Aus Politische Berichte Nr. 8-9/2018, S.06 InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

ETA-Auflösung: Der Versuch, auf gewaltsamen Weg ein unabhängiges Baskenland in einer pluralen Gesellschaft durchzusetzen, ist gescheitert

01 Auflösungs-Erklärung ETA

02 Lektüreempfehlung: Fernando Aramburu, Patria, Rowohlt-Verlag, 2018.

03 Der Strafvollzug von ETA-Häftlingen

Claus Seitz, Schweinfurt / San Sebastián

Was ist das Vermächtnis von ETA? Ohne Zweifel das in 60 Jahren verursachte Leiden – 829 Todesopfer, darunter 40 % Zivilisten, über 150 tote Etarras, heute noch 273 ETA-Gefangene. Ein schwieriger Versöhnungsprozess, der auf den Erinnerungen der Opfer basieren muss, ohne Amnesie, aber auch ohne Rachsucht; die Auseinandersetzung um Haftbedingungen, um Aufklärung und gleiche institutionelle Anerkennung aller Opfer, auch der des „schmutzigen Kriegs“ und des Missbrauchs von Polizeigewalt.

Versuch einer Chronik

Euskadi Ta Askatasuna, kurz ETA, (baskisch für Baskenland und Freiheit), gegründet 1959 von Studenten der Jesuiten-Universität in Bilbao mit dem Ziel eines entschiedenen Widerstands gegen die Franco-Diktatur, inspiriert von Irland, Kuba, Algerien und Vietnam, proklamierte auf ihrem V. Kongress den nationalen Befreiungskampf und definierte sich als „revolutionär-sozialistische baskische Bewegung“.

Bis zum Ende des Franco-Regimes 1975 blieb ETA die einzige Organisation, die bewaffneten Widerstand leistete, was ihr viele Sympathien einbrachte. Am 7.6.1968 ermordete ETA den berüchtigten Folterer Meliton Manzanas, Leiter der Politisch-Sozialen Brigade von San Sebastián, am 20.12.1973 in einer spektakulären Aktion den spanischen Premierminister und designierten Franco-Nachfolger Luis Carrero Blanco.

93 % der Morde beging ETA allerdings nach dem Ende der Franco-Diktatur. Mit 244 Opfern am schlimmsten waren die Jahre 1978 bis 1980, die entscheidenden Jahre der Transition, in denen die demokratische Verfassung Spaniens (1978) und das Statut der baskischen Autonomie (1979) angenommen wurden und sich baskisches Parlament und Regierung konstituierten. Obwohl 1978, „der politische Arm der ETA“, die Partei Herri Batasuna (Volkseinheit) legal gegründet werden konnte (1980 mit 16,55 % zweitstärkste Kraft im baskischen Parlament), setzte ETA den bewaffneten Kampf fort, um ein unabhängiges Baskenland gegen das entstehende demokratische Spanien durchzusetzen.

Während der 80er-Jahre hielten die terroristischen Aktivitäten auf hohem Niveau an, darunter am 19.6.87 der größte ETA-Anschlag auf einen Supermarkt in Barcelona mit 21 Toten.

Für den Niedergang von ETA ab 1992 werden drei Faktoren benannt: das effizientere Handeln von Justiz und Sicherheitskräften, die Zusammenarbeit mit Frankreich und die wachsende Ablehnung der ETA-Gewalt in der Gesellschaft.

„Die Stärke, die ETA über 20 Jahre hinweg besaß, leitete sich aus ihrem Vermögen ab, Kämpfer zu rekrutieren und aus der relativen Toleranz Frankreichs gegenüber den ETA-Aktivitäten, die ETA eine Rückzugsbasis ermöglichte außerhalb des Zugriffs der spanischen Justiz. Die Rekrutierung war leicht, weil ETA die Sympathien eines Sektors der baskischen Gesellschaft hatte, der zwar in der Minderheit, aber dennoch bedeutend war, und der dem spanischen Staat jegliche Legitimität aberkannte.“ (1)

