Politische Berichte Nr.1/2023 (PDF)18a
Gewerkschaften/Soziale Bewegung

Großbritannien: Streiks für das Recht auf Streik

Verdi Mit neuen Gesetzesverschärfungen will die britische Regierung auf die anhaltenden Streikwellen im Land reagieren. Das wollen die Gewerkschaften nicht auf sich sitzen lassen und rufen landesweit zu Streiks auf. https://www.verdi.de/themen/internationales/++co++7d0a1caa-9591-11ed-805d-001a4a160129

Für den 1. Februar hat der britische Gewerkschaftsbund TUC einen landesweiten Protesttag ausgerufen, um „eine fundamentale britische Freiheit zu verteidigen“. Aber auch schon einen Tag vorher und auch in der Woche danach werden in England Hunderttausende Beschäftigte streiken, damit ihnen das Recht auf Streik nicht genommen wird. Für den 31. Januar kündigt der Europäische Gewerkschaftsverband für den Öffentlichen Dienst (EPSU) vor allem Demonstrationen und Streiks im Gesundheitswesen an, es folgen am 1. Februar die Beschäftigten im öffentlichen Dienst, in den Sozial- und Erziehungsdiensten, am 3. Februar werden die Lehrer*innen, am 6. und 7. Februar Plegekräfte und Rettungsdienste streiken. Bereits am 16. Januar protestierte die RMT vor den Toren der Londoner Downing Street, dem britischen Regierungssitz.

Der Hintergrund: Weil in Großbritannien immer mehr Beschäftigte gegen Niedriglöhne und unzumutbare Arbeitsbedingungen streiken, plant die dortige Regierung neue gesetzliche Angriffe auf das Streikrecht. Am 10. Januar verkündete Wirtschaftsminister Grant Shapps im britischen Unterhaus entsprechende Pläne. Ziel sei es, der Regierung eine Handhabe zu schaffen damit, „öffentliche Dienstleistungen Basisfunktionen aufrechterhalten können“.

Der Gesetzentwurf „Minimum Services Bill“ wurde ursprünglich als Mittel zur Bekämpfung von Eisenbahnerstreiks von der britischen Regierung im Unterhaus eingebracht. Ziel war es, die Eisenbahngewerkschaften zu zwingen, im Streikfall einen Teil ihrer Mitglieder an die Arbeit zu schicken, um so einen Mindestbetrieb zu garantieren. Am 10. Januar fand die zweite Lesung statt. Sie wurde von Wirtschaftsminister Grant Shapps genutzt, um die Wirkungsmacht des geplanten Gesetzes drastisch auszuweiten. Nun geht es nicht mehr „nur“ gegen Eisenbahner*innen, sondern auch gegen das Gesundheitspersonal, den Bildungsbereich, die Feuerwehren, den gesamten Transportsektor, den Grenzschutz sowie jene lohnabhängig Beschäftigten, die radioaktiven Müll entsorgen sollen.

Durch dieses Gesetz werden genau jene Branchen getroffen, die in den vergangenen Monaten die größte Streikbereitschaft gezeigt haben. Teilweise geht es um den öffentlichen Sektor, teilweise um öffentliche Dienstleistungen, die aber von privaten Unternehmen durchgeführt werden. Mit dem geplanten Gesetz würde sich der Staat ein Durchgriffsrecht schaffen, wo er bislang keines hatte. Die Details sind aufgrund der sehr allgemeinen Formulierungen im vorliegenden Gesetzestext sehr schwammig. Einiges kann jedoch bereits jetzt festgehalten werden. Zum einen soll kollektive Solidarität im Streikfall untergraben werden. Das Gesetz würde bei Inkrafttreten die Arbeitgeberseite bestreikter Betriebe ermächtigen, Beschäftigte namentlich zu benennen, die während eines Streiks zur Arbeit zwangsverpflichtet werden sollen. Verdi, der Europäische Gewerkschaftsverband für den Öffentlichen Dienst (EPSU) und die Europäische Transportarbeiter-Föderation (ETF) verurteilen das englische Parlament und die Regierung des Vereinigten Königreichs aufs Schärfste. Sie fordern die Annahme des Gesetzentwurfs, der das Streikrecht zuvorderst im Transportwesen massiv einschränkt, aufzuheben und ähnliche Mindestdienstleistungsanforderungen in anderen Sektoren nicht einzuführen. Die aktuelle Streikwelle im Transportwesen und in anderen Branchen ist vielmehr auf die mangelnde Bereitschaft der Regierung und der Arbeitgeber zurückzuführen, mit den Gewerkschaften zu verhandeln, um langanhaltende Probleme zu lösen, von denen Arbeitnehmer im Transportwesen betroffen sind .