Politische Berichte Nr.06/2023 (PDF)14
Aus Kommunen und Ländern

Acht Herausforderungen für ein gutes Leben in Thüringen

dok Vor den kommenden Wahlen enwickelt die Thüringer Linke ihre Strategie als Kombination von Landes-, Bundes- und Europapolitik:

www.die-linke-thueringen.de Am 15. November 2023 haben in Brüssel die Regierungschefs der ostdeutschen Länder unter anderem zu Fragen von Migration, der europäischen Strukturförderungspolitik sowie Wirtschaftsfragen und Fachkräftesicherung beraten. Für Die Linke Thüringen haben dazu Bodo Ramelow sowie die beiden Vorsitzenden der Landespartei Ulrike Grosse-Röthig und Christian Schaft im Vorfeld der Tagung sowie mit Blick auf den Europaparteitag der Linkspartei acht zentrale Herausforderungen für die Landes-, Bundes- und Europapolitik der nächsten Jahre skizziert, um Rahmenbedingungen für ein gutes Leben für alle Menschen in Ostdeutschland zu schaffen. Wir dokumentieren hier die gemeinsame Erklärung:

Gemeinsame Erklärung / 15. November 2023 – Bodo Ramelow / Ulrike Grosse-Röthig / Christian Schaft

Unser Land hat in den letzten Jahren eine Reihe von Krisen meistern müssen – zuletzt Inflation und Preisexplosionen bei Energie, Benzin und Nahrungsmitteln. Für viele Menschen hier in Thüringen reiht sich diese Unsicherheit ein in die Brüche und Erfahrungen der letzten 30 Jahre. Um allen Menschen in einer sich wandelnden Welt die gleichen Chancen und ein gutes und planbares Leben zu ermöglichen, muss der Staat gute Rahmenbedingungen schaffen und dort in den Markt eingreifen, wo Profite über dem Wohl der Menschen stehen. Eine starke Gesellschaft, die allen Menschen möglichst gute Entwicklungsmöglichkeiten bietet, braucht eine funktionierende, öffentliche Infrastruktur, einen modernen Sozialstaat und gute Arbeitsbedingungen. Mit Gesundheit und Pflege, mit Wohnen und Mobilität sowie mit Bildung und Kommunikation darf kein Profit gemacht werden – sie müssen stattdessen allen Menschen zur Verfügung stehen. Für die Bewältigung der großen Krisen der vergangenen Jahre, braucht es mutige politische Schritte. Unsere Zukunftsaufgabe sehen wir darin, soziale Sicherheit und gleiche Rechte für alle mit den notwendigen Modernisierungen für eine nachhaltige und ökologische Zukunft zu verbinden. Dabei darf niemand zurückbleiben.

Die Linke ist und bleibt die Stimme der Interessen der Menschen in den ostdeutschen Ländern, gerade auch hier in Thüringen mit unserem Ministerpräsidenten Bodo Ramelow. Eine stabile, soziale und demokratische Gesellschaft, die den Menschen ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht, braucht funktionierende und gute öffentliche Infrastruktur: Gesundheit und Pflege, Busse und Bahnen, Internet und Kommunikation, Bildung, Wohnen und Energie. Es ist unser aller Eigentum, das allen Menschen, die hier leben, gehört: Es muss Dein Krankenhaus sein und Dein Briefkasten, es ist Deine Mobilität und Deine Gesundheit, die wir gemeinsam demokratisch organisieren und die nicht einigen Wenigen, sondern uns allen gehören muss. Die Linke Thüringen erarbeitet dafür – auch mit Blick auf unser Regierungsprogramm 2024 – konkrete Vorschläge und einen Landesentwicklungspfad bis 2035, um Antworten auf die großen Herausforderungen der nächsten Jahre zu geben.

