Politische Berichte Nr.06/2023 (PDF)28
Globale Debatten - UN Initiativen

* 23-nah-ost-konflikt-in-deutschland-schneider-03.html * 24b-lagebild-antisemitismus-steffens-03.html * 25-brumlik-postkolonialer-antisemitismus-juretzek-03.html * 28-israel-palaestina-wechselseitige-anerkennung-jaeckel-03.html

Israel-Palästina: Der Ausweg bleibt die wechselseitige Anerkennung als unabhängiger Staat

Ulli Jäckel, Hamburg

01 Zeitliste, gestützt auf: Muriel Asseburg, Palästina und die Palästinenser, Bonn (bpb, Bd. 10839), S.273–280)

Der gegenwärtige Krieg zwischen der Hamas und Israel stellt für den Kampf um das Selbstbestimmungsrecht und die nationale Unabhängigkeit des palästinensischen Volkes einen schweren Rückschlag dar. Die Bemühungen um die Errichtung eines palästinensischen Staates im Rahmen einer Zweistaatenlösung auf der Grundlage von UN-Resolutionen drohen zwischen Maximalansprüchen der israelischen Rechten und religiösen Fundamentalisten sowie zwischen dem Vernichtungswillen der Hamas gegenüber Israel zerrieben zu werden.

So schreibt Marcus Schneider von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Beirut:

„In den letzten anderthalb Jahrzehnten hat sich herauskristallisiert, dass die Besatzung keine temporäre Maßnahme auf dem Weg zu einer Zweitstaatenlösung mehr ist. Netanjahu ist ein erklärter Gegner jeder palästinensischen Staatlichkeit. Seine Vision und die seiner rechtsradikalen Koalitionspartner beruht darauf, dieses Regime in alle Ewigkeit zu perpetuieren. (…)

Wohl aber hat Hamas vor allem dann Zulauf bekommen, als die moderaten, verhandlungsbereiten Kräfte an die Wand gedrückt wurden – eine Politik, die Netanjahu sogar ganz offiziell so betrieben hat. In ihrer Ablehnung eines gerechten Friedens sind Israels Rechte und die Islamisten seit jeher vereint“.

https://www.ipg-journal.de/regionen/naher-osten/artikel/eine-region-in-aufruhr-7093/ )

Wir dokumentieren einige Stationen des Kampfes um das Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes anhand von Auszügen aus wichtigen Beschlüssen und Dokumenten:

1974 Die Resolution 3237 (XXIX) der UN-Generalversammlung v. 22. November 1974 markiert einen wichtigen Schritt auf dem Weg zu internationaler Anerkennung:

„Die UN-Generalversammlung (…) l. Lädt die Palästinensische Befreiungsorganisation dazu ein, an den Sitzungen und der Arbeit der Generalversammlung als Beobachter teilzunehmen; 2. Fordert die Palästinensische Befreiungsorganisation dazu auf, an den Sitzungen und der Arbeit aller internationalen Konferenzen unter der Schirmherrschaft der Generalversammlung als Beobachter teilzunehmen; 3. ist der Auffassung, dass die Palästinensische Befreiungsorganisation PLO berechtigt ist, als Beobachter an den Sitzungen und der Arbeit aller internationalen Konferenzen teilzunehmen, die unter der Schirmherrschaft anderer Organe der Vereinten Nationen einberufen werden;“

1988 Die palästinensischen Unabhängigkeitserklärung vom 15.11. 1988

„Das palästinensisch-arabische Volk bekräftigt mit Entschiedenheit seine unveräußerlichen Rechte im Land seiner Väter: (…) In Ausübung der nationalen Rechte des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung, politische Unabhängigkeit und Souveränität über sein Land proklamiert der palästinensische Nationalrat im Namen Gottes und im Namen des palästinensischen Volkes die Gründung des Staates Palästina auf seinem palästinensischen Boden mit Jerusalem als Hauptstadt, (…)

- Der Staat Palästina erklärt seine Verpflichtung gegenüber den Prinzipien und Zielen der Vereinten Nationen und der Internationalen Erklärung der Menschenrechte sowie gegenüber den Grundsätzen und der Politik der Blockfreien Bewegung (…)

