Politische Berichte Nr.2/2023 (PDF)29
Globale Debatten - UN Initiativen

Auf dem Prüfstand: Menschenrechte in Indonesien

Edda Lechner, Norderstedt

In einem eigenen Verfahren, dem „Periodic Review System (UPR)“, wird regelmäßig alle vier-fünf Jahre die Situation der Menschenrechte in jedem UN-Mitgliedstaat überprüft. Seit dem 9. November 2022 liegt ein solcher für den größten Inselstaat der Welt, Indonesien, mit seinen 276 Millionen Einwohnern vor. Stehen Menschenrechte dort nicht nur auf dem Papier – religiöse und ethnische Minderheiten sind hier in der Tat verfassungsrechtlich gleichgestellt –, sondern werden sie auch im Alltag umgesetzt? Dazu gibt es nicht nur eine umfangreiche Stellungnahme des Staates selbst, der natürlich seine Erfolge deutlich hervorhob. Es äußerten sich auch 107 UN-Mitgliedstaaten, die in ihren 291 Empfehlungen eine Vielzahl menschenrechtlicher Defizite wahrgenommen und dringend Änderungen angefordert haben. Die benachbarten Pazifikstaaten der Marshall-Inseln, Neuseeland, Vanuatu und Australien äußerten sich dazu besonders engagiert, und dies geschah wiederum vor allem in Bezug auf die zu Indonesien gehörende Insel Westpapua.

Die Länder empfahlen Indonesien insgesamt und dringend, ihre internationalen Menschenrechtsverträge zu ratifizieren, Strafrechtsbestimmungen zu überarbeiten, die Todesstrafe abzuschaffen, den Rechtszugang für alle zu gewährleisten, die LGBTIQ-Rechte zu stärken, Menschenrechtsverletzungen umfassend zu untersuchen, Menschenrechtsverteidiger*Innen nicht zu verfolgen und zukünftig die Meinungs- und Versammlungsfreiheit für alle zu garantieren. Zusammen mit den pazifischen Vertretern forderten die USA, Kanada und die Niederlande, mit den Papuas einen intensiven Dialog aufzunehmen und ihnen endlich das Versammlungs-, Rede-, Meinungs- und Pressefreiheit zuzugestehen. Für die vielen Verletzungen ihrer Rechte durch die Sicherheitskräfte – wovon besonders die Frauen und Minderheiten betroffen seien – solle es in Zukunft keine Straffreiheit mehr geben. Das Hohe Kommissariat für Menschenrechte (OHCHR) hatte dies nach seinem Besuch in Westpapua bereits zuvor thematisiert.

Auch die Vereinten Nationen (UN) kritisierte diesen unhaltbaren Zustand auf der Grundlage der OHCHR-Berichte und dem UPR-Verfahren. Laut dieser Studien kam es besonders gegen die indigenen Papuas zu außergerichtlichen Tötungen, Verschwindenlassen, willkürlichen Verhaftungen, Inhaftierungen und Folter in Polizeigewahrsam. Die daraufhin zunehmende Gewalt zwischen den Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppen, die Widerstand leisteten, führte zur Vertreibung von Tausenden von indigenen Papuas in die Wälder, ohne dass sie dort Zugang zu angemessener Nahrung, Gesundheitsversorgung oder Bildungseinrichtungen finden konnten. Der Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung erklärte, dass der gemeldete Tod von 72 Kindern in Papua an vermeidbaren Krankheiten und Unterernährung ein Versäumnis der Regierung sei, ihrer Verpflichtung nachzukommen. Und der Sonderberichterstatter für das Recht auf Gesundheit stellte fest, dass die Wahrscheinlichkeit, an HIV/Aids zu erkranken unter den ethnischen Papuas doppelt so hoch sei wie in der übrigen Bevölkerung. Das Länderteam der UN äußerte sich besorgt über die in Indonesien wahrgenommenen Online-Überwachungen und Cyberangriffe gegenüber Menschenrechtsverteidigern, Studierenden, Juristen, Medien und zivilrechtlichen Organisationen. 2019 waren in Verbindung mit sozialen Unruhen einfach das Internet und die mobilen Datennetze abgeschaltet worden. Umweltschützer wurden schweren Schikanen, Einschüchterungen, Überwachungen, physischen Angriffen und Kriminalisierung, sowie zweifelhafter Anklagen ausgesetzt.

