Politische Berichte Nr.3/2022 (PDF)23
Ankündigungen, Diskussion, Dokumentation

„Ich hasse die Sünde – aber liebe den Sünder!“

Karl-Helmut Lechner, Norderstedt

Bremen. „... Der ganze Genderdreck ist ein Angriff auf Gottes Schöpfungsordnung, ist zutiefst teuflisch und sata-nisch...“ – Homosexualität sei alles eine Degenerationsform der Gesellschaft, die ihre Ursache in der Gottlosigkeit habe. – „... Diese Homo-Lobby, dieses teuflische, kommt immer stärker, immer massiver, drängt immer mehr hinein…“ – „…Echt, überall laufen diese Verbrecher rum, von diesem Christopher Street-Day.“

Das sind Töne, die mensch eigentlich nicht sehr oft so direkt zu hören bekommt – und aus dem Munde eines Pfarrers in Deutschland schon gar nicht. Von sich gegeben und auch auf YouTube veröffentlicht hat sie Olaf Latzel, ein deutscher evangelischer Pastor der Bremer Reformierten St.-Martini-Gemeinde. Am 19.10.2019 sprach er anlässlich eines Eheseminars über Gender und Homosexuelle wie oben zitiert. Daraufhin hat die Staatsanwaltschaft gegen ihn ein Verfahren wegen Volksverhetzung eingeleitet und das Amtsgericht verurteilte den Angeklagten am 25.11.2020 aufgrund dieser Äußerungen. Vom Landgericht wurde er hingegen jetzt — im Mai 2022 — freigesprochen. Er habe nach dem Tatbestand der Volksverhetzung im § 130 StGB nicht „zum Hass aufgestachelt“. Seine Äußerungen seien von der Religions- und Meinungsfreiheit gedeckt. Die Staatanwaltschaft hat gegen dieses Urteil erneut Revision eingelegt.

Pastor Latzel ist ein bundesweit bekannter Vertreter fundamentalistischer Glaubensauslegung der Evangelischen Kirche in Bremen (BEK). Auch sie, die BEK, leitete 2020 ein Disziplinarverfahren gegen ihn ein. Nur: die Gemeinden in der BEK sind weitgehend selbständig und dürfen ihre Pfarrer selbst wählen. Sie genießen — anders als z.B. bei den Lutherischen Kirchengemeinden — weitgehend Glaubens-, Gewissens- und Lehrfreiheit. Und diese Bremer St.-Martini-Gemeinde unterstützt ausdrücklich „ihren Pastor“ mit seiner gegen Homosexuelle gerichteten Meinung.Das Landesgericht stellte in seiner Urteilsbegründung fest, der Angeklagte argumentiere von der Bibel her. Auch wenn die Auslegung in der heutigen Zeit „archaisch verroht“ anmute, liege Hass „gegen Teile der Bevölkerung“ nicht vor und der Pastor habe nicht zu „Gewalt“ aufgerufen. Artikel 4 Grundgesetz umfasse eben auch „derartige religiöse Bekenntnisse“. Mit seiner Formulierung „Ich hasse die Sünde, liebe aber den Sünder!“ zog sich Latzen vor Gericht theologisch geschickt aus der Schlinge.