Der staatliche Sicherheitsapparat setzte auf von der Franco-Diktatur geerbte Repressionsmethoden: Ausgeweitete Razzien, Verhaftungen von Menschen, die ETA nahestanden, Verfolgung von Ideen und Einstellungen statt tatsächlicher Straftaten. In den Jahren 1983 bis 1987 bildeten Teile der Administration paramilitärische Anti-ETA-Todesschwadronen, die GAL, und entfachten den „schmutzigen Krieg“, gewalttätige und illegale Aktionen mit mehreren Dutzend Todesopfern, darunter auch völlig Unbeteiligte. „Das moralische Prestige der jungen spanischen Demokratie wurde beschmutzt und die Attentate der GAL trugen dazu bei, dass ein Sektor der baskischen Bevölkerung sich weigerte, die Realität der Demokratisierung anzuerkennen. Alle Taktiken, die sich von den Prinzipien des Rechtsstaats entfernten, sowohl die, die repressive Exzesse (schmutziger Krieg, wahllose Repression) als auch die, die Konzessionen an den Terrorismus (Verhandlungen, Toleranz gegenüber kriminellen Aktionen des ETA-Umfelds) implizierten, brachten schlechte Ergebnisse. Wir glauben dagegen, dass Aktionen im Einklang mit dem demokratischen Geist und im Respekt vor der Legalität wirkungsvoll zum Niedergang ETAs beigetragen haben“. (2)

Ab etwa 1986 unterstützte Frankreich die ETA-Bekämpfung, wodurch deren Rückzugsmöglichkeiten im französischen Baskenland eingeschränkt wurden, viele ETA-Kommandos ausgehoben und mehrmals ETA-Führungen verhaftet wurden.

Anfang 1995 leitete ETA die Etappe „Sozialisierung des Leidens“ ein und ging zu gezielten Angriffen auf Lokalpolitiker über, begleitet von der Schaffung eines Klimas der Einschüchterung mit Wellen gewaltsamer Angriffe gegen Bankfilialen, Parteibüros der politischen Gegner und öffentliche Transportmittel. 98 Menschen, darunter 30 Politikern, kostete dies das Leben.

1995 wurde Gregorio Ordonez (stellvertretender Bürgermeister von San Sebastián) ermordet, 1997 kam es zur Gefangennahme und Ermordung des konservativen Stadtrats von Ermua, Miguel Angel Blanco, um die Forderung nach Verlegung aller ETA-Gefangenen ins Baskenland durchzusetzen. In Antwort darauf fanden im ganzen Land Demonstrationen mit sechs Millionen Teilnehmern unter der Parole „Es reicht jetzt“ statt. Die soziale Ablehnung von ETA wuchs immens.

Ab März 2001 ging die spanische Justiz zur Illegalisierung des ETA-Umfelds über. Auf Basis des neuen Parteiengesetzes wurde 2003 die Partei Batasuna verboten.

Im März 2006 erklärte ETA einen permanenten Waffenstillstand und führte in Oslo und Genf Friedensverhandlungen mit der spanischen Regierung. Zu einem Zeitpunkt, als ein positives Ergebnis möglich schien, wurden nach einem Flügelkampf die ETA-Verhandlungsführer entmachtet, ein Anschlag mit zwei Toten auf den Madrider Flughafen verübt, und ETA beendete die Verhandlungen. In der Folge kam es zum ersten öffentlichen Bruch des Batasuna-Umfelds mit ETA.

Die wachsende Ablehnung von ETA in der baskischen Gesellschaft und das Verbot ihrer Aktivitäten beförderten ein Umdenken. Das Projekt „Pulso Soberanista“ wurde gestartet mit dem Ziel der Bildung einer linksnationalistischen Front mit anderen Organisationen auf ausschließlich friedlichem Weg.

Der Diskussionsprozess mündete in die Gründung der Batasuna-Nachfolgepartei Sortu („Erschaffen“), die sich in ihrem Statut auf einen demokratischen Prozess und die Ablehnung von Gewalt verpflichtete und 2012 vom Obersten Gericht legalisiert wurde. Am nationalrevolutionären Konzept von ETA wurde jedoch festgehalten. Zur Beteiligung an den Wahlen wurde der Parteienverband EH Bildu („Baskenland vereint“) gebildet, dem neben Sortu weitere baskisch-nationalistische Parteien angehören. Bei den baskischen Parlamentswahlen 2016 wurde EH Bildu mit 225.172 Stimmen (21,26 %) und 18 Mandaten zweitstärkste Partei. Im Baskenland und in Navarra stellt EH Bildu 117 Bürgermeister, darunter den von Pamplona, und 1.170 Gemeinderäte.

Von Sortu angeschoben, unterstützt durch ein internationales Friedenskomitee, erklärte ETA am 20.10.2011, künftig auf jegliche Gewalt zu verzichten.

Dass die ehemalige PP-Regierung sich auf keinerlei Verbesserung für die ETA-Häftlinge einließ und sich zur ETA-Auflösung passiv verhielt, trug dazu bei, dass es noch einige Jahre dauerte, bis ETA 2017 der französischen Polizei unter Vermittlung des intAbb.(nur im PDF): ernationalen Friedenskomitees Lagepläne ihres Arsenals an Waffen, Munition und Sprengstoff übergab und sich am 2.5 2018 auflöste.

