Politische Berichte Nr.6/2022 (PDF)32
Ankündigungen, Diskussion, Dokumentation

Fairplay oder Menschenverachtung: Die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar

Ulrike Detjen, Köln

Die Vergabe der Fußballweltmeisterschaft an Katar war und ist mit Korruptionsvorwürfen an die veranstaltende FIFA verbunden, die rechtlich allerdings nicht aufgeklärt sind. Die Vergabe erfolgte 2010, Verfahren in der Schweiz sind eingestellt oder die Ermittlungen laufen nach wie vor. Dennoch wird in vielen Veröffentlichungen die Auffassung vertreten, die katarischen Vertreter in der FIFA hätten die Stimmen für die Vergabe durch Geldzahlungen an andere Mitgliedsländer erhalten. Dieses Vergabeverfahren soll kein Einzelfall sein – ähnliche Vorwürfe werden für die Vergabe der WM an Deutschland und die Russische Föderation erhoben.1

Katar ist ein kleines Land mit ca. 3 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern, von denen 2,7 Millionen Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter ohne katarische Staatsbürgerschaft sind. Dieses Verhältnis von einheimischer Bevölkerung und Migration ist in der Region verbreitet. Die herrschenden Adelsclans und die Einheimischen finanzieren ihr Leben weitgehend durch den Verkauf von Erdöl und Erdgas. Die Arbeit in der Industrie, im Handel, in den Haushalten und im öffentlichen Leben verrichten Arbeiterinnen und Arbeiter vorwiegend aus ostafrikanischen und asiatischen Ländern – Kenia, Uganda, Somalia, Bangladesch, Nepal, Pakistan, Indien und Indonesien sind ihre Hauptherkunftsländer.2 Verankerte gewerkschaftliche Rechte existieren nicht. Das von 2009 bis 2020 in Katar gesetzlich verankerte Kafala-System ist in der Region üblich. Den Migrantinnen und Migranten wird bei der Einreise der Pass abgenommen, über Unterkunft und Verpflegung bestimmen die Unternehmen. Ohne Zustimmung der Unternehmen dürfen die Arbeitskräfte nicht ausreisen. Eine Verständigung unter diesen Beschäftigten ist schwierig – verschiedene Sprachen und kulturelle Traditionen, aber auch Repression und Schikane stehen dem Zusammenschluss entgegen.

Die Kritik an der laufenden Fußball-WM entwickelte sich an verschiedenen Fragen. Zum einen die andauernde Korruptionsdebatte. Zum anderen sah sich die FIFA gezwungen, die ursprünglich für den Sommer 2022 geplante WM in den Winter zu verlegen, weil Tagestemperaturen von 50° Celsius quälend sind für die Spieler und das Publikum. Die in Katar geltende Scharia verneint international vereinbarte Menschenrechte. Außerdem entwickelte sich international die Kritik an den Arbeitsbedingungen der Arbeiter auf den Baustellen der Stadien für die WM und der für die WM zu errichtende Infrastruktur und an den zahlreichen Menschen, die auf den Baustellen und in anderen Arbeitsverhältnissen ums Leben gekommen sind.

Dietmar Schäfers, IG BAU und Vizepräsident der Gewerkschaftsföderation BHI, berichtet in einem Interview mit der FAZ: „Ich war 2013 das erste Mal in Qatar und habe genau das gesehen, was in der Öffentlichkeit immer kritisiert wird: schlechte Arbeitsbedingungen, schlechte Unterkünfte, schlechte hygienische Verhältnisse. Wir haben dann mit dem qatarischen WM-Organisationskomitee, das für die Ausrichtung der Weltmeisterschaft und den Bau der Stadioninfrastruktur verantwortlich ist, eine Vereinbarung getroffen. Diese hat uns ermöglicht, immer wieder Arbeitsinspektionen zu machen. Und mein Eindruck ist, dass es den Wanderarbeitern auf den WM-Baustellen zuletzt viel besser ging.“3

Die Kontaktaufnahme war für Schäfers nicht ganz einfach – die Delegation musste in der Eingangshalle des katarischen Arbeitsministeriums einen kleinen Sitzstreik durchführen, damit sie empfangen wurde. Danach dauerte es zwei Jahre, bis erste Verbesserungen für die Arbeiter auf den WM-Baustellen eintraten. Schäfers und die BHI sind weiter mit den katarischen Behörden in Verhandlung. Ihre Hoffnung ist, über Änderungen in Katar auch Verbesserungen in der ganzen Region zu erreichen.

Unter den Fußballfans entstand eine Kritikkampagne, nicht nur in Deutschland, auch in Spanien, Frankreich und den nordischen Staaten entstanden Boykottkomitees. In der Bundesrepublik initiierten Dietrich Schulze-Marmeling und Bernd Beyer die Kampagne BoycottQatar2022, die sich inzwischen zahlreiche Faninitiativen aus vielen Städten angeschlossen haben. Viele Vereine haben auf ihren Jahreshauptversammlungen kritische Stellungnahmen zur Fußball-WM in Katar beschlossen, nur wenige davon wurden von den Vereinsvorständen in die Öffentlichkeit kommuniziert. Die Boykott-Kampagne hat Kneipen gewonnen, keine WM-Spiele zu zeigen. Bei vielen Bundesligaspielen der letzten zwei Wochen zeigten Fans Transparente und Plakate für den Boykott der Spiele.

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung hat in der zweiten Septemberhälfte eine Rundreise mit drei Arbeitern aus Nepal und Kenia und einer Beschäftigten der ILO aus Nepal veranstaltet. Die Speakerstour fand mit großem Erfolg in neun Städten statt, teilweise in Zusammenarbeit mit örtlichen Fanclubs, so in Hamburg und Gelsenkirchen. Eine dringende Bitte der Delegation ist: „Wenn diese WM vorüber ist, dann dürft ihr uns nicht vergessen.“ Inzwischen gibt es eine bundesweite Diskussion über einen Entschädigungsfonds. Die Delegation schlug vor, dass die WM-Spieler einen kleinen Teil ihrer Prämien spenden, damit die Auseinandersetzung für die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Migrationsbevölkerung weitergeführt werden kann und die bisherigen Erfolge gesichert werden können: Abschaffung des Kafala-Systems, zwischen Juni und September Arbeitsverbot von 10 bis 15.30 Uhr draußen, Einhaltung von Arbeitssicherheitsvorschriften.4

1 https://de.wikipedia.org/wiki/Korruption_in_der_FIFA 2 Süddeutsche Zeitung, 18.9.2022 3 Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.11.2022 4 https://www.rosalux.de/fairplay

Abb. (PDF): Volles Haus bei der Veranstaltung in der Kölner Lotta mit Andreas Rettig, früherer Geschäftsführer verschiedener Bundesligavereine. Im Bild rechts: die Delegation der Rosa-Luxemburg-Speakerstour.