Arbeit & Industrie

Thüringen braucht mehr zukunftsfähige und tarifgebundene Arbeitsplätze. Gewerkschaften sind heute wichtiger denn je, auch um in Tarifverträgen bessere Bezahlung, gute Arbeitsbedingungen und mehr Mitbestimmung sowie zum Beispiel für die Industrie, Gesundheits- und Sozialberufe oder die öffentliche Verwaltung Regelungen für eine Viertagewoche zu treffen. Unser Parlament und die Landesregierung werden in Fragen von Arbeitsbedingungen und Bezahlung Vorbild sein, unter anderem durch die neuen Regelungen im Vergabegesetz für öffentliche Aufträge mit einem Vergabemindestlohn und Instrumenten zur Steigerung der Tarifbindung sowie durch die gute Arbeitsbedingungen für die landeseigenen Beschäftigten. Auch durch die Einführung von Bildungsurlaub für Beschäftigte hat unsere Landesregierung bereits Verbesserungen erreicht. Im Bereich der Industriepolitik gilt es, bestehende und möglicherweise neue staatliche Beteiligungen stärker als bisher zu nutzen, um Arbeitsplätze, Regionen und wichtige Branchen zu stützen und notwendige Modernisierungen, zum Beispiel im Bereich der Fernwärmeversorgung und des Ausbaus erneuerbarer Energien, zu beschleunigen und so zu gestalten, dass die Versorgung sicher und bezahlbar ist. Auch in der Landwirtschaftspolitik braucht es ein Umdenken, um Boden zu schützen und damit die regionale Versorgung mit Nahrungsmitteln zu stärken sowie Arbeitsplätze zu sichern anstatt Felder zum Spekulations- und Renditeobjekt zu machen. Hier braucht es schützende Eingriffe durch ein Agrarstrukturgesetze und eine Weiterentwicklung der Förderpolitik, denn ein Drittel der Mittel der EU werden für Landwirtschaft zur Verfügung gestellt.

Energie & Wärme

Wir sind in Ostdeutschland bereits jetzt führend bei der Versorgung mit Fernwärme. Diese Position gilt es durch die öffentliche Hand auszubauen und dafür zu nutzen, eine bezahlbare und ökologische Wärmewende zu realisieren. Für die Einspeisung der Energie müssen zeitnah umweltfreundliche Möglichkeiten gefunden werden – von der Geothermie über bereits entwickelte Großwärmepumpen oder Solaranlagen und Biomasse. Dieser Weg ist sinnvoller, schneller und sozialer, als vorrangig auf individuelle Lösungen von Eigenheimbesitzer*innen zu setzen. Kommunale Energieversorger für Strom, Wärme und Gas sind zu stärken, ebenso Energie-Genossenschaften, die durch Eigeninitiative ökologische und bezahlbare Lösungen anbieten. Damit Gewinne aus Erneuerbaren Energien vor Ort in den Dörfern und Städten ankommen sowie die Akzeptanz für den notwendigen Ausbau steigt und nicht nur die Bilanz von Energieunternehmen verbessert wird, haben wir ein Windenergiebeteiligungsgesetz zusammen mit unseren Koalitionspartner*innen auf den Weg gebracht. Der große Rückkauf der Thüringer Netze durch Kommunen und Land hat vor Jahren deutlich gezeigt: Öffentlich ist besser, um eine gute Versorgung zu garantieren. Diesen Weg einer sozialen und ökologischen Energierevolution wollen wir konsequent weitergehen.

