiert wird und dass eine von der Kirche getrennte Staatschule (vom 5. bis zum 14. Lebensjahr) gefordert wird, die unentgeltlich ist und für Ärmere Lehrmittel zur Verfügung stellt.

Verfolgung, Verhaftung, Verbot aller bestehenden Arbeitervereine und Verbrüderungen Anfang der 1850er Jahre waren eine bittere Niederlage. Was seit der Gründung des „Allgemeinen deutschen Arbeitervereins“ 1863 in Sachen politischer Parteibildung passiert ist, ist ohne jene Vorgeschichte allerdings undenkbar.

Ein emanzipatorisches Konzept

Die Bewegung wird politisch & sozial, sie wird kollektiv & indivduell verstanden. Sie ist ein dieser Kombination unverwüstlich, gerade weil sie unter allen wechselnden Umständen und organisatorischen Wirren und politischen Meinungsverschiedenheiten praktisch bleiben konnte. Ein wirksamer Ansatz ist die Idee der kollektiven Selbsthilfe, wie überhaupt eine Kultur der Zusammenarbeit, deren Wert aus dem Arbeitsleben bekannt ist, auf die Gestaltung des zivilen Lebens übertragen wird.

Initial für veränderte Praxis in langen Zeiträumen

Diese Dokumente widersprechen diametral der Vorstellung, dass politisches Bewusstsein in die arbeitenden Klassen hineingetragen werden müsse, weil es in diesem von Abhängigkeit bestimmten Erfahrungsraum genuin nicht entstehen könne. Dabei wird der Begriff der Abhängigkeit, in der sich Lohnabhängige zweifellos befinden, überdehnt. Sie erscheint so total, als eine Fessel – auch des Denkens und Urteilens – die gesprengt werden müsse. Was also von dieser politischen Initiative bleibt, sind formelle und informelle Organisationskerne und Zusammenhänge, die die Repression überdauerten und zu politischer Wirkung drängten und auch gelangten.

Die lange geschichtliche Wirkung der Beschlüsse des Kongresses und ihre Aufnahme in die gesellschaftliche Praxis, Anspruchsbildung und Gesetze, belegen die Möglichkeit und Wirkkraft von Selbstorganisation und Kooperation, der Selbsthilfe als Momente der Emanzipation.

Man überspannt wohl nicht, wenn man sagt, dass sich die Beschlüsse von 1848 in der Versicherung von Arbeitslosigkeit, ebenso wie in der Betriebsverfassung oder dem Wahlrecht oder der heutigen überdauernden Genossenschaftsbewegung als veränderte gesellschaftliche Praxis bestätigt finden.

Abb.(PDF): logo Arbeiterverbrüderung

01

Luise Otto in der 1849 gegründeten Frauenzeitung:

„Sendschreiben an alle ,Verbrüderten‘

(…) ,§. 29. Von allen diesen Bestimmungen sind die weiblichen Arbeiter nicht ausgeschlossen und genießen unter gleicher Verpflichtung gleiche Rechte‘.

Mit diesem habt ihr es ausgesprochen, daß Männer und Frauen gleichberechtigt sind, nach der Gleichheit der Arbeit. Ihr habt mit diesem Paragraph den ganzen unsinnigen Fluch aufgehoben, der auf der einen Hälfte des Menschengeschlechts liegt: unberechtigt zu sein und unterdrückt von der andern Hälfte nach dem sogenannten Recht des Stärkern, welches nichts ist als die rohe Gewalt und also nicht ihr Recht, sondern ihr Unrecht. Arbeiter! Ihr habt damit die anderen Männer beschämt, die Männer der Wissenschaft, des Staats, der Geschäfte u.s.w., welche niemals daran denken, daß neben ihnen noch eine gleich große Zahl menschlicher Wesen existiert, welche auch zur Freiheit und Selbständigkeit geboren sind wie sie, ebenbürtige Wesen (…)“

http://www.zeno.org/Literatur/M/Otto,+Louise, Aufsätze aus der Frauen-Zeitung, „Sendschreiben an alle ,Verbrüderten‘; Frauenzeitung siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Frauen-Zeitung.

Abb.(PDF): Abbildung Luise Otto-Peters: https://de.wikipedia.org/wiki/Louise_Otto-Peters#/media/Datei:Louise_Otto-Peters.jpg, gemeinfrei

02

dokumentiert:  Aus den Beschlüssen des Arbeiter-Kongresses zu Berlin vom 23. August bis 3. September 1848

Zweiter Theil – Selbsthilfe der Arbeiter

§ 1 Sämtliche Arbeiter eines Ortes vereinigen sich zu einer Assoziation, ohne dadurch die bestehenden Gewerksverhältnisse aufzuheben

§ 2 Das laut § 1 des Organisationsstatus gewählte Lokalkomite für Arbeiter ist der Vorstand dieser Assoziation.

§ 3 Das Lokalkomite übernimmt das Arbeits- und Arbeiternachweisbureau. Zu dem Ende melden sich bei demselben alle Arbeitgeber und Arbeiter des Ortes, wo es dann Arbeit dem Arbeitsuchenden und Arbeiter dem Arbeitgeber zuweist.

§ 5 Für den Fall, daß das Komitee dem Einzelnen in seinem Gewerke keine Beschäftigung geben kann und sich die Masse häufen sollte, wendet sich das Komitee um Arbeit an den Vorstand der Gemeinde; ist auch dieser unvermögend, Arbeit zu geben, so sucht das Komitee durch Vermittlung des betreffenden Bezirks un des Zentralkomites die Hülfe des Staates nach.

