Politische Berichte Nr.4/2022 (PDF)18a
Gewerkschaften/Soziale Bewegung

Mercedes Benz Vitoria-Gasteiz, Spanien – Neuer Tarifvertrag nach neun Tagen Streik

Claus Seitz, San Sebastián

Am 17.7. stimmte die Belegschaft von Mercedes-Benz in Vitoria-Gasteiz (der politischen Hauptstadt der autonomen Region Baskenland) einem Tarifvertrag für die Jahre 2022 – 2026 zu und beendete damit einen Arbeitskonflikt, der sich über fast 20 Monate hinzog und in neun Streiktage im Juni / Juli kulminierte. Es war der erste Streik bei Mercedes in Vitoria seit über 20 Jahren.

Als wichtigsten Erfolg verbucht die Belegschaft die Abwehr der Einführung einer 6. Nachtschicht (von Sonntagabend auf Montag). Daneben sind eine Erhöhung der Tariflöhne in 2022 um 6 % und in den vier Folgejahren um jeweils 2,25 % vorgesehen. Außerdem eine Reihe von Einmalzahlungen: Für 2021 4 000 Euro, in 2022 zwei Zahlungen in Höhe von zusammen 1.500 Euro. Falls mehr als 200 000 Fahrzeuge / Jahr produziert werden, werden zusätzlich 500 Euro gezahlt. Erfolgsabhängig können weitere 2.250 Euro erreicht werden.

400 Zeitverträge sollen in feste Verträge umgewandelt werden. 150 geschützte Arbeitsplätze für Behinderte sollen eingerichtet und 250 ältere Arbeitnehmer (61 Jahre) sollen per Ablösevertrag mit jungen Arbeitnehmern verrentet werden. Samstagsschichten müssen künftig spätestens 10 Tage vor Ende des Vormonats angekündigt werden.

Mercedes plant, im Werk Vitoria 1,23 Mrd. Euro zu investieren und verknüpfte die Investitionszusage mit Forderungen nach höherer Flexibilität. Das Werk in Vitoria (1954 gegründet) ist heute das zweitgrößte Transporterwerk der Daimler AG und weltweites Leitwerk für die Fertigung der Mittelklasse Vans Vito und V-Klasse. Von Vitoria aus wird die internationale Produktion von der Werkzeugstrategie über die Logistik bis hin zum Qualitätsmanagement gesteuert.

Die Investition zielt auf einen grundlegenden Umbau des Werks. Daimler-intern will man den Zuschlag für die Plattform VAN.E.A., für die Produktion der neuen, völlig elektrifizierten Fahrzeuge erhalten und Referenzwerk für die Elektrifizierung der Plattform werden, was die Betriebsfähigkeit für über 20 Jahre sichern würde. In Worten des Werksdirektors Titos: „ein völlig neues Werk, angepasst an die neuen Technologien, vom Gesichtspunkt der Produktivität her als auch von dem des Prozesses.“

Des Weiteren soll eine Logistikzone entstehen, der Montagebereich soll erweitert und für 225 Mio. Euro soll die Lackiererei vollständig umgebaut werden, um sie an die EU-Umweltnormen anzupassen.

Die Stadt Vitoria-Gasteiz genehmigte Mercedes eine Änderung des Bebauungsplans, die eine Erweiterung der nutzbaren Fläche um 136.069 qm ermöglicht.

Mercedes soll außerdem Hauptkunde eines Batteriewerks werden, das wesentlicher Bestandteil des von der baskische Regionalregierung im Rahmen der EU-Fonds vorangetriebenen Projekts „Basquevolt“ ist, und an dem der Elektrokonzern Iberdrola maßgeblich beteiligt ist.

600 Zulieferer und 30 000 weitere Arbeitsplätze hängen indirekt am Mercedes-Werk, das 5 % des baskischen BIPs und 10 % des baskischen Exports erwirtschaftet. Von daher verwundert nicht, dass die Zuspitzung des Arbeitskonflikts entsprechende politische Unruhe hervorrief. Der baskische Regionalpräsident Urkullu reiste am 06. Juli in die Konzernzentrale nach Stuttgart, um Daimler die Unterstützung der baskischen Regierung für die geplanten Investitionen zuzusichern.

Nachdem Mercedes am 12. Juli nach sechs Streiktagen die Forderung nach der sechsten Nachtschicht zurückzog und materielle Verbesserungen zusicherte, stimmten vier der sieben im Betriebskomitee vertretenen Gewerkschaften UGT, Comisiones Obreras, Ekintza und PIM, die zusammen mit 17 Sitzen über eine Mehrheit im Betriebskomitee verfügen, einem Vorvertrag zu, der der Belegschaft am 17. Juli zur Abstimmung vorgelegt wurde. Die drei baskisch-nationalistischen Gewerkschaften ELA, LAB und ESK lehnten den Kompromiss ab, weil die Tariferhöhung nicht die Verluste durch die hohe Inflation kompensieren würde. Sie forderten auf, mit Nein zu stimmen und hielten an drei weiteren, bereits vereinbarten Streiktagen fest. Trotz starkem öffentlichen Druck, u.a. drohte Mercedes-Direktor Titos, dass sich das Werk ohne Zustimmung der Belegschaft zum Kompromiss „am Rande des Abgrundes“ befinde, beteiligten sich wiederum 95 % an den drei Streiktagen. Schließlich stimmten 2.601 Beschäftigte dem Tarifvertrag zu, 1.939 lehnten ihn ab (bei einer Wahlbeteiligung von 94,7 %). Im Oktober stehen die Neuwahlen des Betriebskomitees an und die Auseinandersetzung zwischen den Gewerkschaften muss sicher auch im Zusammenhang mit dem Kampf um die Hegemonie im Betriebskomitee betrachtet werden.

Abb. (PDF): Foto: Publikation der Gewerkschaft ELA, www.ela.eus/es/afiliate