Politische Berichte Nr.2/2023 (PDF)23
Rechte Provokationen - Demokratische Antworten

Rechte Kräfte in der EU

Michael Juretzek

01 ITALIEN Regierung greift Elternrechte von gleichgeschlechtlichen Paaren an
02 FRONTEX warnte 6 Stunden vor Untergang des Flüchtlingsbootes italienische Behörden
03 „Einheit der Rechten“ bei den Regionalwahlen gestärkt
04 (faz.net vom 14.2.23) NIEDERLANDE Die Bauern-Bürger-Bewegung (BBB) wurde am 15. März in allen zwölf Provinzen stärkste Partei …
05 FRANKREICH Auseinandersetzung um das Rentenalter – RN fordert: Geburtenrate erhöhen!

01

ITALIEN

Regierung greift Elternrechte von gleichgeschlechtlichen Paaren an

Die Regierungsmehrheit im italienischen Senat stimmte gegen die Verordnung der Europäischen Kommission zur grenzüberschreitenden Anerkennung gleichgeschlechtlicher Eltern. Die Hilfsorganisation Famiglie Arcobaleno (Regenbogenfamilie) vertritt hunderte von hauptsächlich weiblichen Paaren vor Gericht, die nach einer „assistierten Schwangerschaft“ oder bei einer Adoption um die rechtliche Anerkennung als Eltern kämpfen. Einen Tag vor der Abstimmung im Senat wies das Innenministerium den Mailänder Bürgermeister an, gleichgeschlechtliche Eltern in der Stadt nicht mehr anzuerkennen. In einem Interview bekräftigte Meloni die familienpolitischen Positionen ihrer Partei, dass „ein Kind nur das Beste verdient: eine Mutter und einen Vater“. Die UN-Kinderrechtskonvention hält entscheidend für die Entwicklung der Persönlichkeit des Kindes, dass es „umgeben von Glück, Liebe und Verständnis aufwachsen sollte“ (Präambel), frei von häuslicher Gewalt, Missbrauch und Verwahrlosung.

(de.euronews.com vom 20.03.23)

02

FRONTEX warnte 6 Stunden vor Untergang des Flüchtlingsbootes italienische Behörden

Frontex: „Unsere Experten entdeckten einige Anzeichen dafür, dass das Boot eine große Anzahl von Menschen an Bord haben könnte, zum Beispiel entdeckte die Wärmekamera an Bord des Flugzeuges eine signifikant thermische Reaktion von den offenen Luken am Bug.“ Bericht und Kameraaufzeichnungen wurden um 22.30 Uhr an die italienischen Behörden geschickt. Statt die sturmtaugliche Küstenwache zu schicken, liefen zwei Boote der Zollpolizei aus, die wegen schweren Seegangs umkehrten. Weitere Hilfe unterblieb. Um 4.30 Uhr kenterte das Schiff vor Crotone. 66 der 200 Flüchtlinge starben. Die Opposition fordert bis heute die Herausgabe der Kommunikationsdokumente. (tagesspiegel.de vom 01.03.23)

03

„Einheit der Rechten“ bei den Regionalwahlen gestärkt

So kommentierte Ministerpräsidentin Meloni die Wahlergebnisse der Lombardei (Hauptstadt Mailand) und Latium (Hauptstadt Rom) vom 12. Februar. In der Lombardei wurden die Fratelli d’Italia mit 25,8% stärkste Partei, ebenso in Latium mit 33,6%. In Latium löst der von den Rechten unterstützte Kandidat die seit zehn Jahren regierenden Sozialdemokraten als Regionalpräsident ab. Ein Viertel der Italiener lebt in den zwei der insgesamt zwanzig regionalen Verwaltungseinheiten. Die Wahlbeteiligung brach von 73,1% (2018) in der Lombardei auf 41,7% ein, in Latium von 66,5% auf 37,2%. Die Regionalparlamente haben umfangreiche Gesetzgebungsbefugnisse u.a. in den Bereichen Berufsausbildung, Kindergärten, Wohnungsbau, Soziales und Kultur.

