Politische Berichte Nr.01/2024 (PDF)15
Aus Kommunen und Ländern

Konferenz der Linken Baden-Württemberg, 2.12.2023, DGB-Haus Karlsruhe:

„Armut bekämpfen – soziale Spaltung überwinden“

Jan Ohnemus / Christoph Cornides, Mannheim

01 Zum aktualisierten Armutsbericht 2022 des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes und zu notwendigen Änderungen der Regierungspolitik vertrat Ulrich Schneider, der der Konferenz online zugeschaltet war

Zum 2.12.2023 hatte die Linke Baden-Württemberg zu einer Tagung „Gegen Armut und soziale Spaltung“ ins DGB-Haus in Karlsruhe eingeladen. Trotz schlechten Wetters und teilweise blockierter Bahn und Autobahnen kamen rd. 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Baden-Württemberg. Eröffnungsrednerinnen und -redner waren Ulrich Schneider, Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Sofia Leonidakis, Fraktionsvorsitzende der Linken in der Bremischen Bürgerschaft und Sprecherin für Soziales, Kinder und Flucht, sowie Gökay Akbulut, Bundestagsabgeordnete der Linke aus Mannheim und migrationspolitische Sprecherin. Die Konferenz eröffnete und durch die Konferenz führte Sahra Mirow, Landessprecherin der Linken.Baden-Württemberg.

Nach den Eröffnungsbeiträgen im Plenum fanden drei Workshops zu Themen des Kampfes gegen Armut und soziale Spaltung statt. An der Konferenz beteiligten sich Vertreterinnen und Vertreter von Sozialverbänden und der Gewerkschaften sowie örtlicher und regionaler sozialer Einrichtungen wie u.a. SozPädal .Karlsruhe e.V. und der Verband der alleinerziehenden Mütter. Der „Mannheimer Morgen“ berichtete über die Konferenz im Regionalteil.

Sahra Mirow, Fraktionsvorsitzende im Heidelberger Gemeinderat. Landessprecherin der Partei Die Linke Baden-Württemberg.

Sie kritisierte in ihrer Eröffnung die Sparpolitik der Ampel:

„Die Ampel setzt zum sozialen Kahlschlag an und verschärft damit die soziale Spaltung. Entgegen ihrer Wahlversprechen holt die Ampel zum Rundumschlag auf die soziale Infrastruktur aus: ob bei Gesundheit und Pflege, Demokratieförderung oder Bildung – überall soll in Zukunft gespart werden.

Nur für die Aufrüstung der Bundeswehr und die Profite der Rüstungskonzerne gibt es mehr Geld und einig ist man sich auch bei den Angriffen auf das Asylrecht.“

Danach sprach Christina Zacharias als Vertreterin des gastgebenden Kreisverbandes ein Grußwort:

„Reicher Mann und armer Mann standen da und sahn sich an. Und der Arme sagte bleich: Wär‘ ich nicht arm, wärst du nicht reich“. Zacharias verwies mit dem bekannten Brecht-Gedicht auf den strukturellen Zusammenhang von Armut und Reichtum in unserer Gesellschaft und steckte so den Rahmen für die weitere Diskussion ab.

Dann wurde Ullrich Schneider, Bundesgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, online zugeschaltet.

Schneider gab einen Überblick über die Situation der letzten Jahre:

„Mit den seit Herbst 2021 steigenden Lebenshaltungskosten ist es zur schnellen Ausbreitung der Armut in Deutschland gekommen. Insbesondere Menschen, die von Grundsicherung leben müssen – und das sind aktuell rund sieben Millionen – wissen weder ein noch aus, wie Beratungsstellen oder Tafeln berichten. Und nicht nur sie.

Hinzu kommen jene 7,5 Millionen, die unter der Armutsschwelle liegen, aber so knapp über Grundsicherungsniveau, dass sie keinen Anspruch auf diese Leistung haben und ebenfalls nicht wissen, wie sie finanziell das Ende des Monats erreichen sollen.

Zwei Millionen Menschen, die ihre Lebensmittel regelmäßig über Tafel-Spenden besorgen, sprechen für sich.“

Danach ging Schneider besonders auf die verschiedenen Entlastungspakete und ihre sozialen Schieflagen ein:

„Die Bundesregierung hätte gut daran getan, in der Architektur ihrer Entlastungspakete zu berücksichtigen, dass Deutschland mit einer Armutsquote von fast 17 Prozent ein sozial tief gespaltenes Land ist.

