Politische Berichte Nr.2/2022 (PDF)03
Blick auf die Medien

Frankreich: Stichwahl Macron gegen Le Pen

Matthias Paykowski, Karlsruhe

Die Entscheidung über die Staatspräsidentschaft fällt wie bei allen bisherigen Präsidentschaftswahlen der 5. Republik erst in der Stichwahl. Und wie 2017 entscheiden die Wähler am 24. April erneut zwischen dem derzeitigen Staatspräsidenten Emmanuel Macron (LREM – La République en Marche) und Marine Le Pen (RN – Rassemblement National). Macron hat im ersten Wahlgang 27,8 % der Stimmen erhalten, Le Pen 23,1%. (Stand: Montag, 11.4.2022, 14 Uhr. Auf Basis von 98 % der ausgezählten Stimmen aller eingeschriebenen Wähler).

Deutlich besser als die Wahlforschung prognostiziert, schnitt Jean-Luc Mélenchon (FI – La France Insoumise) ab, als Dritter mit 22,0 %. Die drei französischen Überseeregionen Französisch-Guyana, Guadeloupe und Martinique konnte Mélenchon jeweils mehr als 50 % der Stimmen deutlich vor den anderen Kandidaten gewinnen und auch in etlichen der 50 größten Städte Frankreichs ist Mélenchon auf dem ersten Platz. Hier in Prozentangaben ein Ausschnitt daraus: Avignon 37, Grenoble 39, Le Havre 30, Lille 41, Marseille 31, Nantes 33, Roubaix 53, St. Denis 61, Strasbourg 35, Toulouse 37. (Angaben aus: Liberation, 11.4.2022, 11 Uhr.) (1)

Die weiteren Kandidaten – insgesamt zwölf hatten die mindestens 500 Unterstützer beigebracht – erzielten einstellige Ergebnisse: Éric Zemmour (REC! – Reconquête!) landete bei 7,1 %. Valérie Pécresse (LR – Les Républicains) verfehlte mit 4,8 % ebenso die Fünf-Prozent-Marke, die für die Wahlkampfkostenerstattung wichtig ist, wie Yannick Jadot (EELV – Europe Écologie Les Verts) 4,6 %, Fabien Roussel (PCF – Parti Communiste Français) 2,3 % sowie Anne Hidalgo (PS – Parti Socialiste) – mit 1,8 % das schlechteste Ergebnis in der Geschichte der PS! Noch erwähnt: Zwei trotzkistische Kandidaturen blieben unter 1 Prozent.

Die Wahl 2017 hatte das französische Parteiensystem erschüttert mit der Wahl Macrons und mit dem Niedergang der Parti Socialiste, die nur noch sechs Prozent der Wählerstimmen erhielt. 2022 schicken die Wähler die Konservativen Les Républicains in Richtung Bedeutungslosigkeit – unter fünf Prozent, sie hatten 2017 noch 20% erhalten. LR ist aufgerieben worden zwischen Macron auf der einen und Le Pen / Zemmour auf der anderen Seite. Die Kandidatin warb mit den klassischen Themen Polizei und Justiz, Kriminalität und Unsicherheit vergeblich im Feld der Rechten. Viele ehemalige Wähler fühlen sich mittlerweile am rechten Rand beheimatet.

Die französische Linke

Die Diskussionen und Versuche, die französischen linken Parteien mit einem gemeinsamen Kandidaten in die Wahl zu schicken, waren erfolglos. Mélenchon wollte nicht von einer eigenen Kandidatur zurückstehen, das Ergebnis bestätigt ihn durchaus. Die PCF stellte mit Fabien Roussel erstmals wieder einen eigenen, erfolglosen Kandidaten auf. Und La France Insoumise bemerkt jetzt, dass mit den 700.000 Stimmen an den PCF statt Le Pen Mélenchon die Stichwahl erreicht hätte! Für Mélenchon war es wahrscheinlich die letzte Kandidatur zum Staatspräsidenten, und damit ist auch die Zukunft von France Insoumise nicht ganz gewiss. Das gute Ergebnis Mélenchons wird ihnen erstmal Schwung geben für die Wahlen zur Nationalversammlung im Juni.

