Politische Berichte Nr.06/2023 (PDF)30
Kalenderblatt

Kalenderblatt: 17. Februar 2014 – Europäische Union: EU-Bürgerinitiative für das Recht auf Wasser – Ein Eimer Eiswasser gegen Privatisierung

01 info 2001, Deutschland, Trinkwasserverordnung Eva Detscher
02 Wasserwirtschaft in der Gründerzeit: München nimmt sich etwas heraus Martin Fochler

Stephen Schindler, Mannheim

Bis 2009 hatte das Europäische Projekt kaum partizipative Beteiligungsmöglichkeiten die lediglich aus dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) – einem Bindeglied zwischen den europäischen Institutionen und der organisierten Zivilgesellschaft –, dem Petitionsrecht durch das Europäische Parlament und Beschwerden bei der Europäischen Ombudsperson bestanden. BürgerInnen und politische Analysten brachten gleichermaßen ihre Kritik am demokratischen Defizit zum Ausdruck. Mit Artikel 11 des Vertrags von Lissabon wurden die partizipativen Beteiligungsmöglichkeiten 2009 schließlich erweitert. Neben dem Recht auf Information, Konsultation sowie einem erweiterten Dialog mit BürgerInnen und Verbänden verfügen BürgerInnen jetzt über die Möglichkeit eine Europäische Bürgerinitiative (EBI) ins Leben zu rufen, um die Kommission zu politischem Handeln und zur Erarbeitung eines Rechtsaktes aufzufordern.

„Wasser und sanitäre Einrichtungen sind ein Menschenrecht: Wasser ist ein öffentliches Gut und keine Ware“

Right2Water, das Recht auf Wasser, war die erste erfolgreiche Europäische Bürgerinitiative (EBI). Sie wurde am 20. Dezember 2013 offiziell eingereicht, gefolgt von einer öffentlichen Anhörung im Europäischen Parlament am 17. Februar 2014. Der Kampagne für Right2Water gelang es, 1659543 gültige Unterschriften von BürgerInnen aus ganz Europa zu sammeln, um die folgenden Right2Water-Forderungen zu stellen:

1. Die EU-Institutionen und die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, dafür zu sorgen, dass alle Einwohner das Recht auf Wasser und Abwasserentsorgung haben.

2. Die Wasserversorgung und die Bewirtschaftung der Wasserressourcen dürfen nicht den Regeln des „Binnenmarktes“ unterworfen werden und die Wasserdienstleistungen müssen von der Liberalisierung ausgeschlossen werden.

Im Hinblick auf die Entwicklungszusammenarbeit:

3. Die EU sollte ihre Anstrengungen verstärken, um den allgemeinen Zugang zu Wasser und sanitären Einrichtungen zu erreichen.

Warum und weshalb?

Seit den 1980er und 90er Jahren sahen sich öffentliche Dienstleistungen verstärkt Privatisierungen ausgesetzt, häufig gegen den ausdrücklichen Wunsch betroffener BürgerInnen und Beschäftigter. Insbesondere die Privatisierung der Lebensgrundlage Wasser führte dabei häufig zu Empörung und forderte vielerorts Konflikte heraus, die von Gewerkschaften, GlobalisierungsgegnerInnen oder lokalen Bürgerinnenbewegungen ausgefochten wurden.

In Paris kam es bereits 1985 zur Privatisierung, dort haben zwei französische Konzerne Velólia und Suez, die zu den weltweiten Marktführern zählen, die Wasserversorgung und -entsorgung seither gemeinsam betrieben. 2010 erlangen die BürgerInnen von Paris schließlich einen symbolischen Erfolg gemeinsam mit ihrem Bürgermeister Bertrand Delanoë, der bereits 2001 die Rekommunalisierung angestoßen hat, die zur Gründung eines neuen öffentliche Unternehmens Eau de Paris führte. Dieses nahm 2010 den Betrieb auf und konnte die Preise für Haushalte um acht Prozent senken.

