Politische Berichte Nr.2/2023 (PDF)30
Kalenderblatt

20. Jänner 1923 Österreich

01 Der Karl-Marx-Hof
02 www.beigewum.at Eva Bauer, Gemeinnütziger Wohnbau in Österreich – Zu Geschichte, Funktion und künftiger Perspektive

Sozialer Wohnbau im Roten Wien der Ersten Republik durch Wohnbausteuer finanziert

„Tumultartige Unruhe, Zylinder fliegen durch die Luft“, heißt es im Protokoll des Wiener Gemeinderates. Julius Tandler hatte Bauprojekte der Stadt Wien vorgestellt. Auf den Zwischennruf „Wer soll das bezahlen?“ rief er den Christdemokraten zu: „Sie, meine Herren!“ Dies führte zu diesen tumultartigen Unruhen im Wiener Gemeinderat.

Augustin Kargl, Steiermark

Zum Ende des 19. Jahrhunderts war Wien zur Millionenmetropole angewachsen, es herrschte eine eklatante Wohnungsnot. Mangels öffentlicher Wohnbauten (den kommunalen Wohnbau als Mittel gegen die Wohnungsnot lehnte die damals christlichsoziale Wiener Stadtverwaltung um die Jahrhundertwende noch ab) waren große Teile der Wiener Arbeiterschaft gezwungen, in privaten Mietshäusern zu oft unzumutbaren Bedingungen Quartier zu nehmen. Vor diesem Hintergrund entstanden um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert erste Ansätze zum Bau von Arbeiterwohnungen in Form von Werksiedlungen. Der Erste Weltkrieg sorgte jedoch für ein jähes Ende dieser Entwicklung. Im Jahr 1917 waren nahezu drei Viertel aller Wohnungen in Wien überbelegte Ein- und Zweizimmerwohnungen.

Die Habsburger Monarchie hat den Weltkrieg nicht überstanden, Kaiser Karl, im Glauben er sei Kaiser von Gottes Gnaden, ging nur schweren Herzens ins Exil. Seine Seligsprechung im Jahr 2004 mag ein Trost für die wenigen Monarchisten in Österreich sein.

Am 12. November 1918 wurde von einer provisorischen Nationalversammlung die Republik Deutschösterreich ausgerufen, als deren erster Kanzler Karl Renner bestimmt wurde.

Die Sozialdemokraten hatten nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und der Einführung des allgemeinen Wahlrechts für Männer und Frauen 1918 bis zu den letzten freien Wahlen (1932) eine Mandatsmehrheit in Wien inne. Zweitstärkste Partei in der Ersten Republik waren in Wien die Christlichsozialen, bei den Gemeinderatswahlen 1932 gewann auch die NSDAP Mandate.

Bei den Wahlen am 4. Mai 1919 erhielten die SDAP 368228 (54,2%), Christlichsoziale 183937 (27,1%), Großdeutsche 35700 (5,2%), Demokraten 17605 (2,6%), Tschechoslowaken 57380 (8,4%), Jüdische Partei 13075 (1,9%) Stimmen. Die absolute Mehrheit war Voraussetzung für die kommunale Wohnbautätigkeit der Zwischenkriegszeit, die weltweite Beachtung fand.

Die entscheidenden Weichenstellungen erfolgten dazu mit den Steuerreformen durch Finanzstadtrat Hugo Breitner und mit dem Beschluss des ersten Wiener Wohnbauprogramms.

Die Steuerreformen stellten die Einnahmen der Stadt auf eine neue Grundlage. Vor dem Ersten Weltkrieg erzielte man in Wien drei Viertel der kommunalen Steuereinnahmen über die Mietzinserträge. Weil aber gerade Mieter von Kleinwohnungen überproportional hohe Mieten zu bezahlen hatten, waren sie auch in überhöhtem Ausmaß mit dieser Steuer belastet. Einen weiteren wichtigen Einnahmeposten stellten die Kommunalbetriebe dar. Die sozialdemokratische Stadtverwaltung versuchte nach dem Krieg, einen sozialen Ausgleich über die Steuerpolitik zu erzielen. Bereits vor 1923 hob man diverse Luxussteuern, Betriebs- und Verkehrs- sowie Boden- und Mietsteuern an.