Empfehlungen für die Stichwahl

Der Kandidat der Grünen und die Kandidatin der Parti Socialist rufen ihre Wähler auf, Macron zu wählen. Auch die Kandidatin der Republikaner hat dazu aufgefordert, aber die Partei ist gespalten. Ein Teil favorisiert Le Pen. Fabien Roussel (PCF) erinnert an die „republikanische Front“, um eine Präsidentschaft Le Pens zu verhindern. Und Jean-Luc Mélenchon hat wie schon 2017 dazu aufgefordert, Le Pen keine Stimme zu geben. Ob seine Wähler zur Stichwahl an die Urnen gehen oder „weiß“ wählen sollen, lässt er aber offen. Zemmour und Dupont-Aignan fordern auf, Le Pen zu wählen.

Neuauflage Le Pen – Macron

Der Ausgang der Stichwahl am 24. April ist erkennbar ungewisser als 2017. Macron hat zwar gegenüber dem ersten Wahlgang 2017 dazugewonnen, aber der Abstand zwischen Le Pen und Macron hat sich auch verringert. Die Stimmen vom rechten Rand und von Teilen der Konservativen addiert, könnte es für Le Pen reichen. Vor allem aber lässt sich das Wahlverhalten links kaum prognostizieren. Macron ist in Teilen der Linken so verhasst, ein zweites Mal werde man für Macron die Stimme nicht hergeben.

Zu dieser Stimmung hat auch Le Pen beigetragen. Nach der verlorenen Wahl 2017 begann sie ihr Bild zu pflegen – seriöse Politikerin, Staatsfrau. Ihre Auftritte sind gesetzter – keine Provokationen! Sie gibt die fürsorgliche Landesmutter, Kinder im Arm. Sie kennt die Herausforderungen Alleinerziehender, ihre sechs Katzen weisen unbedingt ihre Tierschutzqualitäten aus. Und sie hat den Wahlkampf intensiv genutzt, nahezu jeden Winkel der französischen Republik besucht und den Kontakt mit dem Bürger gesucht, um sich zu zeigen, volksnah halt.

Zemmour hat mit seiner Kandidatur und den Provokationen Marine Le Pen den Raum verschafft, dass die „Entdiabolisierung“ ihre Wirkung entfalten kann. Er fängt den Teil des rechten Lagers ein, der über Le Pens inszenierten Weg in die Mitte die Heimat verlor. Sein Programm ist eine Anleitung zu ungezügelter staatlicher Gewalt und tritt die Prinzipien der französischen Verfassung mit Füssen. Das Programm basiert auf der Theorie des „Grand Remplacement“, die die Verdrängung der weißen französischen Bevölkerung durch muslimische Immigration behauptet. Mit seiner widerlichen Kampagne hat Zemmour dazu beigetragen, dass die öffentliche Aufmerksamkeit gegenüber Le Pen nachgelassen hat. Und sie kann sich inhaltlich auf das Thema konzentrieren, das derzeit viele in der französischen Gesellschaft bewegt: die Kaufkraft. „Den kleinen Leuten ihr Geld und ihr Land zurückgeben“, Mehrwertsteuer auf Benzin, Gas und Strom von 20 auf 5,5 Prozent senken, und Nahrungsmittel und Hygieneprodukte zur Grundversorgung komplett von der Mehrwertsteuer befreien …

Sanktionen gegen Putin lehnt sie ab wegen der Auswirkungen auf die Kaufkraft! Ihre Nähe zu Putin hat ihr bisher nicht geschadet. Sie strebt eine „Allianz mit Russland“ an und knüpft damit an französische Traditionen aus dem 19. Jahrhundert an. Bezüglich der EU will sie eine Verfassungsänderung, die französisches Recht über europäisches stellen soll. Das würde einen schweren Konflikt herausfordern mit den Institutionen der EU. Der Schutz „französischer Identität“ und „nationale Priorität“ sollen an den Grenzen zukünftig wieder durch Schlagbäume und Kontrollen befördert werden. Da finden sich dann auch Schnittmengen mit Mélenchons France Insoumise.

Quellen: französisches Innenministerium, https://www.resultats-elections.interieur.gouv.fr/presidentielle-2022/index.html; Le Monde, 11.4.2022; NZZ; sowie (1) https://www.liberation.fr/resultats-elections/

Abb. (PDF): Karten zu den Wahlergebnissen