Politische Berichte Nr.2/2023 (PDF)22b
Rechte Provokationen - Demokratische Antworten

Zwischen Religionsfreiheit und Volksverhetzung

Bereits im vergangenen Jahr hatten die „Politischen Berichte“ (3/2022) über den unsäglich reaktionären Pfarrer Olaf Latzel an der St. Martini-Gemeinde in der Bremer Innenstadt informiert. Er war angeklagt wegen seiner Auslassungen in einem Eheseminar im Jahre 2018 – Titel: „Biblische Fahrschule zur Ehe“ – über Menschen, die es nach seinem Weltbild überhaupt nicht geben dürfte. Auf YouTube waren seine Äußerungen verbreitet worden: „ … Der ganze Genderdreck ist ein Angriff auf Gottes Schöpfungsordnung, ist zutiefst teuflisch und satanisch…“ – Homosexualität habe … „ihre Ursache in der Gottlosigkeit.“

Karl-Helmut Lechner, Norderstedt

Vor Gericht hatte er seinen Kopf mit Hilfe alter kirchlich-religiöser Rhetorik: „Ich hasse die Sünde, liebe aber den Sünder!“ theologisch geschickt aus der Schlinge gezogen, um einer Verurteilung wegen Volksverhetzung zu entgehen. Im Mai 2022 war er freigesprochen worden.

Dagegen legte die Staatsanwaltschaft Bremen am 24.5.2022 Revision ein. Sie beharrte darauf, dass sich der Angeklagte der Volksverhetzung strafbar gemacht habe. Jetzt im Februar 2023 entschied das Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen (OLG Bremen): Der Freispruch werde aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Entscheidung an eine andere Kammer des Landgerichts zurückverwiesen. Das OLG kritisierte an dem Freispruch, das Landgericht habe bei der Bewertung der Äußerungen des Angeklagten dessen herausgehobene und mit besonderer Autorität in seiner Gemeinde versehene Stellung als Pastor unberücksichtigt gelassen. Zwar fielen die Äußerungen des Angeklagten unter den Schutzbereich der Religionsfreiheit, gleichzeitig könne aber wegen der hervorgehobenen Rolle des Angeklagten in seiner Gemeinde, der von ihm verkündeten Ablehnung grundsätzlich eine Aufstachelungswirkung im Sinne des § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB zukommen. Auch nahm es den Pastor selbst, der demonstrativ eine Bibel vor sich auf den Tisch gelegt hatte, ins Gebet: Selbstverständlich dürfe man Homosexualität ablehnen, doch dabei komme es auf die Wortwahl an. Bei Latzels Formulierungen liege sehr nahe, dass sie die Menschenwürde verletzten. Zwar fielen sie unter die Religionsfreiheit, aber die Religionsfreiheit finde ihre Grenzen in der Menschenwürde.

Parallel zum weltlichen Strafverfahren sitzt dem Pfarrer auch noch ein kirchliches Disziplinarverfahren im Nacken. Dies hatte die Bremische Evangelische Kirche (BEK) im Mai 2020 gegen ihn eingeleitet. Es ruht aber erstmal, bis das Strafverfahren abgeschlossen ist.