Es ist das hohe Maß an Einkommens- und Ressourcenungleichheit, das Deutschland so anfällig macht für krisenhafte Entwicklungen wie in der Pandemie oder der exorbitanten und anhaltenden Inflation.“

Dennoch so Schneider:

„Teure Unterstützung wurde auch dort geleistet, wo sie nicht gebraucht wurde, und dort nur sehr unzulänglich, wo sie dringend erforderlich wäre. Von den rund 29 Milliarden, die die ersten beiden Entlastungspaket kosteten, floss etwa die Hälfte in Maßnahmen, bei denen der Entlastungseffekt dem Einkommen folgt. Wirklich zielgerichtet, ausschließlich an einkommensschwache Haushalte, flossen lediglich 2 der 29 Milliarden.“

Sofia Leonidakis Fraktionsvorsitzende der Linken in der Bremischen Bürgerschaft und Sprecherin für Soziales, Kinder und Flucht …

… gab zunächst einen Überblick zur Situation in Bremen und stellte kommunalen Möglichkeiten vor, um die ungerechte Politik auf Bundesebene abzufedern und zu mildern.

„Es macht einen Unterschied, wer regiert. Mit dem richtigen politischen Willen können wir in den Städten und Kommunen einiges tun, um die ungerechte Politik auf Bundesebene abzufedern und zu mildern. Wir können Weichen für mehr Bildungsgerechtigkeit stellen, den kommunalen Wohnungsbau vorantreiben, die Kitabetreuung verbessern, Regelungen zur Tariftreue erlassen und landesweite Mindestlöhne vorschreiben. Letztlich hängen diese Maßnahmen jedoch an der Finanzierung und sind damit Verteilungskämpfe, die auch auf Bundesebene geführt werden.“

Leonidakis gab an vielen praktischen Beispielen der Politik der Linken in der Bremer Landesregierung Anregung auch für praktische linke Kommunalpolitik, die zwei Grundsätzen folgen sollte: der „aufsuchenden Sozialpolitik“, wie sei die linke Bremer Sozialsenatorin während der Pandemie praktiziert hatte (Impfkampagne) und der sozial orientierten unterstützenden Stadtteilpolitik (relativ mehr Hilfe dort, wo mehr Hilfe gebraucht wird).

Gökay Akbulut, Bundestagsabgeordnete der Linke aus Mannheim und migrationspolitische Sprecherin …

gab einen Überblick über verschiedene von Armut betroffenen Gruppen und fasste die Situation in Deutschland wie folgt zusammen:

„Deutschland ist eines der reichsten Länder der Welt. Und während die Reichsten immer reicher werden, zahlen die Armen die Zeche für die Krisen unserer Zeit: Covid-19 Pandemie, Krieg in Europa, Klimakrise, hohe Inflation, Rezession – statt die Vermögenssteuer wieder einzuführen, eine dauerhafte und wirksame Übergewinnsteuer zu schaffen, extrem hohe Einkommen und Erbschaften stärker zu besteuern, Finanzkriminalität umfassend zu ahnden oder klimaschädliche Subventionen abzuschaffen, reicht die Regierung die Rechnung an diejenigen weiter, bei denen nichts mehr zu holen ist. Umso wichtiger ist unser Widerstand gegen all diese Missstände. Gemeinsam mit Wohlfahrtsverbänden, Gewerkschaften und Antirassistischen Bündnissen werden wir gegen die Spaltung unserer Gesellschaft kämpfen.“

***

Nach den Eröffnungsbeiträgen vertieften die rund 80 Anwesenden – die sich neben Mitgliedern und Mandatsträgern der Linken auch aus Gewerkschafter und Vertretern von Sozialverbänden zusammensetzte – die Diskussion in drei Workshops.

I. Sozial gerecht vor Ort und im Land? Was müssen wir kommunal und auf Landesebene gegen die zunehmende soziale Spaltung tun?

II. Zusammen mit den Gewerkschaften im Kampf gegen Armut: Was braucht es für eine sozial gerechte und nachhaltige Transformation der Wirtschaft?

III. Alleinerziehend und armutsgefährdet? Welche Maßnahmen sind nötig, um verfestigte Armut und insbesondere Kinderarmut zu bekämpfen? Welche Investitionen braucht es um Bildungsgerechtigkeit herzustellen?