Die Wohnbausteuer

Am 20. Jänner 1923 beschloss der Gemeinderat eine neue zweckgebundene „Wohnbausteuer“. Diese Wohnbausteuer wurde zur wichtigsten Finanzierungsgrundlage für die städtische Bautätigkeit und war sehr progressiv gestaffelt. Die eigentliche Geburtsstunde des Roten Wien schlug am 21. September 1923, als der Gemeinderat den denkwürdigen Beschluss fasste, in fünf Jahren 25 000 leistbare, gesunde, helle Wohnungen zu bauen.

Die Steuerpolitik erhielt mit den Luxussteuern und der ertragreichen Wohnbausteuer auch einen klassenkämpferischen Zug. So trugen die billigsten Wiener Wohnungen und Geschäftslokale (82 Prozent der Mietprojekte) nicht mehr als 22 Prozent zu ihrem Aufkommen bei, während die Steuer allein für die 86 teuersten Objekte so viel ausmachte wie die für 350 000 ProletarierInnenwohnungen.

Kein Wunder, dass der Finanzstadtrat Hugo Breitner zum Hassobjekt der Bourgeoisie und zur Zielscheibe antisemitischer Diffamierung wurde.

Ein gewaltiges Unternehmen wurde ins Werk gesetzt. In 384 kommunalen Wohnprojekten beschäftigte die Gemeinde neben den Architekten des Magistrats 189 freischaffende Architekten darunter auch die berühmte Margarete Schütte-Lihotzky. Was in der Rückschau wie die planmäßige Verwirklichung einer auf die Großstadt projizierten sozialistischen Utopie ausschaut, stellt sich bei genauerer Betrachtung als geniale Kombination von durch die Umstände nahegelegten Improvisationen dar. Die beabsichtigte Sozialisierung der großen Industrien scheiterte am Widerstand des Großkapitals und der christlichsozialen Partei. In der Gemeinde Wien gelang es aber, austromarxistische Ziele im Wohnbau, Schul- und Gesundheitswesen umzusetzen.

Als sich aber die Kräfteverhältnisse Ende der 20er Jahre noch weiter nach rechts verschoben, war es gerade die Finanzpolitik, mit der dem Sozialismus in einer Stadt der Todesstoß versetzt wurde. Die Wohnbausteuer deckte nämlich nur ein Drittel der Aufwendungen für den Wohnbau. Der Rest kam aus dem allgemeinen Budget der Stadt, das wiederum zu 44 Prozent aus dem Ertragsanteil Wiens an den Bundessteuern gespeist wurde. Als die christlichsoziale Regierung 1930 dazu überging, diesen Ertragsanteil drastisch zu reduzieren und so der Stadt eine harte Austeritätspolitik aufzwang, kam auch der kommunale Wohnbau zum Erliegen. Davor musste auch Hugo Breitner kapitulieren, der im Herbst 1932 aus „gesundheitlichen Gründen“ zurücktrat.

Diffamierung, um die öffentliche Meinung umzudrehen

Teils erbitterten politischen Widerstand erfuhr die SDAP-Wohnbaupolitik aus dem bürgerlichen Lager. In publizistischen Kampagnen wurden die angebliche qualitative Unzulänglichkeit der Gemeindebauten angeprangert (bis hin zur „Einsturzgefahr“), der in Wien 1922 eingeführte Mieterschutz sowie die Wohnbau- und andere sogenannte „Breitner-Steuern“ unablässig diffamiert. Im Jahr 1929 engte schließlich eine von der konservativen Bundesregierung erzwungene Neufassung des Finanzausgleichs die eigenständige Wiener Finanzpolitik wesentlich ein. Die Niederlage der Sozialdemokratie im Februar 1934 (Februarkämpfe) bedeutete auch das Ende der Wohnbaupolitik des „Roten Wien“.