Verkehr & Mobilität

Menschen müssen mobil sein können. Dazu brauchen wir gerade im ländlichen Raum noch Autos und den Individualverkehr. Dennoch wissen alle: In Zukunft werden wir anders mobil sein müssen. Denn jede*r muss Möglichkeiten haben, von seinem Dorf oder ihrer Kleinstadt in die Städte der Umgebung und wieder nach Hause zu kommen, um die notwendigen Wege zu Ärzt*innnen, Banken, Geschäften, Versorgung und Freizeitaktivitäten zu erledigen – bis in den letzten Weiler. Die zentrale Frage ist also, wie wir das organisieren können. Wenn wir Teilhabe in Stadt und Land stärken wollen, sind zuverlässige, flächendeckende und bezahlbare Mobilität ein wichtiger Baustein. Es braucht unterschiedlicher Angebote, die miteinander verbunden sind – von individueller Elektromobilität über die engere Verzahnung von mehr Bussen und mehr Bahnen, Bürgerbusse, Carsharing, Mitfahrbänke und gute Lösungen, wie zum Beispiel Anrufsammeltaxis, für die letzte Meile bis zur Haustür. Auch die Etablierung eines landesweiten Verkehrsverbundes trägt zur Verbesserung bei. Maßnahmen wie ein integraler Taktfahrplan und ein Plan zur Reaktivierung von Schieneninfrastruktur bieten mit mehr Investition in nachhaltige Busse sind wichtige Bausteine für die Mobilitätswende. Solange die Börsenbahn mehr damit beschäftigt ist, weltweit andere Unternehmen aufzukaufen statt ihrem eigentlichen Auftrag nachzukommen – nämlich hier vor Ort den Verkehr zu organisieren – läuft etwas gewaltig schief. Kommunen, Land und Bund müssen wieder stärker als bisher Verantwortung für Mobilität übernehmen, denn der Markt regelt das ganz offensichtlich nicht im Sinne der Menschen: Bezahlbar, erreichbar und jederzeit verfügbar – das muss die Antwort sein.

Migration & Fachkräfte

Zu viele Menschen sind in den letzten drei Jahrzehnten, insbesondere in den 1990er Jahren aus Thüringen abgewandert. Hundertausende sind in den Westen gegangen. Heute fehlt uns diese Generation an allen Ecken und Enden und weiterhin werden mehr Menschen aus dem Erwerbsleben ausscheiden, als wir neu ausbilden können. Daher brauchen wir neue Antworten: Wir brauchen attraktivere Ausbildungsmöglichkeiten hier im Land, damit niemand mehr in andere Bundesländer ausweichen muss und wir zudem auch junge Menschen zurückholen können. Das Land bildet selbst aus und könnte zum Beispiel über gute und günstige Azubi-Wohnheime Unterstützung leisten. Auch die Arbeitsbedingungen und die Löhne müssen nachhaltig besser werden, damit hier attraktivere Jobs entstehen. Und schließlich müssen wir Menschen, die hier leben, den Weg in Arbeit erleichtern. Unter anderem braucht es dafür einen Spurwechsel in der Migrationspolitik. Wer als geflüchteter Mensch hergekommen ist, muss das Recht bekommen, eine Arbeitsgenehmigung zu kriegen und ihr Leben mit den eigenen Händen zu verdienen. Arbeitsverbote müssen der Vergangenheit angehören, ein Recht auf Arbeit braucht es, um das Leben selbst gut gestalten zu können. Wer bei uns längst in Lohn und Brot steht, dem müssen wir auch eine geordnete Bleibeperspektive bieten. Auch ist es an der Zeit, verfolgten Jesid*innen den notwendigen Status als Flüchtlinge mit Bleibeperspektive zu gewähren. Egal aus welchem Grund Menschen zu uns kommen: Wir brauchen für eine gute Zukunft heute jede Hand und jeden Menschen mit seinen und ihren Ideen und Fähigkeiten auf dem Thüringer Arbeitsmarkt – und zugleich starke Gewerkschaften für gute Löhne und gute Arbeitsbedingungen.

Sozial & sicher

Soziale Sicherheit müssen wir neu denken. Nicht nur der demographische Wandel stellt uns als Gesellschaft vor die Herausforderung, neue Modelle der sozialen Absicherung zu entwickeln. Dabei können wir auf gute Ansätze und die Arbeit unserer Landesregierung in den letzten Jahren zurückgreifen. Während wir hier Familien durch beitragsfreie Kindergartenjahre entlasten, warten wir auf notwendige Schritte zur Armutsbekämpfung auf Bundesebene. So brauchen wir eine bundesweite Kindergrundsicherung, die ihren Namen verdient, eine Weiterentwicklung des Bürgergelds mit höheren Regelsätzen, keine Sanktionen und vor allem mehr Arbeitsförderung. Aber auch die Renten müssen höher werden und die Benachteiligung von Menschen in Ostdeutschland ein Ende haben. Von der Rente muss künftig für alle ein ordentliches Leben möglich sein. Gerade in der Sozialpolitik liegt viel Verantwortung beim Bund. Die Linke wird daher als laute Stimme der sozialen Interessen der Menschen auftreten und den aktuellen Kürzungen der Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP die rote Karte zeigen.