- Der Staat Palästina erklärt hiermit, dass er an die Beilegung internationaler und regionaler Konflikte durch friedliche Mittel in Übereinstimmung mit der UN-Charta den VN-Resolutionen glaubt. Der Staat Palästina weist die Drohung mit oder Anwendung von Gewalt, Macht oder Terrorismus gegen seine oder die territoriale Integrität eines anderen Staates zurück, ohne auf sein natürliches Recht auf Verteidigung seiner territorialen Integrität und Unabhängigkeit zu verzichten.

https://palaestina.org/fileadmin/user_upload/unabhaengigkeitserklaerung.pdf

„Darüber hinaus erkannte der Nationalrat den UN-Teilungsplan von 1947 (Resolution 181) an und erklärte sich zur Aufnahme von direkten Verhandlungen mit Israel auf Grundlage der Resolutionen 242 und 338 bereit. Damit erfolgte vonseiten der PLO schon fünf Jahre vor Beginn der Friedensverhandlungen mit Israel eine de facto Anerkennung des Existenzrechtes Israels und die Zusage zu einer Zwei-Staaten-Lösung.“

Palästinensische Mission/Deutschland: PLO (palaestina.org)

1988 Im Gegensatz dazu hatte sich 1987 die Hamas gegründet, die als Abspaltung von den Muslimbrüdern eine unversöhnliche Haltung gegenüber dem israelischen Staat einnahm und auf seine gewaltsame Vernichtung setzt. Aus der Charta der Hamas von 1988:

„Artikel 6: Die Islamische Widerstandbewegung ist eine spezifisch palästinensische Bewegung, treu Gott ergeben. Der Islam dient ihr als Lebensentwurf. Sie strebt danach, das Banner Gottes über ganz Palästina, jede Handbreit davon, aufzupflanzen. (…) Artikel 7: (…) Die islamische Widerstandsbewegung ist ein Glied in der Kette des Dschihad gegen die zionistische Invasion. (…) Artikel 11: Die Islamische Widerstandsbewegung glaubt, dass Palästina allen Generationen der Muslime bis zum Tag des Jüngsten Gerichts als islamisches Waqf-Land vermacht ist. Palästina darf weder als Ganzes noch in Teilen aufgegeben werden. (…) Artikel 13: Derartige Initiativen, sogenannte friedliche Lösungen und internationale Konferenzen zur Lösung der Palästina-Frage stehen im Widerspruch zur Ideologie der Islamischen Widerstandsbewegung. Denn der Verzicht auf auch nur einen Teil Palästinas ist ein Verzicht auf einen Teil des Glaubens. (…) Die Palästina-Frage kann nur durch den Dschihad gelöst werden. Initiativen, Vorschläge und internationalen Konferenzen sind sinnlose Zeitvergeudung, frevelhaftes Spiel, (…) Artikel 27: (die PLO) verfolgt die Vorstellung eines säkularen Staates. (…) Eine derart säkulare Ideologie widerspricht gänzlich unserer religiösen Ideologie, und auf der Ideologie bauen Standpunkte und Taten auf und werden Entscheidungen getroffen. (…) Artikel 31: (…) Unter dem Islam, und nur unter dem Islam, können die Anhänger der drei monotheistischen Religionen Islam, Christentum und Judentum in Frieden und Sicherheit zusammenleben.“

https://www.kritiknetz.de/images/stories/texte/charta%20der%20hamas.pdf

Nach dem Oslo-II-Abkommen von 1995 bestand die Hoffnung, dass sich mit der palästinensischen Autonomiebehörde der Nukleus für eine palästinensische Staatsorganisation herausbilden könnte und sich in weiteren Verhandlungen ihre territoriale und rechtliche Souveränität erweitern würde. Die Umsetzung der Verhandlungsergebnisse stieß jedoch bei der israelischen Rechten auf starken Widerstand, der in der Ermordung Jitzhak Rabins gipfelte. Unter der Regierung Netanyahu (1996 – 99) kam die Umsetzung weitgehend zum Erliegen.

