Politische Berichte Nr.5/2022 (PDF)03a
Blick auf die Medien

Liz Truss: forscher Start schafft Probleme

Eva Detscher, Karlsruhe. Nicht so gut wie behauptet steht das Vereinigte Königreich mehr als zwei Jahre nach dem Brexit und mit der neuen Regierung da. An erster Stelle seien die wirtschaftlichen und fiskalischen Unsicherheiten und Veränderungen genannt. Steigende Energie- und Lebenshaltungskosten bei einer zweistelligen Inflation, drohende Stromabschaltungen im Winter, wovor National Grid, der Betreiber der Gas- und Stromnetze auf der Insel, warnt, Hindernisse im Wirtschaften, wie die neue Zollbürokratie aufgrund des Brexits, bilden ein Szenario, für das keine Politik eine gute und/oder schnelle Lösung bieten kann. Hinzu kommt, dass der Impuls aus der so gepriesenen Unabhängigkeit „von Brüssel“ ausbleibt. Tragen und ertragen muss dies die lohnabhängige und arme Bevölkerung. Die neue Premierministerin Liz Truss, kaum im Amt, hat ein Wirtschafts- und Steuerprogramm präsentiert, was eine „Entfesselung“ der innovativen und zur Investition bereiten Kräfte und damit Wohlstand für alle erzeugen sollte. Dieser ehrgeizige Plan fiel aber durch: nicht nur auf den Finanzmärkten (das Pfund hat sofort nach Veröffentlichung empfindlich nachgegeben), sondern auch bei der eigenen konservativen Partei, deren Mitglieder sie ein paar Tage vorher mit 57 % gewählt hatten. Der Parteitag in Birmingham am 4.10.22 zwang sie, die Reduzierung des Spitzensteuersatzes für die ganz Reichen zurückzunehmen. „Wie Truss und Kwarteng gleichzeitig breite Steuersenkungen ermöglichen und die dramatischen Energiekostensteigerungen abfedern wollen, bleibt ihr Geheimnis, vom riesigen Investitionsbedarf in den Gesundheitsdienst NHS, die Pflege, Polizei, Rettungsdienste, Feuerwehren sowie die abgehängten Regionen in Nordengland ganz zu schweigen.“ (1)

Nach wie vor schwärt die Wunde des Nordirland-Protokolls. Truss’ vollmundige Ankündigung, sich darüber hinwegzusetzen, sind schon wieder Schnee von gestern. Nach wie vor ist die faktische Außengrenze zwischen UK und EU in der Irischen See. Auch Liz Truss hat keine kreative Lösung für dieses Dilemma. (2)

Der Widerstand der Nichtprivilegierten ist die dritte große Baustelle, die Truss letztendlich zur Aufgabe und zum Ausrufen von Neuwahlen im nächsten Frühjahr zwingen könnte. Ihre ausdrückliche Gewerkschaftsfeindlichkeit und ihre zynische Geringschätzung von Menschen mit niedrigem oder gar keinem Einkommen angesichts der realen Not, in der sich viele befinden, machen Truss für diese Menschen unwählbar und inakzeptabel. Der Unmut äußert sich seit Ende August in vielen Streiks. Angefangen hatten die Eisenbahner, mittlerweile wehren sich die Transportarbeiter (z.B. 2000 Arbeiter in Felixstone am größten Containerhafen Großbritanniens), Strafverteidiger und Mitarbeiter des NHS, darunter auch Ärzte. Wie die neue Regierung drauf antworten wird, ist kaum abzusehen. „Es ist daher gut möglich, dass die konservative Regierung zum zweiten Mal in diesem Jahr eine radikale Kursänderung vollzieht und Forderungen der Labour Party übernimmt: erst bei einer – im Umfang allerdings überschaubaren – Variante einer Übergewinnsteuer für Energiefirmen noch unter Johnson und Sunak und nun vielleicht durch eine Form eines Energiepreisdeckels oder andere Maßnahmen.“ (1) In diesem Kontext ist auch die überraschende, kurzfristig entschiedene Teilnahme von Liz Truss am ersten Treffen der „Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG)“ in Prag zu sehen. In existenziellen Fragen wird es ohne staatenübergreifende Zusammenarbeit, auch mit der Staatengemeinschaft EU, nicht gehen, auch wenn das „Britain-first“- Lager Liz Truss deswegen die Hölle heiß macht. Mit dem Ausbau riesiger Offshore-Windfarmen, einem Wirtschaftsbereich, in welchem UK führend ist, können alle Länder von der dort ins Netz eingespeisten Energie profitieren und damit eine Diversifizierung der Primärenergieressourcen unterstützt werden.

Aufmerksamkeit gebührt auch der widersprüchlichen Politik in Umweltfragen: Ende August machten ungeklärte Abwässer in britischen Seen, Flüssen und Meeren Schlagzeilen; der mehr oder weniger diskrete Hinweis an den Thronfolger King Charles III, er möge sich in Fragen seines Engagements für ökologische und arterhaltende Fragen doch bitte an die Vorgaben der Regierung halten, die das alles nicht so eng sieht, lassen erahnen, dass hier Konfliktstoff schlummert.

(1) Einschätzung von Florian Weis, Rosa-Luxemburg-Stiftung vom 6.9.22: „„In Liz We Truss“ oder „Urlaub von der Realität“„: https://www.rosalux.de/news/id/46965 (2) Eine Zusammenfassung der Problematik einschließlich des Nicht-Zustandekommens einer Regierung in Nordirland wegen der Verweigerung der DUP findet sich im Aufsatz von Dieter Reinisch im IPG-Journal vom 8.9.22: „ https://www.ipg-journal.de/regionen/europa/artikel/kreativlos-im-stillstand-6182/