Aus Politische Berichte Nr. 8-9/2018, S.03 InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

Frankreich: Parteien und Regierung ein Jahr nach den Wahlen

01 - info-Eisenbahnreform

Matthias Paykowski, Karlsruhe

Die Erschütterungen im französischen Parteiensystem, Ergebnis der Wahlen 2017, haben La Republique en marche (LREM) mit einer deutlichen Mehrheit in der Nationalversammlung versehen und damit auch die parlamentarischen Möglichkeiten der oppositionellen politischen Parteien und Kräfte beschränkt. Das Tempo, mit dem die Regierung Reformen auf den Weg bringt und vom Parlament beschließen lässt, kann die Opposition aktuell kaum mithalten, und der Präsident nutzt die ihm von der Verfassung zugestandenen Möglichkeiten weitgehend aus.

Die Opposition

Der Front National hat sich von der Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen, dem dilettantischen Wahlkampf ihrer Kandidatin gegen Macron noch nicht erholt. Marine Le Pen ist derzeit zwar unangefochten in der Führung der Partei. Aber es gibt Distanzierungen. Nichte Marion Maréchal hat den Namen Le Pen abgelegt und versucht mit dem Aufbau einer rechten Eliteschmiede einen anderen Weg zu politischem Erfolg. Die Umbenennung des FN in Nationale Sammlungsbewegung (frz.: Rassemblement National) bewirkt bisher auch keine nennenswerte Mobilisierung. Strafrechtliche Verfolgungen haben dazu geführt, dass die Kassenlage angespannt ist. RN hofft vor allem auf ein gutes Ergebnis bei den Europawahlen 2019. Das soll die Kasse füllen, und die politische Stimmung den RN beflügeln.

Die EU-Wahlen sind auch für die Republikaner (LR) von Bedeutung. Sie haben nach dem Ergebnis von Fillon bei den Präsidentschaftswahlen mit Laurent Wauquiez einen Nachfolger im Parteivorsitz gewählt, der sich bei der Themenwahl vor allem in Richtung FN/ RN positioniert. Ob als politische Konkurrenz oder als Koalitionspartner bleibt offen. Wauquiez will mit seinem Kurs Wähler des RN „absaugen“. Das ist in der Partei durchaus umstritten. Bekannte Größen der Partei halten sich derzeit fern und warten ab. Auch der Kurs der Regierungspartei LREM, Mitglieder von LR für die Regierungspolitik zu gewinnen, ist nicht ohne Erfolg. LR hat Mühe seinem Anspruch als stärkste Oppositionspartei nachzukommen.

Ob die sozialistische Partei (PS) die momentane schwere Krise überstehen wird, bleibt fraglich. Die Partei hat einen neuen Vorsitzenden, Olivier Faure. Und einen neuen Namen: „Neue Linke“ (frz. Nouvelle Gauche). Nur 40 000 von noch 100 000 registrierten Mitgliedern hatten sich am ersten Wahlgang beteiligt. Der Präsidentschaftskandidat Benoît Hamon hat eine eigene Bewegung „Génération.s“ aufgemacht und die Jugendorganisation hat sich ihm angeschlossen. Die Parteizentrale ist verkauft – zur Schuldentilgung. Die Einnahmen der Partei sind von fünfundzwazig auf acht Millionen Euro gesunken, da in Frankreich die Parteien vom Staat über die Anzahl der Abgeordneten finanziert werden.

Auf der Linken haben Jean-Luc Mélenchon und das „Unbeugsame Frankreich“ (frz. La France insoumise, LFI) die Rolle als stärkste parlamentarische Kraft der Opposition übernommen. Mélenchon kommt aus der Sozialistischen Partei, gründete 2008 die „Partei der Linken“ (frz. Parti de Gauche). 2017 trat er dann mit LFI zur Präsidentschaftswahl an und hatte mit 19,6 % der Stimmen die Stichwahl ebenfalls knapp verpasst. LFI versucht vor allem auch außerparlamentarische Mobilisierung gegen die Politik von Macron und LREM. Allerdings sind auch hier die Erfolge eher bescheiden. Hoffnungen, außerparlamentarisch der Regierung zusetzen zu können, waren bisher ebenso erfolglos wie die Versuche, parlamentarische Entscheidungen, in der Vergangenheit durchaus erfolgreich, wegzustreiken. Mélenchons Ruf im französischen Parteiensystem und auf der Linken ist zweifelhaft, LFI ist nicht als demokratische Partei verfasst, sondern auf charismatische Führerschaft zugeschnitten, ein Phänomen, das derzeit auch von anderen präferiert und ausprobiert wird.