Kommunikation & Digitales

Internet und Telefon, Briefe und Pakete – auch das ist Teil der öffentlichen Infrastruktur, die für ein gutes Leben für alle funktionieren muss. Auch hier gilt: der Zugang muss bezahlbar und erreichbar sein. Aus unserer Sicht hätte die öffentliche Hand die Grundversorgung von Information und Telekommunikation sicherzustellen. Breitbandausbau als notwendige Infrastruktur verstanden könnte als Auftrag bei einer staatlich organisierten Telekom angesiedelt sein – mit dem Auftrag, auch Schulen, Bildungseinrichtungen und die Verwaltungen zu digitalisieren.

Gesundheit & Pflege

Wer heute damit beschäftigt ist, die Gesundheitsversorgung an die Börse zu tragen, der hat kein Interesse, die Bedürfnisse der Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. Wir brauchen und wollen Krankenhäuser und medizinische Versorgungszentren in öffentlicher Hand. Eine weitere Privatisierung dürfen wir nicht zulassen und müssen vielmehr wieder ein stärkeres Engagement von Kommunen und Land erreichen. Diese Lehre aus der Pandemie ist ganz deutlich geworden. Damit die Versorgung möglichst wohnortnah und mit wenig weiten Wegen erfolgen kann, braucht es unterschiedliche Modelle, vom Gesundheitskiosk über Telemedizin, kommunale Krankenhäuser und Polikliniken bis zu den Maximalversorgern. Gerade die Beschäftigten im Gesundheitswesen brauchen Entlastung bei den Rahmenbedingungen mehr Zeit zur Erholung statt Arbeit und gute Löhne. Hier können auch Angebote für mehr Zeitsouveränität attraktivere Arbeitsbedingungen ermöglichen. Auch Pflege und die Unterstützung von Angehörigen brauchen künftig mehr Aufmerksamkeit, ebenso Maßnahmen gegen das Apothekensterben.

Bildung

Wir haben drei Leitlinien für Bildung: Beitragsfrei von der Krippe bis zum Meister oder Master, längeres gemeinsames Lernen und kurze Wege für kurze Beine! Für unsere Kinder und für unsere Gesellschaft ist gute Bildung eine wichtige Zukunftsressource. Die Kinder dürfen nicht nur auf dem Papier die gleichen Chancen haben, sie müssen real alle Chancen bekommen. Dazu tragen bereits die ersten beitragsfreien Kindergartenjahre bei, die wir ausbauen werden. Aber auch die Qualität der Bildung und den Betreuungsschlüssel werden wir weiter verbessern. Es braucht moderne Lehrpläne und Lernorte, die mit der Zeit gehen und Antworten auf veränderte Bedingungen geben. Digitalisierung ist dabei nur ein Aspekt, wenn auch ein wichtiger. Gute Bildung in Kindergärten mit bedarfsgerechten Öffnungszeiten und Schulen, die längeres gemeinsames Lernen mit dem Ausbau der Gemeinschaftsschulen sind zentrale Ziele.

Die Europawahlen am 9. Juni werden entscheidende Weichen stellen. Auch für uns in Thüringen hat der Ausgang der Wahl entscheidenden Einfluss. Wird über die EU künftig mehr für eine soziale Gesellschaft getan oder fährt die Union weiterhin den Kurs von Privatisierungen und steigenden Preisen? Wir brauchen ein massives Investitionsprogramm der EU, damit europaweit Arbeitsbedingungen besser werden, Busse und Bahnen häufiger fahren, mehr Geld in unsere Region und für gute Landwirtschaft fließt und im Gesundheitssystem die Interessen der Patient*innen im Vordergrund stehen und nicht die Profitinteressen von Konzernen. Wer ein gerechtes Thüringen will, muss seine Stimme auch für ein soziales Europa erheben.

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