Aus Politische Berichte Nr. 02/2019, S.04 InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

Mit der irischen Insel werden die Weichen für die Zukunft des Vereinigten Königreiches gestellt

Eva Detscher, Karlsruhe


01 info: Konkurrenz um Krone und Gebietsherrschaft

Am 6. Februar war der irische Premierminister Leo Varadkar bei Donald Tusk und auch bei Jean-Claude Juncker in Brüssel und bekam Unterstützung zugesagt für die Folgen eines wie auch immer gearteten Brexits. Varadkar sucht das Gespräch mit den nordirischen Parteien und ein Treffen mit Theresa May fand am 8. Februar statt.

Wird die Folgenabschätzung eines Brexits allein auf wirtschaftliche Friktionen reduziert, kann man nicht begreifen, warum es quer durch die britische Gesellschaft eine derartig hartnäckige Ablehnung von passablen Loslösungsszenarien gibt. Auch dass die harte Außengrenze zwischen der Republik Irland – EU-Mitgliedsstaat mit knapp fünf Millionen Einwohnern – und Nordirland, ein Landesteil des Vereinigten Königreiches (5,7 % der Landesfläche, knapp zwei Millionen Einwohner, das sind 3 % des UK) zur Gretchenfrage beim Austrittsabkommen geworden ist, liegt in der Unsicherheit, ob der Staat „Vereinigtes Königreich“ mit seinen vier Landesteilen eine Einheit bleiben wird.

Die faktische Teilung der Insel

(Zur älteren Geschichte siehe Kasten). Das seit ungefähr 1910 andauernde Aufbegehren von Teilen der irischen Bevölkerung gegen das britische Empire mündete während des sogenannten Osteraufstandes 1916 in die Ausrufung einer „Irischen Republik“, eine provisorische Regierung sollte nationale irische Wahlen vorbereiten. Dieser Aufstand wurde blutig niedergeschlagen – die hier noch geringe Unterstützung in der Bevölkerung änderte sich dramatisch: bei den Wahlen für das britische Parlament – Irland gehörte in Gänze zum Vereinigten Königreich – erlangte die Partei Sinn Fein die meisten Stimmen, aber anstatt ins Parlament zu gehen, boykottierten die Abgeordneten das britische Parlament, versammelten sich im Januar 1919 im Mansion House in Dublin und ratifizierten an diesem Tag rückwirkend die irische Unabhängigkeitserklärung und die Gründung der „Irischen Republik“. „Republik“ bedeutete die völlige Zurückweisung aller verfassungsmäßigen Bindungen mit Großbritannien. Allerdings war schon seit längerem klar, dass der Nordosten sich niemals dieser Republik anschließen würde. Diese Tatsache wurde gesehen, aber die damit verbundenen Probleme nicht gelöst; 1920 erhielt die Teilung der Insel durch das britische Parlament mit dem „Government of Ireland Act“ Gesetzeskraft. Es sollten „Nordirland“ und „Südirland“ entstehen. 1921 wurde das erste nordirische Parlament gewählt, Südirland wurde nie Realität: 12 der 128 gewählten Parlamentarier des südirischen Unterhauses weigerten sich, als Unterhaus zusammenzukommen[1]. Mit dem Festsetzen einer harten Staatengrenze 1949 bekam die Auseinandersetzung ein Symbol, um das bis hin zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen gekämpft werden wird – ein Friede war erst mit dem Karfreitagsabkommen 1998 möglich.

1973 sind sowohl das Vereinigte Königreich (einschließlich Nordirland) als auch die Republik Irland der Europäischen Gemeinschaft beigetreten, zu einem Zeitpunkt, der von manchen als Höhepunkt der gewaltsamen Auseinandersetzungen in der Region gesehen wird. Die protestantischen Unionisten sahen durch den Beitritt zur EG die britische Souveränität und letztlich den Zusammenhalt des Königreiches bedroht, die katholisch-irische Bevölkerung befürchtete Angriffe auf Bürgerrechte und Sozialreformen durch die EG. Für die EG war dieser gewalttätige Konflikt zwischen zwei Mitgliedsstaaten eine große Herausforderung, ihr Ansehen in Nordirland wurde erst besser als Anfang der 1990er Jahre Wege gefunden wurden, die europäische Einigung als Vorbild für eine friedliche Lösung des Nordirland-Konflikts (zwischen Norden und Süden) zu akzeptieren und dann 1993 mit dem Binnenmarkt auch noch die Zollschranken zwischen den beiden Inselteilen fielen, verlor einer der Hauptangelpunkte im Nordirland-Konflikt, die umstrittene Grenze, einen großen Teil seiner streitbaren, symbolischen Bedeutung. (Zitiert nach Patrick Utz: Nordirland: 45 Jahre EU-Mitgliedschaft, 20 Jahre Frieden, aber was nun? Der Standard, 11.4.2018)