§ 7 Kein Arbeitgeber darf in der Regel einen Arbeiter entlassen, ohne dem Lokalkomite 14 Tage vor der Entlassung unter Angabe der Gründe hiervon Anzeige zu machen, wenn nicht durch gegenseitige Übereinkunft eine anderweitige Bestimmung getroffen ist, damit das Komitee für fernerweitige Beschäftigung Sorge tragen kann. Dasselbe gilt von den Arbeitern.

§ 8 Der Lohnsatz ist für dieselbe Art der Arbeit im ganzen Orte gleich und wird durch Übereinkunft der Arbeitgeber mit den Arbeitern unter dem Vorsitze des Lokalkomites so festgestellt, daß der geringste Lohnsatz (Minimum) den Bedürfnissen des Lebens entsprechend ist.

§ 16 Unter der direkten Verwaltung des Lokalkomites bilden die der Association angehörenden Arbeiter eine Associationskasse der Art, daß durch Bestimmung des Komite’s von dem Lohne des Arbeiters 7, 8 1/2 und 10 pCt. des Lohnsatzes abgezogen werden.

§ 19 Die so errichtete Associationskasse dient als Kreditbank, der Art, daß die geliehenen Gelder durch die Zinszahlungen amortisiert werden können.

§ 29 Von allen Bestimmungen sind die weiblichen Arbeiter nicht ausgeschlossen und genießen unter gleicher Verpflichtung gleiche Rechte

Anhang zum zweiten Theil

B. Reglement für das Zentralkomite über Verwendung der disponiblen Gelder der Associationskasse

§ 1 Das Zentralkomite übernimmt die Verpflichtung, in demselben Maaße wie durch die Gelder der Associationskasse die Gewerbe unterstützt werden, auch für die Associatioinskasse den Grundbesitz zu sichern.

§ 2 Zu dem Ende werden von allen Lokal- und Bezirkskomites die Hälfte der Gelder disponibel erhalten.

3§ Das Zentralkomite kauft in Verbindung mit den betreffenden Bezirks- oder Lokalkomite und unter Hinzuziehung Sachverständiger Landgüter und Häuser in den Städten.

§ 5 Die Landgüter werden parzellirt zu gleichen Theilen und an Mitglieder der Association überwiesen der Art, das dieselben die Kaufsumme durch Ratenzahlungen armortisiren können.

§ 6 Die Übernahme solcher Parcellen ist mit der Verpflichtung verbinden, die Erzeugnisse an die Mitglieder der Association gegen übliche Bezahlung einzuliefern.

§ 7 Die Komites sind ermächtigt:

a. Erzeugnisse des Bodens als Ratenzahlungen anzunehmen.

b. In den Städten durch Aufbau von Häusern für die Arbieter gesunde und billige Wohnungen zu erzielen.

c. Den Miethern solcher Wohnungen durch Ratenzahlungen zur Amortisirung der Kaufsumme den Beitz der Häuser möglich zu machen.

Dritter Theil – Hülfe des Staates

§ 1 Jeder Deutsche ist mit 21 Jahren Wähler und wählbar für die gesetzgebende Versammlung.

§ 2 Jeder, der zu den Wahlen für die gesetzgebende Versammlung berechtigt ist, ist es auch in seiner Gemeinde zu den Gemeindewahlen. Die Ausschließlichkeit des Bürgerrechts hört somit auf.

§ 3 … Der Nachweis von Vermögen ist zum Niederlassungsrecht nicht mehr erforderlich.

§ 6 Kein Gesetz darf durch die Forderung eines Vermögensnachweises das Heiraten erschweren oder gar zu einem Vorrecht der mehr Begüterten machen.

§ 8 Bei ausbrechendem Konkurse müssen Arbeiter und Dienstboten ihren vollen Lohne ausgezahlt erhalte, sie haben vor allen anderen Gläubigern die Priorität.

§ 9 Aufhebung aller Binnenzölle.

§ 10 Aufhebung der indirekten Steuern, Einführung progressiver Einkommenssteuer mit Steuerfreiheit Derjenigen, die nur das Nöthige zum Leben haben.

§ 14 Dem Handwerker und Fabrikanten muß es erlaubt sein, ohne daß er gezwungen wäre, in kaufmännische Rechte zu treten, seine Waaren direkt an die Konsumenten zu verkaufen.

§ 24 Die wirkliche Arbeitszeit wird auf 10 Stunden festgelegt.

§ 25 Die Innungen und Korporationen von Meistern haben die Aufgabe, die gegenseitige Konkurrenz der Meister aufzuheben und einzuschränken.

§ 26 Die Aufnahme in dieselben als Meister kann Niemandem verweigert werden, welcher nachweisen kann, daß er sein Geschäft erlernt hat.

§ 27 Prüfungen zur Erlangung des Meisterrechts müssen öffentlich sein und können nur durch eine aus gleichen Theilen bestehende Kommission von Meistern und Gesellen oder Gehülfen ausgeführt werden

Quellen: [1] Beschlüsse des Arbeiter-Kongresses zu Berlin – vom 23. August bis 3. September 1848; Berlin 1848 [2] Stephan Born: Erinnerungen eines Achtundvierzigers. Herausgegeben und eingeleitet von Hans J. Schütz, Verlag J.H.W. Dietz Nachf. GmbH, 1978 [3] Grundstatuten der deutschen Arbeiter-Verbrüderung; Vereins-Buchdruckerei, Leipzig 1850 sowie Michael Schneider: Kleine Geschichte der Gewerkschaften; Dietz, Bonn 2000 und Wikipedia: Allgemeine Deutsche Arbeiterverbrüderung und http://library.fes.de/fulltext/bibliothek/tit00148/0014801a.htm, digitale Bibliothek, Chronologie: 1848