Auch in Italien konnten sich BürgerInnen gegen die Privatisierungsversuche der Berlusconi-Regierung wehren. Das Forum der Wasserbewegungen organisierte mit Unterstützung der katholischen Kirche ein Referendum gegen das so genannten Ronchi-Dekret (nach Andre Ronchi, dem Minister für kommunale Politik) mit dem die ItalienerInnen die Liberalisierung und Privatisierung von Wasser ablehnten.

Die größte Gefahr für öffentliche Wasserversorgung und -entsorgung begann 2002 als der damalige Binnenmarkt Kommissar Frits Bolkestein, sich für die Privatisierung der Wasserversorgung und -entsorgung in der gesamten EU aussprach und diese in der Richtlinie über Dienstleistungen im Binnenmarkt (auch als Bolkestein-Richtlinie bezeichnet) erstmals gesetzlich verankern wollte. Zusätzlich wurde die Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2008 als Vorwand genutzt, um eine weitere Privatisierungswelle voranzutreiben. In Griechenland und Portugal beispielsweise verlangte die Troika (bestehend aus Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds) ausdrücklich die Privatisierung der Wasser- und Abwasserentsorgung als Bedingung für ihre Unterstützung. Damit wurden nicht nur demokratische Prozesse umgangen, sondern auch die möglichen sozialen Folgen der Wasserprivatisierung in Ländern mit hoher Arbeitslosigkeit und sinkenden Einkommen ignoriert.

Als Antwort auf diese Herausforderungen begannen sich Gewerkschaften, Zivilgesellschaft und AktivistInnen bereits früh auf europäischer Ebene zu vernetzen. Die EBI entstand also nicht in einem Vakuum, sie war die Antwort auf konkrete politische Kämpfe von Organisationen und wurde maßgeblich von Verbänden und BürgerInnenbewegungen getragen. Deren Vernetzung und die Möglichkeit, Mitglieder zu mobilisieren, war eine Grundvoraussetzung für den Erfolg der EBI. Nichtsdestotrotz lief die Unterschriftensammlung schleppend an.

Die Herausforderung bestand darin, dass die meisten Bürgerinnen und Bürger in Europa wenig oder gar nichts über die EBI wussten, nicht ausreichend darüber informiert wurden. Die zweite Herausforderung bestand darin, ein Bewusstsein nicht nur für das Thema als öffentliches Gut zu schaffen, sondern auch das Bewusstsein für einen europäischen öffentlichen Raum und ein gesamteuropäisches Thema zu schärfen, welches BürgerInnen auf dem gesamten Kontinent gleichermaßen betrifft. Tendenziell war die Unterschriftensammlung dort am erfolgreichsten, wo die Netzwerke lokaler AktivistInnen Bewegungen und Gewerkschaften stärker war.

Der eigentliche Erfolg der Kampagne stellte sich erst ein, nachdem die EBI mediale Aufmerksamkeit durch den deutschen Politsatirikers Frank-Markus Barwasser bekam, der seine Sendung „Neues aus der Anstalt“ nutzte, um für Right2Water zu werben und ein breites Publikum zu erreichen. Barwasser nahm eine kritische Haltung gegenüber der von der Europäischen Kommission und der Bolkestein-Richtlinie geförderten privatwirtschaftlichen Profitmacherei bei öffentlichen Dienstleistungen ein. Barwasser forderte seine Zuschauer auf, Right2Water zu unterstützen. Daraufhin nahm die Right2Water-Kampagne vor allem in Deutschland, aber auch in den Nachbarländern Fahrt auf. In einer Art Dominoeffekt stieg die Zahl der Unterschriften in Österreich, den Niederlanden, der Slowakei und Slowenien rasch an und erreichte schnell die erforderliche Quote.

