Politische Berichte Nr.04/2022 (PDF)03
Aktuell aus Politik und Wirtschaft

Die rechte Volkspartei kann zusammen mit den Faschisten bei den spanischen Wählern keine Mehrheit erringen

01 Die PP auf dem Weg in die Einsamkeit
02 Info: Das spanische Wahlsystem
03 Sumar: Niedergang gestoppt

Claus Seitz, San Sebastián

Javier Pérez Royo schrieb am 11.7. in El Diario: „Mit dem Ergebnis vom 28. Mai bekommt die Rechte bei den Parlamentswahlen keine Mehrheit. Das ist keine Meinung, sondern eine empirische Feststellung. Dies war meines Erachtens der erste Grund für den Ministerpräsidenten, das Parlament aufzulösen und für den 23. Juli Wahlen auszurufen. Das Land wurde bei den Regional- und Kommunalwahlen gegen die ‚Abschaffung des Sánchismus‘ geimpft. Die Wiederholung desselben Arguments kann aufgrund der Natur der Dinge nicht dieselbe Wirkung haben. Genauso wenig wie die Wiederbelebung der ETA und anderer Verrückter, mit denen die Rechte am 28. Mai operierte. (…) Jetzt ist es an der Zeit, dass die Linke das, was diese Legislaturperiode prägte, zur Geltung bringt. (…) Bei der Arbeitsreform und der Anhebung des branchenübergreifenden Mindestlohns, begleitet von der größten Schaffung unbefristeter Arbeitsplätze in unserer Geschichte, den Fortschritten bei der Anerkennung der Grundrechte: Euthanasie, Schwangerschaftsabbruch, Trans-Gesetz, usw. (…) In der Idee von Spanien, die PP und Vox haben, hat die Mehrheit der spanischen Bevölkerung keinen Platz. Das ist der Grund, warum sie Parlamentswahlen nicht demokratisch gewinnen können. Ihre Vorstellung von Spanien ist die gleiche, die General Franco hatte. Die PSOE kann alleine die Wahlen nicht gewinnen. PSOE plus Sumar können sie nicht verlieren. Das wird sichtbar werden in dem Maße, wie wir uns in Richtung des Wahltages bewegen.“ Pérez Royo sollte mit seiner Einschätzung Recht behalten. Was verbleibt, ist, dies mit Daten und Fakten zu illustrieren.

Impressionen eines „schwindelerregenden“ Wahlkampfs

Ende Juni treffen erste Meldungen über Koalitionsabkommen PP-Vox in Regionen und Städten ein. Vox-Politiker werden zu Parlamentspräsidenten gewählt, in Valencia eine ultrakatholische Abtreibungsgegnerin, in Aragonien eine transphobe Pandemieleugnerin, auf den Balearen einer der den Klimawandel und Gewalt gegen Frauen leugnet und Verschwörungstheorien über die Unterwanderung der weißen Rassen durch Muslime propagiert. Gleichstellungs- und Umweltministerien werden aufgelöst, Regenbogenflaggen von Rathäusern abgehängt, … In Extremadura, wo die PP im Ergebnis hinter der PSOE bleibt, lehnt PP-Spitzenkandidatin Guardiola eine Koalition mit Vox ab. Auf Anordnung von Feijóo wird dennoch eine Koalition gebildet. Gleichzeitig verbreitet Feijóo, Sánchez solle sich nach der Wahl enthalten, damit die PP als stärkste Partei ohne Vox regieren könnte.

7.7. Bei den San Fermin-Feiern in Pamplona tanzen und singen Mitglieder der PP-Jugendorganisation auf der Straße in T-Shirts mit dem Aufdruck „Que te vote Txapote“, „(Sánchez) Soll dich doch Txapote wählen (wir nicht).“ Francisco Javier García Gaztelu, alias Txapote, war führendes ETA-Mitglied und an mehreren tödlichen ETA-Attentaten beteiligt, für die er 200 Jahre Haft erhielt. Die Rechte macht daraus eine landesweite Kampagne gegen die punktuellen Pakte zwischen Regierung und EH Bildu. ETA-Opfer werfen der PP „eine Banalisierung des Terrorismus“ vor.

