Politische Berichte Nr.04/2022 (PDF)05
Aktuell aus Politik und Wirtschaft

Besorgnis über die Rolle der Polizei in der französischen Gesellschaft

01 Dok: Stellungnahme des UN-Ausschuss CERD (Auszug):

Matthias Paykowski. Karlsruhe.

Der UN-Ausschuss für die Beseitigung rassistischer Diskriminierung (CERD) beim Hochkommissariat für Menschenrechte (1) hat am 7. Juli seine Besorgnis zum Ausdruck gebracht über den legislativen und exekutiven Zustand in Frankreich – aus Anlass der Tötung eines 17-jährigen. Nahel Merzouk wurde im Verlauf einer Verkehrskontrolle durch den Schuss eines Polizisten getötet. (2) Der aus 18 Sachverständigen bestehende UN-Ausschuss hat im Rahmen seines Frühwarn- und Eilverfahrens die in Auszügen dokumentierte Stellungnahme veröffentlicht. (2) Nahel Merzouk ist in diesem Jahr das dritte Todesopfer, 2022 kamen 13 Personen im Zusammenhang mit Verkehrskontrollen der Polizei ums Leben. In 38 Fällen wurden Schüsse auf fahrende Autos abgegeben und etwa 26 000 Menschen versuchten sich einer Kontrolle durch die Polizei zu entziehen!

Ein 2017 erlassenes Gesetz erlaubt es der Polizei, von der Schusswaffe Gebrauch zu machen, auch wenn keine unmittelbare Gefahr droht. Es reicht, wenn der Fahrer sich durch Flucht der Kontrolle entziehen will, die Polizisten eine zukünftige Straftat oder eine Gefährdung Dritter durch die Flucht vermuten. Das hat den Spielraum für den Gebrauch der Waffe erheblich erweitert.

2020 wurden weitere Befugnisse für die Polizei und Maßnahmen zum Schutz vor der Öffentlichkeit beschlossen: Die Veröffentlichung von Bildern von Sicherheitsbeamten im Einsatz und Videoaufnahmen von Polizeieinsätzen werden mit empfindlichen Gefängnis- oder Geldstrafen gebüßt. Das macht Berichterstattung über die Einsätze der Polizei zu einem erheblichen persönlichen Risiko.

Seit den Protesten der Gelbwesten hat die Aufrüstung der Polizei nochmals zugenommen. Bei ihren Einsätzen gegen die hoffnungslosen Emeuten in den trostlosen Banlieues bewegt sie sich mit schwer gepanzerten Mannschaftswagen: „Die Taktik gleicht militärischen Operationen mit schnellen Vorstößen, der Einkesselung und dem „Einkassieren“ der Demonstranten.“ (4)

Die linken Parteien LFI, PS und die Grünen EELV haben am 24. Juli „zur Wiederherstellung der republikanischen Ordnung in der Polizei und zur Achtung der Rechtstaatlichkeit“ aufgerufen. Die PCF hatte Bedenken, „die Fakten der Polizeigewalt zu verallgemeinern oder den Rassismus in der Polizei anzuprangern“ und wies daraufhin, sie sei sich „der Schwierigkeiten bewusst, mit denen die Polizisten täglich konfrontiert sind“. (5)

Die Erklärungen der linken Parteien sind ein Versuch, auch Antworten zu finden auf die Eskalationen im Polizeiapparat. Im Süden Frankreichs meldeten sich Polizisten reihenweise krank und vom Dienst ab, als in Marseille ein Polizeibeamter Anfang Juli in Untersuchungshaft genommen wurde. Eine Überwachungskamera hatte ihn und drei weitere Beamte dabei gefilmt, wie sie einen 21-Jährigen krankenhausreif schlugen. Die Entscheidung der Justiz für Untersuchungshaft gegen den Beamten stellte der Generaldirektor der französischen Polizei infrage: „Vor seinem Strafprozess gehört ein Polizist nicht ins Gefängnis, selbst wenn er Missgriffe oder schwere Fehler begangen hat.“ Die Polizeigewerkschaft Alliance verlangt einen juristischen Sonderstatus für Polizisten. (6)

1 Vereinte Nationen – Büro des Hochkommissars für Menschenrechte: https://www.ohchr.org/en/treaty-bodies/cerd.

2 Die Tötung wurde von Augenzeugen im Video festgehalten und in den Internetmedien verbreitet. Sachverhalte zum Tod von Nahel Merzouk dokumentiert aktuell und ausführlich Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/T%C3%B6tung_von_Nahel_Merzouk