Nachdem es der Fatah-geführten PLO in den folgenden Jahren nicht gelang, in der Zwickmühle zwischen der fortgesetzten Besatzungspolitik und der Ausweitung der illegalen Siedlungen durch Israel und den terroristischen Aktivitäten der Hamas und des Islamischen Dschihad Verbesserungen für die palästinensische Bevölkerung und Fortschritte im Friedensprozess zu erzielen, verlor sie an Ansehen in der Bevölkerung. Ausdruck davon waren die Wahlen vom Januar 2006, bei der die Hamas die Mehrheit der Mandate im Palästinensischen Legislativrat gewann. Eine von der Hamas gebildete Regierung wurde vom Fatah-dominierten Verwaltungs- und Sicherheitsapparat sabotiert. Die europäischen Staaten stellten ihre Finanzhilfen für die PA ein, die USA verhängten Finanzsanktionen und Israel hielt die Transfers von Steuer- und Zolleinnahmen zurück. Auch der Versuch, eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden, scheiterte im Juni 2007. Nach bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen übernahm die Hamas die Macht im Gazastreifen, die demokratischen Institutionen wurden sowohl im Gazastreifen wie auch auf den West Banks weitgehend außer Kraft gesetzt. Bemühungen arabischer Staaten, zwischen den Parteien zu vermitteln, blieben ohne nachhaltigen Erfolg.

Trotz der desolaten Situation im Inneren erzielte die Palästinensische Autonomiebehörde auf internationaler Ebene einen Erfolg:

2012 verabschiedete die UN-Generalversammlung die Resolution 67/19. Der Status Palästinas in den Vereinten Nationen:

„Die Generalversammlung, (…) unter Hinweis auf ihre Resolution 181 (II) vom 29. November 1947, (…) in Würdigung des Planes der Palästinensischen Nationalbehörde von 2009, innerhalb eines Zeitraums von zwei Jahren die Institutionen eines unabhängigen palästinensischen Staates zu errichten, und begrüßend, dass die Weltbank, die Vereinten Nationen und der Internationale Währungsfonds in dieser Hinsicht den Stand der Bereitschaft für die Staatlichkeit positiv bewertet haben, was in den Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Ad-hoc-Verbindungsausschusses vom April 2011 und in späteren Schlussfolgerungen des Vorsitzes in der Feststellung zum Ausdruck kam, dass die Palästinensische Behörde in den untersuchten Schlüsselsektoren die Schwelle zu einem funktionierenden Staat überschritten hat, (…) 1. bekräftigt das Recht des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung und auf Unabhängigkeit in seinem Staat Palästina in dem seit 1967 besetzten palästinensischen Gebiet; 2. beschließt, Palästina in den Vereinten Nationen den Status eines Beobachterstaats ohne Mitgliedschaft zu gewähren, (…) 4. bekräftigt ihre Entschlossenheit, zur Verwirklichung der unveräußerlichen Rechte des palästinensischen Volkes und zur Herbeiführung einer friedlichen Regelung im Nahen Osten beizutragen, die die 1967 begonnene Besetzung beendet und die Vision zweier Staaten Wirklichkeit werden lässt: eines unabhängigen, souveränen, demokratischen und lebensfähigen Staates Palästina mit einem zusammenhängenden Hoheitsgebiet, der auf der Grundlage des Grenzverlaufs von vor 1967 Seite an Seite mit Israel in Frieden und Sicherheit lebt;“

https://www.un.org/Depts/german/gv-67/band1/ar67019.pdf )

Literatur: Helga Baumgarten Hamas – Der politische Islam in Palästina, München 2006 Muriel Asseburg, Palästina und die Palästinenser Bonn (bpb) 2022 Muriel Asseburg, Palästinas verbauter Weg zur Eigenstaatlichkeit, in: Vereinte Nationen Nr. 3/2018, S.105 – 110 Erhard Crome (Hrsg.): Endstatusverhandlungen im Nahen Osten? rls Berlin 2008

01

Zeitliste, gestützt auf: Muriel Asseburg, Palästina und die Palästinenser, Bonn (bpb, Bd. 10839), S.273–280)

1959 Gründung der Fatah

1964 Gründung der PLO in Jordanien

1974 Arabische Liga erkennt PLO als Vertreterin des palästinensischen Volkes an

1974 Die UN-Vollversammlung erkennt die PLO als Vertreterin des palästinensischen Volkes an:

https://documents-dds-Ny.un.org/doc/RESOLUTION/GEN/NR0/738/12/pdf/NR073812.pdf?OpenElement