In verschiedenen Medien rufen angebliche PSOE-Mitglieder zur Neugründung der PSOE auf, weil Sánchez nur den Separatismus, die Sympathie für den Terrorismus und die extreme Linke fördere, die Spanier anlüge und betrüge.

10.7. Die einzige TV-Debatte mit Sánchez, auf die sich Feijóo einlässt, findet statt. Feijóo wendet erfolgreich die bei US-Fundamentalisten verbreitete Technik des „Gish Galopps“ an, eine Methode des Debattierens, in welcher der Gegner in einer Flut aus Halbwahrheiten und ihm unterstellten falschen oder lächerlichen Annahmen ertränkt werden soll, so dass es ihm unmöglich wird, alle diese Postulate zu widerlegen. Sánchez, eigentlich ein erfahrener Debattenredner, wirkt angesichts der Dreistigkeit wie gelähmt und gerät aus der Fassung. Die Wahlen scheinen für die Linke endgültig verloren.

11.7. Die TV-Debatte erweist sich mit Zeitverschiebung als Wendepunkt. In den Medien wird mit der Überprüfung des Wahrheitsgehalts von Feijóos Aussagen begonnen.

12.7. Feijóo stellt die Briefwahlen ins Zwielicht. Er bittet nicht nur die Briefträger – unabhängig von ihren Chefs – die Wahlunterlagen innerhalb der Frist zu verteilen, sondern verspricht sogar, dass die Regierung auf ihrer ersten Sitzung unter seiner Leitung die Bezahlung ihrer Überstunden anordnen werde.

17.7. In einem Interview im ersten Kanal des spanischen Fernsehens wagt die Journalistin Silvia Intxaurrondo mehrmals, Feijoo darauf hinzuweisen, dass seine Aussagen über die Rentenpolitik der PP nicht korrekt wären. Feijóo fordert Intxaurrondo auf, sich zu entschuldigen.

Feijóo in der Internetplattform für Renter „65 und mehr“: „Sánchismus heißt: Was auch immer, mit wem auch immer und auf Kosten von was auch immer zu paktieren, um an der Macht zu bleiben. Lügen bei allen Themen und das Gegenteil vom Versprochenen machen. Die spanische Regierung ist eine große Regierung, nicht für die Spanier, sondern für die separatistischen Minderheiten und Populisten, für Veruntreuer, Hausbesetzer und Sexualagressoren“.

18.7. Nachdem bereits Ex-Ministerpräsident Zapatero (PSOE) in den Wahlkampf interveniert hat und die Meetings mit Sánchez anfangen, die Säle zu füllen, veröffentlichen 350 ehemalige PSOE-Minister und -Abgeordnete ein Manifest „Das Ziel ist nicht Pedro Sánchez. Sie wollen die PSOE und uns Sozialisten stürzen“.

19.7. In der TV-Debatte zwischen Abasc al (Vox), Pedro Sánchez und Yolanda Diaz gibt Abascal den Gesetzen der Regierung die Schuld dafür, dass tausend Vergewaltiger frei herumlaufen würden, dass Männer sich zu Trans-Frauen erklären könnten, um in geschützte Räume von Frauen einzudringen, und dass Hausbesetzer die Wohnung unschuldiger Bürger besetzen könnten, während diese Brot holen gingen. Sánchez und Díaz verteidigen erfolgreich die Regierungspolitik und greifen Feijóo in Abwesenheit an. Yolanda Díaz wird als Gewinnerin gewertet und verleiht Sumar Schwung.

Die Huffington Post titelt: „Feijóo proklamierte das Ende des Sánchismus und wird jetzt von den eigenen Lügen belagert … Nach den Lügen über die Renten und den Fall ‚Pegasus‘ erklärt er jetzt, die Aktivitäten des Drogenhändlers Marcial Dorado nicht gekannt zu haben, dabei war der bereits wegen seiner Delikte angezeigt, als die beiden sich kannten.“

Am selben Tag Ignacio Sánchez-Cuenca in El Publico: „Höchst seltsam, sich mit maximaler Anständigkeit brüsten und doch wie ein Schurke lügen. Lügt der PP-Führer sogar, wenn er seine Lügen zugibt?“

Während der letzten Woche des Wahlkampfs wird der Hashtag #FeijooLügner mit Hunderttausenden von Nachrichten zur Haupttendenz in Twitter.