Die Austrofaschisten nutzen Unstimmigkeiten im Parlament, die KPÖ und SDAP wurden verboten. Der soziale Wohnbau wurde gestoppt.

Die zentrale Mobilisierungsinstitution für den Ständestaat war die katholische Kirche, was sich auch in der Bautätigkeit niederschlug. Zwischen 1934 und 1938 wurden in Wien zehn neue Kirchen gebaut. Zu den neuen Pfarrkirchen kamen die sogenannten „Notkirchen“, die in den größeren Wohnhausanlagen des Roten Wien installiert wurden, die erste bereits 1934. Die Rekatholisierung der Arbeiterschaft gelang dem Ständestaat jedoch ebenso wenig wie die Deckung des Wohnungsbedarfs durch private Bautätigkeit.

Trotz seiner Niederlage gilt das Rote Wien als bedeutendstes Beispiel eines sozialdemokratischen Reformismus. Die Antwort auf die Frage, ob der Austromarxismus, der es ideologisch einrahmte, nichts weiter als eine Schimäre war, die den radikalen Teil der Arbeiterinnenklasse bei der Stange halten sollte, oder ob er tatsächlich eine Strategie zur sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft darstellte, liegt allerdings unter den Trümmern des Februar 1934 und den geistigen Verwüstungen, die der Nationalsozialismus hinterließ, vergraben.

In der Zeit des Roten Wien wurden ab 1923 bis zur Ausschaltung der Demokratie 1934 im Zuge zweier großer Wohnbauprogramme von der Stadt insgesamt 61175 Wohnungen in 348 Wohnhausanlagen und 5227 Wohnungen in 42 Siedlungen erbaut

Quellen: https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Wohnbaupolitik_des_%22Roten_Wien%22 | https://www.volksstimme.at/index.php/blog/item/437-rotes-wien-der-optimistische-blick-in-die-vergangenheit.html

01

Der Karl-Marx-Hof

Früher führten Seitenarme der Donau durch dieses Gebiet. Die Errichtung des Karl-Marx-Hofes in den Jahren 1927 bis 1930 hatte für die Wiener Sozialdemokratie der Zwischenkriegszeit symbolhaften Charakter. Die von Bürgermeister Karl Seitz am 12. Oktober 1930 eröffnete Wohnanlage sollte das neue Selbstverständnis der Arbeiterschaft demonstrieren. Bürgermeister Karl Seitz sprach bei der Eröffnung die Worte: „Wenn wir einst nicht mehr sind, werden diese Steine für uns sprechen“.

Der Karl-Marx-Hof wirkt wie ein Palast, eine Festung. Damit stellte der Hof für die politische Gegenseite, die im Inneren ein Waffendepot vermutete, eine Provokation dar. Durch seine Geschichte wurde der Karl-Marx-Hof wohl zum berühmtesten der Wiener Gemeindebauten.

Im Zuge des Bürgerkrieges 1934 entbrannten auf dem Gelände des Karl-Marx-Hofes heftige Kämpfe. Mitglieder des Republikanischen Schutzbundes und Arbeiter verschanzten sich in der Wohnhausanlage und kamen unter Artilleriebeschuss von Polizei, Heimwehr und Militär. Die ersten Schüsse fielen am 12. Februar 1934. Während der Kämpfe kamen mehrere Arbeiter zu Tode, einige wurden gefangen genommen und gefoltert. Der örtliche Anführer wurde hingerichtet.

Die Architektur

Der Karl-Marx-Hof imponiert mit massiven Mauern, riesigen bogenförmigen Durchfahrten, mächtigen Toren und Fahnenmasten. Die Fassaden zeigen kleine Fenster. Einziger Schmuck der gleichförmigen Fronten sind fortlaufende Balkone.

Auf einer Gesamtfläche von 156 000 Quadratmeter befinden sich große Innenhöfe mit weitläufigen Gartenflächen, Plätzen und Wegen. Als Ort der Begegnung sollen die Höfe den Bewohnern ein Gefühl der Zusammengehörigkeit und Sicherheit vermitteln.

