Politische Berichte Nr.2/2023 (PDF)02b
Blick auf die Medien

Umstrittene Wahlrechtsänderung

Martin Fochler, München. Die vom Bundestag mit der Mehrheit der Ampel-Koalition beschlossene Wahlrechtsänderung hat Diskussionen auf zwei verschiedenen Ebenen ausgelöst. Die erste Frage ist, ob und wie diese Änderung die politischen Gewichte unter den Wettbewerbern verschiebt. Das ist konkret klar der Fall. Die Linke wäre ohne die im Osten gewonnenen Grundmandate nicht im Bundestag, und die Position der CSU, die traditionell viele Direktmandate erzielt, würde Anteile einbüßen, als Regionalpartei wäre sie sogar in der Gefahr, selbst bei einem guten Wahlergebnis in Bayern unter 5% zu fallen, und dann würden, nach der neuen Regel, die große Zahl gewonnener Direktmandate nichts ändern. Die SPD könnte die Linke als Wettbewerber mit der Losung „verschenkte Stimme“ verfolgen, und in der Union aus CDU und CSU würden sich die Gewichte zur CDU hin verschieben. Die Politik der Ampel verletzt bei den Mitbewerbern und im Publikum das Gefühl für politische Fairness und kann damit zur Quelle demagogischer Delegitimierung von Wahlergebnissen werden.

Ein zweiter Problemkreis betrifft die Wirkung auf die Parteistrukturen. In Erinnerung an die verheerenden Prozesse der Gleichschaltung wurde in der Verfassungsordnung der BRD die Position der Länder sehr stark angelegt, viele Einzelbestimmungen folgen diesem Grundsatz, so auch, dass die Listen zur Bundestagswahl von den Landesparteien aufgestellt und die Wahlkreisbewerbungen von den im Wahlkreis ansässigen und wahlberechtigten Parteimitgliedern. Diesen letzten Punkt träfe die Wahlrechtsreform hart. Gegenwärtig muss die Hälfte der am Ende Gewählten im ersten Schritt eine Mehrheit der Parteimitglieder im Wahlkreis und im zweiten eine Mehrheit der Wahlberechtigen im Wahlkreis hinter sich bringen. In Zukunft würde die Platzierung auf der Landesliste entscheiden. Die Wahlkreisbewerbung wäre mehr eine traditionsreiche Verzierung, statt wie jetzt ein Machtfaktor in der Hand der Partei- und Wählerbasis.

Aus der Linken hat Gregor Gysi vorgeschlagen, das Problem durch eine Absenkung der Fünf-Prozent-Schwelle auf 3,5% oder 3% zu entschärfen. Das Strukturproblem und die Machtverschiebung weg von der Parteibasis und hin zur Parteibürokratie, das mit der Bedeutungsminderung der Direktmandate verbunden ist, bliebe. Man darf gespannt sein, wie die Union und namentlich die CSU ihre angekündigte Klage gegen die Wahlrechtsänderung begründen werden.