Menschenrechtsaktivist*innen aus Indonesien selbst freuten sich über diese vielfältigen kritischen Untersuchungen und Stellungnahmen besonders darüber, dass erstmalig neun Staaten aus aller Welt explizit das vor allem von den Schikanen betroffenen Einwohner Papuas in ihren Empfehlungen und Fragen erwähnt hatten. So werde sich die internationale Gemeinschaft der Situation in Westpapua endlich bewusst. Immerhin sind sie in dieser zerstreuten Inselwelt unter den Javanern, Sundanesen, Malaien, Bataker, Maduresen, Betawi, Minangkabau, Buginesen und Bantenesen – um nur einige davon zu nennen – und den vorhandenen wohl fast 700 Sprachen nur eine bisher unbeachtete Minderheit gewesen.

Was den Staat Indonesiens anbetrifft, so sind nach all den engagierten UPR-Berichten und Mahnungen zunächst noch keine Einsichten oder Verbesserungen festzustellen. Im Gegenteil: Die Regierung in Jakarta plant „die Verlängerung des Gesetzes über die Sonderautonomie für Papua bis zum Jahr 2041 und die Pläne zur Schaffung neuer Provinzen in Papua“ – ohne dass zuvor eine sinnvolle Konsultation mit den papuanischen Institutionen oder Gemeinschaften erfolgte. Bereits 2022 wurden aus den alten zwei Provinzen Papuas – Papua und Papua Barat – fünf Provinzen gemacht und laut „Jakarta-Post“ soll eine sechste dazu kommen – um die Einheit der indigenen Papuas und anderer Gruppen weiter zu zersplittern?

Am 6. Dezember 2022 verabschiedete das indonesische Repräsentantenhaus außerdem ein neues Strafgesetz, das im Grunde genommen eine Überarbeitung des 1908 von der niederländischen Kolonialmacht erstellten Gesetzes darstellt und 2006 ad acta gelegt wurde. Es enthält etwa die Androhung von Bestrafung, wenn der Präsident beleidigt wird, was Usman Hamid von amnesty international Indonesien eine selektive Durchsetzung zur Unterdrückung nennt. Das Gesetz verbietet weiterhin öffentliche Demonstrationen und greift moralisch brutal in die Privatsphäre jedes Einzelnen ein: Unter Androhung von Gefängnis werden außerehelicher Geschlechtsverkehr und Zusammenleben verboten, ebenso werden Empfängnisverhütung und Abtreibung als Straftat gewertet.

Die Generalsekretärin der Allianz der indigenen Völker des Archipels (AMAN), Frau Rukka Sombolinggi, hat alle indigenen Völker des indonesischen Archipels aufgerufen, sich zu erheben und sich gegen alle Formen der Gewalt und Ungerechtigkeit im Lande zu vereinen. Dies sagte sie bei der Eröffnung des sechsten Kongresses der indigenen Völker des Archipels (KMAN) in Sentani in Westpapua im Oktober vergangenen Jahres. „Unser Kampf ist noch lang und es hängt alles von uns ab!“

Quellen: Pazifik aktuell Nr. 132 – Dezember 2022, Pazifik Informationsstelle, https://www.pazifik-infostelle.org/

Abb. (PDF): Der Menschenrechtsaktivist Filep Karma, einer der bekanntesten politischen Gefangenen Westpapuas, wurde tot an einem Strand in Jayapura aufgefunden. Der 63jährige war der einflussreichste Kämpfer für die Unabhängigkeit Westpapuas. Das Bild zeigt ihn bei seinem Besuch in Hamburg 2018 (Foto Ingrid Schilsky).