Die Ergebnisse der Workshop-Phase wurden auf einem Abschluss-Podium zusammengefasst und festgehalten. Zum Abschluss erklärte die Konferenz ausdrücklich ihre Unterstützung für verschiedene Protestinitiativen der Sozialverbände und begrüßt die gemeinsame Erklärung von AWO, DGB, Paritätischem Paritätischen Wohlfahrtsverbands, BUND, Deutscher Kulturrat e. V., Deutscher Mieterbund e. V. und anderen Verbänden und Institutionen. Darin heißt es:

„Der vom Kabinett beschlossene Haushalt für das kommende Jahr geht mit drastischen sozialen Kürzungen – von Hilfen für Arbeitslose über die Kinder- und Jugendhilfe bis zur Unterstützung Geflüchteter – mit Streichungen beim Umweltschutz sowie der Verweigerung erforderlicher Zukunftsinvestitionen einher. Mit diesem Kurs gefährdet die Bundesregierung den Erfolg der sozial-ökologischen Transformation.“

www.der-paritaetische.de/fileadmin/user_upload/Fachinfos/doc/Brief_Kurskorrektur_bei_Sparpolitik_web.pdf

Abb. (PDF): Fotos vom Veranstaltungsort und Blick ins Publikum.

01

Zum aktualisierten Armutsbericht 2022 des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes und zu notwendigen Änderungen der Regierungspolitik vertrat Ulrich Schneider, der der Konferenz online zugeschaltet war, u.a.:

Die Armut in Deutschland hat im Jahr 2021 mit einer Armutsquote von 16,9 Prozent einen neuen traurigen Höchststand erreicht. Noch nie wurde auf der Basis des amtlichen Mikrozensus ein höherer Wert gemessen. 14,1 Millionen Menschen müssen zu den Armen gerechnet werden – noch einmal 600 000 mehr als 2020 und 900 000 mehr als vor der Pandemie.

Der aktuelle Armutsrekord ist die Spitze eines Trends, der Deutschland seit nunmehr 15 Jahren fest im Griff hat. … Dabei ist der Anstieg der Armutsquote in den beiden Pandemiejahren 2020 und 2021 von 15,9 auf 16,9 Prozent der steilste Anstieg innerhalb von zwei Jahren seit Beginn der Messung. Noch hat sich die Armut in Deutschland so schnell ausgebreitet wie während der Pandemie … Erst die Tatsache, dass fast die Hälfte der Einwohnerschaft ohne nennenswerte Reserven in Form von Vermögen ist, dass nach wie vor jede*r fünfte Arbeitnehmer*in im Niedriglohnsektor tätig ist und Millionen von Menschen auf Grundsicherungsleistungen verwiesen werden, die bereits ohne inflationäre Entwicklungen nicht vor Armut schützen, lassen die steigenden Lebenshaltungskosten zum armutspolitischen Problem von besonderer Brisanz werden … Statt wenig Hilfe für alle, ausreichende Hilfe für die, die sie brauchen, hätte die Richtschnur sein müssen.

Notwendige Reformen zur Beseitigung der Armut

Eine künftige Sozialpolitik muss auch in Krisenzeiten darauf abzielen, die ökonomische Situation der prekären Haushalte dauerhaft und nicht nur zeitweilig zu stärken, um diese Gesellschaft als Ganze krisenresilienter zu machen. Mindestlohn, Grundsicherung, Wohngeld und BAföG sind die Hebel, mit denen Niedrigeinkommensbezieher*innen in Gänze erreicht werden können.

Der Regelsatz ist nach Berechnungen des Paritätischen dazu von derzeit 502 auf 813 Euro anzuheben.

Die wichtige Wohngeldreform ist noch weiter auszubauen: Mit dem Wohngeld können grundsätzlich fast alle erreicht werden, die mit ihrem Einkommen nicht wesentlich über der Grundsicherungsschwelle liegen und daher staatliche Hilfe benötigen. Wenn bei rund 7,7 Millionen armer Haushalte künftig rd. 5,5 Millionen statt, wie bisher, 3,9 Millionen über Grundsicherung oder Wohngeld Unterstützung erfahren, ist das ein großer politischer Schritt, bedeutet im Umkehrschluss aber auch, dass 2,2 Millionen Haushalte noch nicht erreicht werden, obwohl sie mit ihrem Einkommen unter der Armutsgrenze liegen.

… Zu einer offensiven und problemlösenden Armutspolitik bedarf es darüber hinaus:

der Einführung der einkommens- und bedarfsorientierten Kindergrundsicherung, die zuverlässig vor Armut schützt und es Eltern erspart, allein auf Grund von Kindern zum Jobcenter gehen zu müssen;

Abb. (PDF): Grafik: Arme nach Erwerbsstatus 2021. Aus: www.der-paritaetische.de/themen/sozial-und-europapolitik/armut-und-grundsicherung/armutsbericht-2022-aktualisiert/