Erst seit 1998 mit Inkrafttreten des Karfreitagsabkommens ist dieser Konflikt auf eine Ebene des verhandelbaren Interessenausgleichs geführt worden. Die Regierung der Republik Irland, die Regierung des Vereinigten Königreiches und die Parteien in Nordirland haben dieses Abkommen ausgehandelt, bei getrennten Referenden in beiden Inselteilen fand es mit 71 % im Norden und mit 94 % in der Republik Irland die Zustimmung der Wahlvölker. Der Friedensprozess hat durch dieses Abkommen neue Dynamik erhalten: Die Grenze ist freundlich geworden, unsichtbar im alltäglichen Grenzverkehr. Wie an anderer Stelle beschrieben (Politische Berichte 4/2018) ist in den letzten zwanzig Jahren eine Normalität eingekehrt, die durch das Brexit-Referendum gefährdet ist [2]. Ein Verlassen der EU vor Augen, tauchen auch wieder Vereinigungsparolen auf, die direkt den Frieden gefährden: Bestandteil des Karfreitagsabkommens war nämlich, dass Irland auf eine Wiedervereinigung verzichtet – im Gegenzug sicherte Großbritannien eine enge Kooperation zwischen irischen und nordirischen Behörden zu. Dies war ein guter Weg, der Brexit hingegen führt in einen Teufelskreis (catch 22 truth): Wenn es eine offene Grenze zwischen dem Norden und der Republik geben soll, muss Nordirland Teil einer Zollunion sein. Wenn dies nicht gewünscht wird, kann es keine offene Grenze geben.

Aber auch andere alte Ressentiments kehren wieder. Die DUP, die größte Partei in Nordirland, ist in ihrem Furor gegen die EU kaum zu bremsen: EU-Parlamentspräsident Donald Tusk wurde gerade als teuflisch und euromanisch beschimpft, und die DUP will gegen jedes Abkommen stimmen, das eine Backstop-Lösung enthält. Welcher Furcht geben diese Politiker Ausdruck? Dass bei einer Backstop-Lösung die Bindung zur britischen Hauptinsel derart geschwächt würde, dass sie sich ausgeliefert sähen einer Republik Irland? Und von der Seite Großbritanniens aus betrachtet: wäre der Backstop der Beginn eine Ent-Vereinigung mit Nordirland und als solches gewissermaßen ein Startsignal für eine Auflösung des Verbunds aller Landesteile? Das Referendum in Schottland 2014 über eine Unabhängigkeit von London (die Mehrheit war dagegen) war durchaus ein Signal dafür, dass die wechselseitigen Vorteile erkennbar bleiben und die wechselseitige Anerkennung der Unterschiedlichkeit lebendig gehalten werden sollte. In Schottland waren übrigens beim Brexit-Referendum 62 % für den Verbleib in der EU.

Wird es einen Freihandelsvertrag zwischen EU und dem Vereinigten Königreich geben? Wenn nicht, dann müsste Nordirland zollfreie Zone bleiben. „Das ist eine Garantie für Irland und die Union“, sagte Juncker beim Treffen mit Varadkar. Und Theresa May will eine Zusicherung, dass dieser Backstop nicht ewig dauern dürfe, weil London damit das Recht auf territoriale Integrität über Nordirland aufgeben würde. An der Lösung, im Prinzip an der Formulierung einer Lösung, wird sich das Brexit-Dilemma entscheiden.

Anmerkungen:

[1] Seit 1927 taucht im offiziellen Staatsnamen des Vereinigten Königreiches auch Nordirland auf („United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland“ – „Großbritannien“ bezeichnet nur die Hauptinsel mit den Landesteilen England, Wales und Schottland) – 26 irische Grafschaften hatten 1922 den Irischen Freistaat als konstitutionelle Monarchie innerhalb des British Empire gegründet, 6 (der 9) Grafschaften der Provinz Ulster verblieben beim Vereinigten Königreich. Seit 1949 ist die Republik Irland anerkanntes Mitglied der Weltstaatengemeinschaft.

[2] 55,8 % der nordirischen Stimmberechtigten (bei 62,7 % Beteiligung) stimmten für den Verbleib in der EU – bei den politischen Parteien waren für den Verbleib die Social Democratic and Labour Party und die Alliance Party, für einen Austritt waren die Democratic Unionist Party (die DUP, die im Moment auch Koalitionspartner von Theresa Mays Tory Partei ist) und die Traditional Unionist Voice.

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Konkurrenz um Krone und Gebietsherrschaft

Irland war seit 1541 unter Heinrich VIII zum „Vereinigten Königreich und Irland“ geworden, nachdem sich zuvor England mit Wales (1284) und später Schottland (1706) meist durch monarchische Personalunion und dann vertragliche Vereinigung zum Königreich Großbritannien zusammengeschlossen hatten. Bereits Mitte dieses 16. Jahrhunderts wurde der Norden der irischen Insel in besonderer Weise mit der britischen Hauptinsel verbandelt: Gebiete wurden konfisziert und an protestantische Siedler aus Schottland und England übergeben. Heinrich VIII hatte kurz zuvor die anglikanische Kirche gegen die katholische Kirche mit dem Papst als Oberhaupt gegründet und alle, die nicht den Eid auf ihn als kirchliches Oberhaupt ablegen wollten, ermordet. 200 Jahre später, im 18. Jahrhundert wurde Irland von einer dünnen protestantischen Herrenschicht beherrscht. Die Vorstellung eines katholischen Irlands begann um sich zu greifen. Am Ende kam es zu schweren militärischen Kämpfen mit britischen Truppen. Das 19. Jahrhundert bleibt vor allem wegen der großen Hungersnot von 1845 bis 1849 in Erinnerung und dem Vorwurf, dass britische Behörden Maßnahmen zur Eindämmung der Hungersnot verschleppt hätten.