21.7. Zwei Tage vor der Wahl erklärt Isabel Ayuso, PP-Präsidentin Madrid: „Ich glaube, dass es schon entschieden ist. Sánchez ist schon im Mai direkt zurückgetreten und all das, was wir jetzt im Wahlkampf erleben ist ein Witz, eine Pantomime, eine große Lüge.“

01

Die PP auf dem Weg in die Einsamkeit

Tabelle 1: Die PP ist großer Gewinner und zugleich Verlierer der Wahl. Sie saugte die Ex-Ciudadanos-Wähler auf (6,86 %), biss bei Vox (2,82 % Verluste) ab und legte insgesamt 12,6 % zu. Die 137 erreichten Sitze liegen aber weit unter den eigenen Erwartungen (bis zu 160). • Vox erlebt erstmals einen Rückschlag bei Wahlen mit einem Verlust von 2,82 % der Stimmen. In Kastilien-Leon, wo im März 2022 die erste Koalitionsregierung PP-Vox gebildet wurde, verliert Vox 5 von 6 Sitzen. Vox-Positionen, wie Ablehnung von Feminismus und Gleichstellungspolitik, Beseitigung von Rechten des LGTBI-Kollektivs, von Gesetzen, die sich gegen geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen richten und der Rechte der autonomen Regionen, sind auf breite Ablehnung gestoßen. • Der bereits totgesagte Sánchez und die PSOE gewannen 3,45 % hinzu. PP plus Vox übertreffen mit 45,44 % PSOE plus Sumar mit 44,01 % nur knapp, in Stimmen um 0,35 Millionen. • Die katalanischen Unabhängigkeitsparteien (ERC, Junts und CUP) verlieren 40 % ihrer Stimmen und 9 von 23 Sitzen. In Katalonien kommen sie zusammen auf nur noch 28 %. Es triumphieren die Sozialisten (PSC) mit 34,49 %. Sumar erreicht mit 14,03 % Platz 2. Jeder achte Wähler der Sozialisten kommt aus der Stadt Barcelona. Die Politik der Linkskoalition – Entspannung, Versöhnung und Suche nach politischer statt justizieller Lösung –- wird in Katalonien honoriert. • Tabelle 2 stellt die aktuelle Situation im Parlament dar. PP kommt zusammen mit Vox und UPN auf 171 Sitze. Die bürgerliche baskische Regierungspartei PNV gab Feijóo sofort am Tag nach der Wahl den Korb und erklärte, dass mit ihnen eine Regierung unter Beteiligung von Vox nicht machbar sei. Coalición Canaria, die auf den Kanaren mit Unterstützung der PP regiert, verlautbarte mit Blick auf Vox: „Es gibt keine Möglichkeit für Feijóo Präsident zu werden. Wir werden keine Gespensterinvestitur unterstützen.“ • Die PP-Kampagne zum Sturz des „Sánchismus“ und der „Frankensteinregierung“ ist gescheitert. • Die vier katalanisch-, baskisch- und galicisch-nationalistischen Parteien (PNV, EH Bildu, ERC und BNG) sind prinzipiell bereit, mit der Linkskoalition in Verhandlungen über ihre Unterstützung für eine Neuauflage der Linkskoalition einzutreten. • Gemeinsam würden sie im Parlament mit ebenfalls 171 Stimmen ein Patt erreichen. Die erneute Einsetzung von Sánchez würde möglich, wenn Junts per Catalunya ebenfalls für Sánchez stimmen würde. Ob und für welchen Preis Junts dazu bewegt werden kann, wird sich zeigen. • Sollten die Verhandlungen nicht zum Erfolg führen, wären Neuwahlen unvermeidlich. • Es soll nochmal der Blick auf die Wählerstimmen gerichtet werden: Die Stimmen der Linken summieren sich zusammen mit den 1,2 Millionen antifaschistisch en, pluri-nationalistischen Stimmen für PNV, EH Bildu, etc. auf 11,995 Millionen gegenüber den 11,178 Millionen. der Rechten. • Hinzurechnen kann man die Stimmen für Coalicion Canaria (0,117 Millionen), Junts (0,393 Millionen). und die über 0,56 Millionen Stimmen, die für kleinere Parteien wie Tierschützer, CUP und regionale Parteien des entvölkerten Spaniens abgegeben wurden (und die nicht für einen Sitz reichten). Das sind 13,1 Millionen von 24,28 Millionen gültigen Stimmen. Sie alle wollen sich nicht von Vox regieren lassen. Vermutlich sind auch etliche PP-Wähler nicht davon begeistert. Es bringt das Dilemma der radikalisierten PP zum Ausdruck. Alleine ist sie nicht stark genug, zusammen mit Vox wird es einsam um sie herum und reicht es auch nicht.