Darüber hinaus verfügt die Wohnhausanlage über eine Reihe von Gemeinschaftseinrichtungen wie Mütterberatungsstelle, Zahnklinik, Apotheke, Postamt, Bücherei, Jugendheim, zahlreiche Geschäfte, Zentralwäschereien etc. In der Mitte der über einen Kilometer langen Gebäudefront öffnet sich der „Ehrenhof“ zur Heiligenstädter Straße hin. In seiner Rückwand begrenzt der höchste Teil der Anlage mit fünf Stockwerken und sechs Turmaufbauten den Hof. Dieser Teil enthält auch die bogenförmigen Durchfahrten. An den Flanken fällt die Höhe in einem ruhigen Übergang in vier- und dann in dreistöckige Gebäude ab.

… und die Kunst

Eine überlebensgroße Bronzefigur von Bildhauer Otto Hofner stellt einen „Sämann“ dar. Sie schmückt den gärtnerisch ausgestalteten Ehrenhof.

Die vier feingliedrig und schmal gearbeiteten Figuren des Künstlers Josef Riedl zieren den Mitteltrakt und symbolisieren die „Freiheit“, die „Fürsorge“, die „Aufklärung“ und die „Körperkultur“. Die Darstellungen betonen die Grundlagen für ein gesundes, gemeinschaftliches Wohnen im Sinne der Sozialdemokratie.

Quelle: https://dasrotewien-waschsalon.at/karl-marx-hof. Abbildungen aus der instruktiven Fotostrecke ebenda.

Abb. (PDF): Architekt: Karl Ehn (1884-1959) studierte von 1904 bis 1907 an der Akademie der bildenden Künste Wien bei Otto Wagner. Bereits 1908 trat er in den Dienst des Wiener Stadtbauamts. Vor dem Ersten Weltkrieg errichtete er vor allem Nutzbauten wie etwa Lagerhäuser für die Gemeinde Wien. In den 1920er- und 1930er-Jahren entstanden zahlreiche Wohnhausanlagen nach seinen Entwürfen, darunter auch sein prominentestes Bauwerk: der Karl-Marx-Hof in Wien 19. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg war Ehn noch als Architekt tätig. Sein letztes Bauwerk, der Karl-Schönherr-Hof in Wien 9, wurde 1952 vollendet.

Abb. (PDF): Karl.Marx-Hof, Statuen, Symbolik

02

www.beigewum.at Eva Bauer, Gemeinnütziger Wohnbau in Österreich – Zu Geschichte, Funktion und künftiger Perspektive

Eva Detscher, Karlsruhe. Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen in Österreich hat einen Ursprung im Jahr 1895 in Knittelfeld. Dort wurde die erste Wohnungsgenossenschaft gegründet. Im Laufe der Geschichte waren solche Projekte mit „unterschiedlichen sozialen und politischen Vorstellungen verknüpft, wie z.B. die ,Reformsiedlung Eden‘ oder die Genossenschaft ,Heimhof‘, die durch Auguste Fickert, einer Vertreterin der radikalen bürgerlichen Frauenbewegung gegründet wurde, die Wohnversorgung alleinstehender berufstätiger Frauen zum Ziel hatte und dies im ersten Ein-Küchen-Haus in Wien realisierte.“ Eine zweite Quelle findet sich im sogenannten „Dienstnehmer-Wohnbau“, der oft als Vorläufer des sozialen Wohnungsbaus verstanden wird. „Da sich die überwiegende Zahl der Industriebetriebe außerhalb der Städte befand, hatte der Werkswohnungsbau im 19. Jahrhundert eine weite Verbreitung.“

Als Wien im Jahr 1922 ein selbstständiges Bundesland wurde und damit in der Lage war, eigene Steuergesetze zu verabschieden, wurde mit der Anfang 1923 verabschiedeten zweckgebundenen Wohnbausteuer schließlich das entscheidende Instrument in der Wohnbaupolitik geschaffen.

Zitate nach: Eva Bauer, Gemeinnütziger Wohnbau in Österreich, http://www.beigewum.at/wordpress/wp-content/uploads/020_eva_bauer.pdf, KurswechseL 3/2006: 20-27