Reaktion der Europäischen Kommission

Die Kommission hat ihre offizielle Antwort auf Right2Water in ihrer Mitteilung vom 19. März 2014 formuliert. Sie begrüßte die Initiative und legte die Charta der Grundrechte positiv aus, insbesondere im Hinblick auf das Recht auf Würde gemäß Artikel 1 und das Recht auf Leben gemäß Artikel 2. Darüber hinaus akzeptierte die Kommission das Konzept eines Menschenrechtsansatzes in ihrer Entwicklungspolitik und machte unter anderem einen großen Schritt, indem sie ankündigte, öffentlich-öffentliche Partnerschaften in ihrer Entwicklungsstrategie zu fördern, um sowohl die Nord-Süd- als auch die Süd-Süd-Zusammenarbeit zu erleichtern.

Für Europa schlug die Kommission eine Reihe von Maßnahmen vor, darunter ein Aktionsprogramm zum Ausbau und zur Erneuerung der Infrastruktur, zur Verbesserung der Versorgung in abgelegenen Gebieten und zum Aufbau der fehlenden Abwasserinfrastruktur sowie die Überprüfung verschiedener Rechtsakte. Allerdings kam es zur Enttäuschung einiger BürgerInnen nicht zur Erarbeitung eines Gesetzesentwurfs.

Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass die Kommission ihre Privatisierungspläne einstellen musste und Wasserversorgung und -entsorgung aus neuen Gesetzesvorschlägen ausgeschlossen wurden z.B. aus der EU-Konzessionsrichtlinie.

Der Erfolg der ersten EBI lässt sich wohl nicht am besten an dem messen, was sich in Gesetzestexten wiederfindet, sondern daran, was sie nicht beinhalten. Aus Sicht der Europäischen Wasserbewegung war die Right2Water-Kampagne ein effektives Agenda-Setting-Instrument, das die Privatisierung vielerorts verhindern konnte.

Referenzen und weiterführende Lektüre

Baker, Karen. „Neoliberal versus Postneoliberal Water: Geographies of Privatisation and Resistance,“ Annals of the Association of American Geographers (27 Feb 2013): 253-260.

Berg, Carsten and Janice Thomson, eds. An ECI That Works: Learning from the first two years of the European Citizens‘ Initiative, (Alfter, Germany: The ECI Campaign, März 2014).

Chun, Yujin. „Recognition, Realization, Resignation: The Human Right to Water in Europe,“ Cornell International Law Journal Online, 2014 (http://cornellilj.org/recognition-realization-resignation-the-human-right-to-water-in-europe/).

„Italy‘s Public Says „No“ to Water Privatisation,“ Water and Culture, 13 Juni 2011 (http://waterculture.wordpress.com/2011/06/13/italys-public-says-no-to-water-privatization/).

„Lithuania: Water remains in municipal hands,“ Water and sanitation are a human right!, 5 Nov 2013 (http://www.right2water.eu/news/lithuania-water-remains-municipal-hands).

Pigeon, Martin. „Une eau publique pour Paris: Symbolism and Success in the Heartland of Private Water,“ in Remunicipalisation: Putting Water Back into Public Hands, eds. Martin Pigeon, David A. McDonald, Olivier Hoedeman and Satoko Kishimoto, Amsterdam: Transnational Institute, März 2012 (http://corporateeurope.org/sites/default/files/publications/remunicipalisation_web_final.pdf).

Public Services International Research Unit (PSIRU), Why water is a public service: exposing the myths of privatisation, April 2012 (https://www.epsu.org/sites/default/files/article/files/20022012-epsuwater.pdf).

Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages. Privatisierung der Wasserversorgung und ihre Folgen in ausgewählten EU-Staaten. https://www.bundestag.de/resource/blob/410158/1c6735cfa4d95f1364f13e86ee2f21d7/wd-5-027-13-pdf-data.pdf

Abb. (PDF): Logo „Wasser ist Menschenrecht“

01

info 2001, Deutschland, Trinkwasserverordnung

Eva Detscher, Karlsruhe. 2001 wurde in Deutschland die Trinkwasserverordnung erlassen. Sie stützte sich auf eine lange Tradition von Wasserversorgern und Wissenschaft, war aber durch die EG-Richtlinie 98/83/EG „Über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch“ dann auch gezwungen, diese in nationales Recht zu überführen.