Abb.(nur im PDF): Mit „caravanes rural“ zog La France insoumise im Juli zur Sommeragitation durch die Regionen.

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Eisenbahn-Reform

Frankreichs Wirtschaft wächst wieder etwas stärker, die Arbeitslosigkeit geht – vor allem aufgrund der Konjunktur – leicht zurück, das Haushaltsdefizit ist erstmals seit langem unter 3 %, die Investitionen der Unternehmen haben zugelegt.

Jean Tirole, Träger des Nobelpreises für Ökonomie, bilanziert Macrons Bemühungen zur Reform der Schiene:

Die jahrzehntelange Untätigkeit der Regierungen habe zu einer unerträglichen Situation geführt, ein öffentlicher Dienst auf „Halbmast“, ein wartungsbedürftiges Netz und Schulden von 55 Milliarden Euro.

Um die Schiene in Frankreich zu retten, müsse man pragmatisch sein. Ein Beispiel sei die Post in Frankreich, deren Kerngeschäft seit zehn Jahren deutlich sinke und die seit langem nur noch privaten Status habe. Dort habe man gelernt mit Innovationen zu reagieren. In Deutschland z.B. hätten Eisenbahner von Wettbewerbern der DB privatrechtliche Arbeitsverträge.

Seiner Meinung nach erklärt sich der Widerstand gegen die Reform aus der Ablehnung eines Wettbewerbs, der bereits in einer europäischen Richtlinie von 1991 vorgesehen ist. Diese werde aber von Frankreich 2018 noch immer nicht angewandt. Es sei nicht besonders nützlich, über die Einführung des Wettbewerbs erst in den nächsten zwanzig Jahren zu reden. Dieser Wettbewerb werde es den Nutzern ermöglichen, zu vergleichen … die Regionen wären nicht länger nur den Bedingungen eines Monopolunternehmens ausgesetzt.

Wie in der Vergangenheit werde die „Aufrechterhaltung des öffentlichen Dienstes“ oft als letztes Bollwerk gegen die Einführung des Wettbewerbs ins Feld geführt. Seit Jahrzehnten jedoch erklärten Ökonomen, dass öffentliche Dienstleistungen in einem für den Wettbewerb offenen Sektor vollständig erhalten werden können; diese Botschaft habe sich in den Bereichen Telekommunikation und Elektrizität bestätigt, im Schienenverkehr sei die gleiche Strategie möglich. Außerdem sei es Sache des Staates und der Regionen und nicht der Eisenbahner, der Richter und der Parteien, den öffentlichen Dienst zu definieren!

Um die Eisenbahn in Frankreich zu retten, bedürfe es mehr als einer Änderung des Status des Eisenbahnarbeiters. Man müsse pragmatisch vorgehen: Der Wettbewerb werde nicht allein in dieser Netzbranche stattfinden, und müsse mit einer Reihe von Maßnahmen beginnen, die den Wettbewerb bei der Vergabe von Konzessionen für TER-Dienste (Regional- und Nahverkehr) und möglicherweise für bestimmte TGV-Linien (Fernverkehr) begünstige.

So könne ein Teil potenzieller Effizienzgewinne aus einer besseren Organisation des Dienstes resultieren; allerdings müsse den Unternehmen auch ermöglicht werden, diese neuen Formen der Arbeitsorganisation zu verwirklichen. Zweitens sollte die Infrastruktur (Eisenbahnen, Bahnhöfe usw.) klarer von den Dienstleistungen getrennt werden, die in Wettbewerb gesetzt werden könnten. Wie in Deutschland müssten auch hier die Wettbewerbsbehörden in der Lage sein, die Verfahren für die Zuweisung von Zugtrassen und die Bedingungen für die Verwaltung von Genehmigungen zu überwachen.

Les Echos, 20.4.2018, https://www.lesechos.fr/20/04/2018/lesechos.fr/0301590768563_bilan-macron---ce-que-le-prix-nobel-jean-tirole-conseille-au-president.htm