Abb. (PDF): Tabellen zu Wahlergebnissen

02

Info: Das spanische Wahlsystem

Das spanische Wahlsystem befördert ein Zwei-Parteien-System. Die Stimmen werden nicht auf nationaler Ebene ausgezählt, sondern in den 52 Provinzen und den zwei autonomen Städte Ceuta und Melilla. Die Sitze werden dann entsprechend der Stimmenverhältnisse auf Provinzebene verteilt. In vielen kleinen Provinzen sind nur zwei bis fünf Abgeordnete zu wählen. In einer Provinz mit fünf Abgeordnetensitzen können durchaus 15% nicht für einen Sitz ausreichen. Alle Stimmen, die in der Provinz erreicht wurden, gehen dann verloren. Bei dieser Wahl war Sumar mit 600 000 verlorenen Stimmen am stärksten betroffen. Bei einer Auszählung der Stimmen und relativer Verteilung der Sitze auf nationaler Ebene stünden Sumar bei diesen Wahlen 45 Sitze (statt 31) zu, die Linkskoalition käme auf 160 Sitze (statt 153), die Rechten auf 165 (statt170).

03

Sumar: Niedergang gestoppt

Das verheerende Ergebnis für Podemos bei den Regional- und Kommunalwahlen trug dazu bei, das Kräfteverhältnis innerhalb des links-grünen Lagers zu klären. Podemos willigte – begleitet von großem öffentlichem Getöse – als letzte von 16 Organisationen ein, im Rahmen von Sumar zu kandidieren und eine „bescheidene Rolle anzunehmen“. Innerhalb von zehn Tagen gelang es Sumar, ausgewogene Listen mit Kandidaten aller Organisationen für alle 52 Provinzen zu formieren. Am Wahlergebnis lässt sich das gut ablesen: Von den künftigen 31 Abgeordneten entfallen elf auf Movimiento Sumar, je fünf auf Podemos, Vereinigte Linke und die Comuns, je zwei auf Compromis und Más País, je eine auf Més Baleares und Chunta Aragonesista.

Nach den Wahlen Ende Mai war das links-grüne Lager in einigen Regionen faktisch von der Landkarte verschwunden, die Aktivisten waren vom Wahlergebnis ausgeknockt und das öffentliche Ansehen nach dem veritablen Krach mit dem Platzhirsch Podemos weiter gesunken. Der Wahlkampf kam erst in der letzten Woche richtig in Fahrt. Mit über drei Millionen Stimmen (gegenüber einer Million Ende Mai) konnte der Niedergang aufgehalten und der wichtige Beitrag zur Abwehr einer PP-Vox Regierung geleistet werden.

Das einflussreiche Internet-Medium ctxt (contexto y acción) rief zur Wahl von Sumar auf, veröffentlichte aber gleichzeitig eine Liste der Provinzen, in denen Sumar wohl keinen Abgeordnetensitz erreichen könnte, und wo man besser PSOE wählen sollte. Sumar holte seine 31 Sitze in 19 der 52 Provinzen, die eher großstädtisch geprägt sind. In der Hälfte der autonomen Regionen wurde Platz 3 hinter PP und PSOE erreicht.