04

(faz.net vom 14.2.23)

NIEDERLANDE

Die Bauern-Bürger-Bewegung (BBB) wurde am 15. März in allen zwölf Provinzen stärkste Partei …

…, bei den niederländischen Provinzialratswahlen (vergleichbar Landtagswahlen) trat sie erstmals an. Da die Provinzen über die Zusammensetzung der 1. Kammer (vergleichbar Bundesrat) bestimmen, ist die konservativ-liberale Regierung bei ihren Gesetzesvorhaben auf Unterstützung von Grünen und Sozialdemokraten oder die BBB angewiesen. BBB lehnt die von der EU geforderte Reduzierung der Stickstoffemissionen, gegen die Landwirte protestierten, ab, fordert schärfere Regeln bei der Erteilung von Aufenthaltsgenehmigungen für Flüchtlinge und ihrem Zugang zum Wohnungsmarkt und tritt ein für „das Konzept eines Süd- und eines Nordeuros, um die, wie sie es nennt, ‚unerwünschte Praxis‘ zu beenden, bei der der Norden dem Süden aus der Patsche hilft.“ (dutchnews.nl)

Ihren Anspruch, nicht nur Bauern- sondern auch Bürgerbewegung zu sein, untermauerte sie mit Wahlsiegen in den Städten Leeuwarden, Almere und selbst Utrecht. „Die Menschen, denen seit Jahren nicht zugehört wurde, haben ihre Stimme hören lassen“, betonte die BBB-Vorsitzende Van der Plas. Ihren bei einer außergewöhnlich hohen Wahlbeteiligung erzielten 19,7% (in einigen Provinzen über 30%) stehen große Verluste der Christdemokraten, der Konservativen und der Rechtsextremen gegenüber. De Telegraaf zitiert zwei Tage nach der Wahl den Chef von D66, Ministerpräsident Ruttes Koalitionspartner: „Das ist eine Stimme der Unzufriedenheit, die von viel mehr als nur Stickstoff kommt. Wenn man sich anschaut, wo die Wähler leben, ein Gefühl der Unfähigkeit der Regierung, ein Gefühl der Verzögerung, der Ausgrenzung“. Der Fraktionsvorsitzende der regierenden konservativen CDA Heerma erklärte: „In dem Moment, in dem die Kluft zur Gesellschaft nicht geschlossen wird, gibt es ein Problem in Lebensgröße. Das liegt nicht an der CDA …“ (nos.nl, 21.3.23).

05

FRANKREICH

Auseinandersetzung um das Rentenalter – RN fordert: Geburtenrate erhöhen!

Die Vorhersagen und Schätzungen des französischen Orientierungsrates für die Renten (COR) rechnen mit dem Fertilitätsindex (ICF) als einem der Parameter. Frankreich hat in der EU eine vergleichsweise noch hohe, aber auch sinkende Geburtenrate. Der COR geht bei seinen Berechnungen davon aus, dass diese weiter sinken wird und rechnet die fehlende Zahl der Rentenbeitragszahler in negative Prozente des Bruttoinlandsprodukts um bzw. in einen erforderlichen positiven Einwanderungssaldo, um das Niveau der Einnahmen für die Rentenzahlungen zu halten. Daran knüpft Le Pens RN an. Der Kampf gegen die „Migrationsüberschwemmung“ ist der Kitt, der den RN schon seit der Gründung als Front National (FN) 1974 zusammenschweißt, die Geburtenpolitik eine der ideologischen Grundlagen der Partei und das Scharnier zwischen zwei Strömungen: den traditionalistischen Katholiken, die sich bei den Mobilisierungen gegen die „Homoehe“ ins Bild setzten, und den Identitären, die die rassistische Theorie der „großen Ersetzung“ des Schriftstellers Renaud Camus propagieren. Zemmour hatte diese Erzählung im Präsidentschaftswahlkampf 2022 offensiv bedient, und es damit Le Pen ermöglicht, diese subtiler verpackt als seriöse Familienpolitik zu propagieren.

Der RN lehnt die Heraufsetzung des Rentenalters und eine längere Lebensarbeitszeit ab. Es müsse lediglich die Kurve der Geburtenrate und der Produktivität angehoben werden. Fünf der zur Rentendebatte in der Nationalversammlung gestellten Änderungsanträge zielten auf die Familienpolitik, die Vorschläge waren aber bereits aus dem Programm von Le Pen zur Präsidentschaftswahl bekannt: steuerliche Begünstigungen ab einem zweiten Kind, ein zinsloses Darlehen von bis zu 100 000 Euro für junge Paare, die bauen oder sich eine Immobilie zulegen – ab einem dritten Kind würde das Restdarlehen geschenkt. So manches Paar wird da schon mal rechnen! Änderungsanträge des RN in der letzten Haushaltsdebatte zielten darauf, sämtliche staatlichen Hilfen ausschließlich für „Familien vorzuhalten, bei denen mindestens ein Elternteil Franzose ist“. Außerdem will der RN die „französische Geburtenrate zur großen nationalen Sache 2024“ erklären. Ein solcher Antrag war erstmals 2021 von den Republikanern (LR) eingebracht worden und wurde von RN um das Wort „französische“ ergänzt.

(Quelle: Le Monde, 3.2.2023)