1974 Arafat spricht vor der UN-VV, die PLO erhält Beobachterstatus bei den UN: Resol. 3236, 3237 der XXIX. UN-Vollversammlung: https://documents-dds-ny.un.org/doc/RESOLUTION/GEN/NR0/738/38/pdf/NR073838.pdf?OpenElement

1976 PLO wird Vollmitglied der Arabischen Liga

1981 Gründung des palästinensischen Islamischen Dschihad

1985 Arafat distanziert sich in Kairoer Erklärung von allen Terroraktivitäten

1987, 8.12., Beginn der ersten Intifada

1987 Gründung der Hamas, einer militanten Abspaltung der palästinensischen Muslimbrüderschaft

1988, Juli, Jordanien gibt alle Souveränitätsansprüche auf das Westjordanland und Ost-Jerusalem zugunsten der PLO auf

1988 , August, Hamas veröffentlicht ihre Charta: https://www.kritiknetz.de/images/stories/texte/charta%20der%20hamas.pdf

1988 ,15. November, palästinensische Unabhängigkeitserklärung; Proklamation eines palästinensischen Staates in den 1967 besetzten Gebieten durch die Exil-PLO in Algier. https://palaestina.org/fileadmin/user_upload/unabhaengigkeitserklaerung.pdf

1989, Sept., Israel erklärt die Hamas für illegal

1993 Oslo-I-Abkommen (israelisch-palästinensische Prinzipienerklärung)

1994, 4. Mai, Gaza-Jericho-Abkommen: Etablierung der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA)

1994, 1.Juli, Arafat kehrt aus dem Exil nach Gaza zurück, erste PLO-Sitzung auf palästinensischem Boden

1994, 26. Oktober, israelisch-jordanischer Friedensvertrag

1995, 24. September, Oslo-II-Abkommen (israelische-palästinensischer Interimsvertag) https://peacemaker.un.org/sites/peacemaker.un.org/files/IL%20PS_950928_InterimAgreementWestBankGazaStrip%28OsloII%29.pdf

1995, Nov. bis Dez., israelischer Truppenabzug aus den palästinensischen Bevölkerungszentren (A-Gebiete)

1996 Wahlsieg der Fatah bei den Wahlen zum Palästinensischen Legislativrat. Arafat Vorsitzender der PA

1997 Der palästinensische Legislativrat (PLC) verabschiedet einen Grundgesetzentwurf, Arafat fertigt das Gesetz nicht aus

2000, September, Beginn der zweiten Intifada

2002 Israel beginnt mit dem Bau von Sperranlagen im Westjordanland

2004 IGH stuft den Verlauf der Sperranlagen als Verstoß gegen internationales Recht ein

2004, 11. November, Tod Arafats, Nachfolger wird Mahmud Abbas

2006, 25.1., Wahlsieg der Hamas bei den zweiten palästinensischen Parlamentswahlen

2006, März, Technokratenregierung der Hamas unter Ismail Hanijjeh

2007, Februar, Mekka-Abkommen zwischen Fatah und Hamas unter saudischer Vermittlung

2007, März bis Juni, palästinensische Regierung der nationalen Einheit

2007, Juni, bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen und gewaltsame Machtübernahme der Hamas im Gazastreifen. In der Folge stuft Israel den Gazastreifen als feindliches Territorium ein

2011, 15. März, Zehntausende Demonstranten fordern Hamas und Fatah zur Einigung auf

2011, Mai, erstes versöhnungsabkommen zwischen Fatah und Hamas

2012 , 29.11., Palästina erhält bei den UN den Status als Beobachterstaat

(A/RES/67/19 – https://www.un.org/Depts/german/gv-67/band1/ar67019.pdf )

2015, April, Palästina tritt dem Internationalen Strafgerichtshof bei

2017, März, PA ergreift Strafmaßnahmen gegen die Hamas nach der Einrichtung eines Verwaltungskomitees im Gazastreifen

2017, Oktober, Versöhnungsabkommen zwischen Fatah und Hamas

2019 Netanyahu beendet die Präsenz der int. Beobachtermission (TIPH) in Hebron

2020 Nach dem „Jahrhundertdeal“ Trumps kündigt Israel Annexionen an

2021 Von Präsident Abbas angekündigte Wahlen zum Palästinensischen Legislativrat werden auf unbestimmte Zeit verschoben

(…)