3 https://www.ohchr.org/en/press-releases/2023/07/statement-france-un-committee-elimination-racial-discrimination

4 Interview mit dem Soziologen Christian Joppke, NZZ, 10.7.2023.

5 Le Monde, div. Ausgaben. Insbesondere: 26. und 27.7.2023.

6 F.A.Z. 26.7.2023

7 Points de vue – Sichtweisen. Deutschland – Frankreich, ein vergleichender Blick. Zum 75. Jubiläum des Deutsch-Französischen Institut ist eine komplett neu überarbeitete Auflage des bisher dreimal – zuletzt 2012 – erschienenen Buches „Point de vue – Sichtweisen“ vom dfi herausgegeben worden. In Französisch und in Deutsch und sehr schön aufbereitet, werden fast alle wichtigen Bereiche des gesellschaftlichen Lebens nebeneinander vorgestellt und behandelt (bis 2021). Der Leser erfährt viel über große und kleine Unterschiede, Gemeinsamkeiten und Sichtweisen in den beiden europäischen Ländern. Ein Lese- und Lernbuch für jeden, der sich für die beiden Gesellschaften interessiert. Deutsch-Französisches Institut (Hrsg.). Prof. Dr. Frank Baasner, Dr. Stefan Seidendorf, Dominik Grillmayer, Dr. Eileen Keller, Bénédicte King. 2023, Rheinbreitbach: by Kürschners, NDV GmbH & Co. KG 294 Seiten, Broschüre ISBN 978-3-95879-133-6. 19,80 Euro.

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Dok: Stellungnahme des UN-Ausschuss CERD (Auszug):

… 4. 4. fordert Frankreich auf, Rechtsvorschriften zu erlassen, in denen die Erstellung von Personenprofilen nach rassistischen Gesichtspunkten definiert und verboten wird, und klare Leitlinien für Strafverfolgungsbeamte zu entwickeln, insbesondere für die Polizei, die die Erstellung von Personenprofilen nach rassistischen Gesichtspunkten bei polizeilichen Maßnahmen sowie diskriminierende Personenkontrollen und andere rassistische Verhaltensweisen verbieten;

5. fordert Frankreich nachdrücklich auf, seinen gesetzlichen Rahmen zur Regelung der Anwendung tödlicher Gewalt durch Strafverfolgungsbeamte zu überprüfen, um die uneingeschränkte Einhaltung der internationalen Menschenrechtsvorschriften und -standards zu gewährleisten;

6. 6. fordert Frankreich nachdrücklich auf, bei der Bekämpfung von Massenprotesten und Demonstrationen die Grundsätze der Rechtmäßigkeit, der Notwendigkeit, der Verhältnismäßigkeit und der Nichtdiskriminierung zu beachten und sicherzustellen, dass alle Vorwürfe übermäßiger Gewaltanwendung durch Beamte der Strafverfolgungsbehörden im Zusammenhang mit den laufenden Protesten untersucht werden, auch durch unabhängige Aufsichtsgremien, um die Rechenschaftspflicht zu gewährleisten;

7. 7. fordert Frankreich auf, unverzüglich geeignete Reformen zu ergreifen, die darauf abzielen, die strukturelle Diskriminierung im Strafrechtssystem zu beseitigen, die Rechte der Opfer rassistisch motivierter Straftaten zu gewährleisten, die ethnische Vielfalt innerhalb der Polizei zu fördern und so das Verständnis zwischen der Polizei und der allgemeinen Bevölkerung, insbesondere den Minderheiten, zu fördern;

8. 8. fordert Frankreich auf, Beamte der Strafverfolgungsbehörden kontinuierlich zu schulen, insbesondere im Hinblick auf Deeskalationstechniken und einschlägige internationale Standards wie den Verhaltenskodex für Beamte der Strafverfolgungsbehörden, die Menschenrechtsleitlinien der Vereinten Nationen über weniger tödliche Waffen in der Strafverfolgung und die Grundprinzipien für den Einsatz von Gewalt und Schusswaffen durch Strafverfolgungsbeamte …

Übersetzt mit www.DeepL.com/Translator. Vollständig auf englisch und französisch in der UN-Vertrags-Datenbank: https://tbinternet.ohchr.org/_layouts/15/treatybodyexternal/Download.aspx?symbolno=INT%2FCERD%2FSWA%2F9833&Lang=en#eoff#