(1) Diese Richtlinie betrifft die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch.

(2) Ziel dieser Richtlinie ist es, die menschliche Gesundheit vor den nachteiligen Einflüssen, die sich aus der Verunreinigung von für den menschlichen Gebrauch bestimmtem Wasser ergeben, durch Gewährleistung seiner Genußtauglichkeit und Reinheit zu schützen.“*

Die EU orientiert sich an den Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation wie auch umgekehrt die Erfahrungen und Weiterentwicklung der EU in die Gestaltung der WHO-Vorgaben einfließen.

https://www.dvgw.de/themen/wasser/wasserqualitaet/trinkwasser-richtlinie

02

Wasserwirtschaft in der Gründerzeit: München nimmt sich etwas heraus

Martin Fochler. München. Um die 1875er-Jahre hatte sich das alte System der Wasserver- und -entsorgung als hygienisches Risiko und Wachstumsbremse erwiesen. Das Nebeneinander von Sickergruben und Schöpfbrunnen, von Bächen zur Entnahme von Brauchwasser und Benutzung für den Abtransport von Fäkalien war nicht mehr verbesserungsfähig, Trinkwasservorkommen auf Münchner Territorium waren komplett erschlossen. Im Oberland aber war Quell- und Grundwasser reichlich zu finden, man konnte es fassen und mit Hilfe des natürlichen Gefälles nach München führen. Im geschlossenen Leitungssystem der Stadt lieferte die Schwerkraft genug Druck, um Wasserleitungen bis in die oberen Stockwerke der Siedlung zu ermöglichen. Der Siegeszug des WC konnte beginnen.

Die Quellen im Oberland lagen weit außerhalb der politischen Reichweite des Magistrats. Die Kommune nutzte den Grundstücksmarkt, kaufte Quellgrundstücke und sicherte sich Durchleitungsrechte in Richtung München. 1883 erfolgte die offizielle Inbetriebnahme der neuen Wasserversorgung.

Die Ableitungen aus dem Gewässersystem der Mangfall nach München trafen auch andere. Ein Verbund von Mühlen- und Triebwerksbesitzern tat sich zusammen, um wenigstens eine Entschädigung zu erreichen. Der Streit zog sich hin. 1910 entschied der Königliche Verwaltungsgerichtshof, der schon im Juni in einem ähnlich gelagerten Fall betreffend Nürnberg geurteilt hatte, „dass die Zutage-Förderung und Ableitung des Grund- und Quellwassers (…) einer behördlichen Erlaubnis nicht bedarf.“1

Praktisch wurden die Wachstumsinteressen der finanzstarken Großstädte priorisiert. Diese Politik zeigte sich auch im Umgang mit der Abwasserproblematik. München favorisierte das „Schwemmsystems“, bei dem Oberflächenwasser, sonstige Abwässer und auch die Spülung der WCs in einem einheitlichen System abwärts geschwemmt werden. Andere Großstädte versuchten eine Grobreinigung ihrer Abwässer durch sog. Rieselfelder. Solche Umstände machte sich München nicht. 1882 erhielt man die immer wieder verlängerte Genehmigung, das Schwemmwasser ohne weitere Klärung in die Isar zu leiten. Erst 1908 trat dann ein neues bayerisches Wassergesetz in Kraft, aber bis zur unabweisbar nötigen Errichtung eines Klärwerks sollte noch mehr als ein Jahrzehnt vergehen.

(1) Peter Münch, Stadthygiene im 19. im 20. Jahrhundert, Die Wasserversorgung, Abwasser- und Abfallbeseitigung unter besonderer Berücksichtigung Münchens. Göttingen, 1993.