Politische Berichte Nr.5/2022 (PDF)02b
Blick auf die Medien

Landtagswahl in Niedersachsen

Horst Kahrs, RLS, Wahlnachtbericht, Erste Deutungen, 9./10.10. Die niedersächsische Landtagswahl wird vielfach als Testwahl für die Politik der Bundesregierung in den letzten Monaten verstanden bzw. der Wahlkampf einiger Parteien (z.B. CDU) lief darauf zu: die Energieversorgungssicherheit, der sozial gerechte Ausgleich von Preissteigerungen und die Politik gegenüber dem einen Aggressionskrieg führenden Russland – breit interessierende Themen, an denen sich die Bundesregierung erkennbar mühsam abarbeitet, handwerkliche Fehler begeht, nach einer klaren Linie sucht. Alles Bedingungen, die dazu einluden, die Landtageswahl auch zu einer Abrechnung mit der Bundesregierung zu machen. Dieser Versuch ist gescheitert. SPD und Grüne gehen können eine Landesregierung bilden, die CDU verliert Einfluss auf den Bundesrat. Allein das Scheitern der FDP am Wiedereinzug setzt die Bundesregierung unter Druck.

Die Wahlbeteiligung blieb mit 60,3% deutlich unter der Vorwahl (63,1%). Sie stieg nicht wie bei den Landtagswahlen 2015 bis 2017 sprunghaft an, weil bundespolitische Themen zum Protest bei einer Landtagswahl motivierten, sondern ging zurück: der Charakter einer Protestwahl gegen die Bundesregierung blieb unterentwickelt.

Die SPD gewinnt die Wahl mit 33,4% trotz geringer Verluste und kann weiter den Ministerpräsidenten stellen. In erster Linie ist der Wahlerfolg ein Verdienst von Stephan Weil, der in den vergangenen Jahren keine großen Fehler machte und sich in den letzten Wochen und Monaten solidarisch mahnend von der SPD-geführten Bundesregierung absetzte. Gleichzeitig hat er auch Erwartungen geweckt, nämlich dass das Land in der Krise als Energieproduzent und Vorreiter der Dekarbonisierung stärker werden könne und werde.

Die Grünen verzeichnen die stärksten Zugewinne aller Parteien, stärker noch als diejenigen der AfD. An der Haltung in der grünen Wählerschaft: „Wenn die Fakten sich ändern, bin ich auch bereit, meine Meinung zu ändern“, prallten letztlich alle Versuche von links, Grüne-Wähler mit dem Hinweis auf den „Verrat“ an früheren Positionen zu gewinnen ab.

Die FDP verpasst mit 4,7% den Einzug in den Landtag. Angesichts der Schwäche der CDU bestand keine Aussicht, dass die FDP Teil einer „bürgerlichen Regierung“, so einst die Bezeichnung von Christian Lindner für eine CDU-FDP-Koalition werden könnte. Teil einer niedersächsischen Ampel zu werden, war für potentielle FDP-Wähler offensichtlich auch nicht erstrebenswert, zumal rotgrün in den Umfragen eine klare Mehrheit zu bekommen schien.

Die CDU fährt das schlechteste Ergebnis seit 1955 ein. Die Versuche, das gute Abschneiden der SPD auf die positiven Werte von Stephan Weil zu schieben, ist als indirektes Eingeständnis einer gescheiterten Wahlstrategie zu werten. Die Niederlage der Niedersachsen-CDU ist auch eine Niederlage von Friedrich Merz. Friedrich Merz schmiegte sich mit der Bezeichnung „Sozialtouristen“ für Geflüchtete aus der Ukraine den migrationsfeindlichen Tönen von Rechtsaußen an. Und der Spitzenkandidat Althusmann spielte mit seinem Wahlkampf-Slogan „Nicht lange reden. Endlich machen“ dem auch gegen demokratische Entscheidungsprozeduren gerichteten Wunsch nach „schnellen Entscheidungen“ in die Hände.

Die AfD erzielt erstmals bei einer Landtagswahl im Westen wieder Zugewinne, und zwar deutlich. Sie profitiert als einzige Partei von dem Unmut, der sich im Land angesichts der neuen Krisen und der Regierungspolitik ansammelt. Die Stimme für die AfD, so mögen manche noch denken, erhöht die Chance, gehört zu werden. Wichtiger aber ist, dass der Wahlkampf der AfD identitätspolitisch ausgerichtet war und eine offen russlandfreundliche Position bezogen wurde. Die AfD verfügt mittlerweile über eigene Kommunikationswege und die Fähigkeit zur Milieubildung auch im Westen des Landes.

Die Linke war von einigen Beobachtern eine „kleine, aber realistische Chance“ auf den Wiedereinzug in den Landtag zugesprochen wurde; zumal es für Proteststimmen günstig erschien, dass der Ausgang der Wahl klar zu sein schien, taktisches Wählen der Linken eher wenig schaden könnte. Stattdessen landet sie mit 2,7% weit unter der Sperrklausel und dem Vorwahlergebnis, bleibt erneut bei einer Landtagswahl unter 3%. Die Selbstbeschwörung, wonach es die Partei im Land „braucht“, zog nicht. Die Beschwörung von „heißem Herbst“ und „sozialen Protest“, auf die die Parteiführung seit dem Sommer setzt, zog zumindest bei dieser Landtagswahl nicht. Dazu mag auch beigetragen haben, dass der Wahlkampf mit der „Mal-ehrlich“-Kampagne weder Lösungen anbot noch die Stimmungen der Verunsicherung, der Sorge und auch des Unmuts in der Bevölkerung traf. Im Wahlkampf konnte die Partei kein eigenes Thema kenntlich machen, das bei der Wahlentscheidung den Unterschied gemacht hätte. Die Ursachen hierfür dürften in den innerparteilichen Zerrüttungen zu suchen sei, den ungeklärten Fragen, was und wen man bekommt, wenn man die Partei wählt, und in dem Zusammenfallen verschiedener unterschiedlicher tiefer Krisen, denen mit den bekannten Antworten nicht beizukommen ist. Verteilungspolitische Antworten reichen nicht mehr aus, um linke Politik erkennbar zu machen. Möglicherweise ist es nach dieser Serie von Wahlniederlagen nunmehr zu spät, mit der bereits 2019 nach der Europa-Wahl vom Co-Vorsitzenden der Bundestagsfraktion geforderten „grundsätzlichen programmatischen und strategischen Erneuerung“ ernst zu machen.