Politische Berichte Nr.3/2023 (PDF)32
Ankündigungen, Diskussion, Dokumentation

Kriminelle Vereinigung?

Ziviler Ungehorsam in der Klimakrise

Christiane Schneider, Hamburg

Am 24. Mai ließ die Generalstaatsanwaltschaft München in sieben Bundesländern 15 Einrichtungen von Mitgliedern der „Letzten Generation“ durchsuchen und kistenweise Dokumente beschlagnahmen. Zudem beschlagnahmte sie Konten und auch die Website der Gruppe. Dort veröffentlichte sie unter ihrem Wappen und dem des LKA Bayern den „Hinweis:“

„Die Letzte Generation stellt eine kriminelle Vereinigung gemäß §129 StGB dar! (Achtung: Spenden an die Letzte Generation stellen mithin ein strafbares Unterstützen der kriminellen Vereinigung dar!)“

Diesen klar rechtswidrigen, weil die Unschuldsvermutung verletzenden Hinweis nahm sie erst nach etlichen Stunden und vielen Anfragen und Protesten von der Seite. Eine solche Behauptung steht Gerichten nach rechtlicher Klärung zu, was der Generalstaatsanwaltschaft natürlich bekannt ist. Warum also leistet sie sich eine so offensichtlich rechtswidrige Vorverurteilung? Der Neue Richterbund sieht in seiner Pressemitteilung vom 25.5. einen möglichen Zusammenhang mit dem „aufgeheizten Umfeld“, etwa den Forderungen des bayerischen Ministerpräsidenten Söder nach „strikte(m) Durchgreifen“ und den nicht mehr fernen Landtagswahlen, und erinnert daran, dass in Deutschland die Staatsanwaltschaften „allen europäischen Mahnungen zum Trotz (…) weisungsabhängige Behörden im Geschäftsbereich der Landesregierungen“ sind. Die Münchner Linke hat mit anderen Strafanzeige gegen Mitglieder der Landesregierung gestellt, um aufzuklären, ob die Generalstaatsanwaltschaft auf Weisung gehandelt habe. Umstritten ist aber auch die Durchsuchung selbst. Der Frankfurter Professor für Strafrecht und Richter am OLG hält sie für unverhältnismäßig und rechtswidrig. (Hessenschau, 26.5.) Der frühere Verfassungsrichter Voßkuhle sieht in den Aktionen der Letzten Generation eher „harmlose Sandkastenspiele“. (Rheinische Post, 26.5.)

Die Frage, ob es sich bei der Letzten General um eine „kriminelle Vereinigung“ handelt, wird derzeit (nicht nur) von Juristinnen und Juristen breit und kontrovers diskutiert. Diese Frage hat vor allem deshalb Bedeutung, weil die Bejahung des §129 den Weg für sonst nicht mögliche Grundrechtseingriffe von Durchsuchungen bis zur Telekommunikationsüberwachung freimacht. Bevor das Amtsgericht München in seiner Begründung für den Durchsuchungsbeschluss einen Anfangsverdacht feststellte, hatte nur die Staatsschutzkammer des Landgerichts Potsdam einen solchen Anfangsverdacht bejaht. Die Staatsanwaltschaft Berlin dagegen sieht keine Anhaltspunkte, andere Gerichte, Staatsanwaltschaften und Justizbehörden prüfen noch.

Entgegen der verbreiteten Annahme, es ginge vor allem um die Verfolgung wirtschaftlich motivierter, d.h. organisierter Kriminalität, diente der §129 seit seinem ersten Vorläufer von 1851 vor allem der Verfolgung „staatsfeindlicher Verbindungen“: unter Bismarck gegen die SPD, in der Weimarer Republik vor allem gegen die KPD, ebenso in den 1950er Jahren, als der §129 die Bezeichnung „Bildung krimineller Vereinigungen“ erhielt. Später, in den 1990er Jahren bis 2001 – Einführung des §129b – gegen die PKK. Mit der Reform des §129 im Jahr 2017 hat man, durchaus konsequent, den Passus, der das Motiv des Zusammenschlusses bezeichnet, geändert: Es geht seither nicht mehr um den Vereinigungszweck, „sich unmittelbar oder mittelbar einen finanziellen oder zu sonstigen materiellen Vorteil zu verschaffen“, sondern allgemein um die „Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses“.

Der auch für juristische Laien oft interessante Verfassungsblog.de veröffentlichte kontroverse Stellungnahmen zu der Frage, ob der §129 auf die Letzte Generation angewandt werden könne. Prof. Dr. Klaus-Ferdinand Gärditz argumentiert strikt rechtspositivistisch oder, nach Habermas, im Sinne eines „autoritären Legalismus“. Seit der Reform 2017 kann mit Gefängnis bis zu fünf Jahren verurteilt werden, wer eine Vereinigung gründet bzw. beitritt, deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind. Da bleiben nur wenige Straftaten, die wegen geringerer Höchststrafe herausfallen. Nötigung, die der Vereinigung vorgeworfen wird, wird mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft.

Gärditz‘ Argumentation zusammengefasst: „‚Klimakleber‘ schützen nicht das Klima, sie setzen nur unter Klebstoffeinsatz von der Rechtsordnung verfassungskonform kriminalisierte Mittel ein, um einem politischen Anliegen zu größerer Wahrnehmung zu verhelfen. Wer Straftaten begeht, muss damit leben, dass diese Taten dann auch in regulären Strafverfahren verfolgt werden. Die aufgeblasene Aufregung hierüber ist dann nur Bigotterie.“

Dagegen geht Samira Akbarian in ihrem lesenswerten Beitrag von den „Ungleichgewichte(n) in den Möglichkeiten politischer Einflussnahme“ aus: Unter Bezug auf Ausarbeitungen von John Rawls und Jürgen Habermas sieht sie die Aktionen des zivilen Ungehorsams als Mittel, „schwerwiegende Gerechtigkeitsverstöße“ zu thematisieren, Themen auf die Agenda zu setzen, Machtungleichgewichte auszugleichen und Ziele für die „Ausgestaltung der normativen Zukunft“ zu entwickeln – das alles unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsmaßstabes: Öffentlichkeit der Aktionen, Aktionen von symbolischem Charakter, Gewaltfreiheit, Akzeptieren von Strafen. Daran halte sich die Letzte Generation im Wesentlichen.

Die Auseinandersetzung hat erst begonnen. Ihr Verlauf wird auch das politische Klima in diesem Land stark prägen. Kritische Solidarität mit der Letzten Generation ist angesagt. Dazu gehört – was bisher vernachlässigt wird –, sich erneut auseinanderzusetzen mit dem §129 StGB, der politische Opposition bedroht.

Abb. (PDF): Solidaritätskundgebung mit der Letzten Generation am 31.5. in Hamburg