(1) (2) GEES, El declive de ETA, 2003. GEES (Gruppe für strategische Studien) ist ein konservativer Think-Tank, der der Partido Popular nahesteht.

01

Auflösungs-Erklärung ETA

„ETA, baskisch sozialrevolutionäre Organisation der nationalen Befreiung, will das baskische Volk über das Ende ihres Bestehens informieren … Die Exmitglieder von ETA werden ihren Kampf für ein wiedervereinigtes, unabhängiges, sozialistisches, baskischsprachiges, nicht patriarchalisches Baskenland fortführen … Entscheidend wird das Selbstbestimmungsrecht sein, um die nationale Anerkennung zu erreichen. Die linke Unabhängigkeitsbewegung wird dafür kämpfen, dass dies zur Konstituierung des baskischen Staates führt … ETA ist aus diesem Volk hervorgegangen und löst sich jetzt in dieses auf.“

02

Lektüreempfehlung: Fernando Aramburu, Patria, Rowohlt-Verlag, 2018.

Der Roman versetzt den Leser in eine Kleinstadt bei San Sebastián, wo ETA mit Drohungen, Erpressungen und Anschlägen ein Klima der Einschüchterung schafft. Er schildert, wie zwei befreundete Familien auf die Opfer- und Täterseite geraten, beschreibt das Leiden beider und wie schwierig Versöhnung und Anerkennung von Schuld sind.

03

Der Strafvollzug von ETA-Häftlingen

Als Kernbestandteil der Antiterrorpolitik wurde das Generalgesetz zum Strafvollzug (von 1979) mehrmals verschärft, zuletzt 2003. Im Ergebnis finden Haftdauer und -bedingungen der ETA-Gefangenen nirgendwo in Westeuropa eine Entsprechung.

Beispiel Arrospide

Am 5. August kam im Alter von 70 Jahren nach fast 31 Jahren in Gefängnissen der historische ETA-Anführer Santiago Arrospide frei. Arrospide war Chef illegaler Kommandos in den 80-er Jahren, er wurde zum Verantwortlichen für 40 Morde erklärt und zu über 3000 Jahren Gefängnis verurteilt. In Frankreich verbüßte er 13 Jahre, ehe er am 2000 nach Spanien ausgeliefert wurde. Die spanische Audiencia Nacional legte 2006 fest, dass Arrospide bis 2030 in Haft bleiben müsste (also insgesamt 43 Jahre).

Der Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verpflichtete Spanien in zwei Verfahren 2013 und 2014, Arrospide 2014 freizulassen, weil eine nachträgliche Verlängerung der Haft nicht zulässig sei und weil die in Frankreich verbrachten 13 Haftjahre in Spanien angerechnet werden müssten. Nach seiner Freilassung im Dezember 2014 wurde Arrospide nach 45 Tagen in Freiheit wieder inhaftiert auf Grundlage einer erneuten Haftstrafe wegen zweier Attentate. Die 31 Haftjahre verbüßte Arrospide fast ausnahmslos in weit vom Baskenland entfernten Gefängnissen und im ersten Grad.

Der Vorsitzende der AVT (einflussreicher Opferverband) in Castilla Leon, Juan José Aliste, erklärte, die Haftdauer Arrospides sei lächerlich und er würde es vorziehen, „wenn dieser im Gefängnis verfaulen würde“. (Gara, 5.8.18)

2006 forderte Arrospide von ETA die Aufgabe des bewaffneten Kampfes.

Erst vor kurzem wurde ca. 80 Häftlingen der Wechsel in den zweiten Grad mit der Begründung „mangelnde Reue“ verweigert.

Die neue spanische PSOE-Regierung hat angekündigt, Häftlinge in die Nähe des Baskenlands zu verlagern. Begonnen werden soll mit über siebzigjährigen und schwerkranken Häftlingen. Die französische Regierung hat bereits fast die Hälfte der ETA-Häftlinge in die Nähe vom Baskenland verlegt.

Das rechte Lager und die Opferverbände laufen Sturm gegen jegliche Verbesserung der Haftbedingungen.

Abb.(nur im PDF): Todesopfer der ETA

Abb.(nur im PDF): Demonstration von Sortu am 11. August 2018 in San Sebastián für eine baskische Republik. „Das Ziel von Sortu ist ein freies, sozialistisches, feministisches, baskischsprachiges Baskenland, Bruch mit dem kapitalistisch-patriarchalen System und Aufbau einer völlig anderen Gesellschaft basierend auf demokratischer Teilnahme“.