Aus Politische Berichte Nr. 05/2019, S.02 • InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

Nichts Genaues weiß man nicht – zäh ist das Ringen um den nächsten Akt im Brexit-or-No-Brexit-Drama

Eva Detscher, Karlsruhe

Das Ergebnis der Kommunalwahlen in Großbritannien und Nordirland spiegelt die zerfahrene Situation in diesem Land wider: den Tories und Labour wird Unfähigkeit bescheinigt, die Schreihälse von UKIP werden ins Abseits gestellt, Parteien, Vereinigungen und Einzelpolitiker, die für ein GB in der EU sind, erhalten Zuspruch. Dennoch bleiben die Tories und Labour die wesentlichen Akteure, und insofern müssen alle abwarten, was bei den neuerlichen Gesprächen zwischen May und Corbyn herauskommt.

Labour hatte schon vor vier Jahren herbe Verluste hinnehmen müssen, während die Tories damals noch klare Gewinner waren. Unerwartet viele Stimmen haben die – als politisch unbedeutend angesehenen – Liberaldemokraten erhalten: seit rund einem Vierteljahrhundert das beste Ergebnis. Die Zahlen: Zu vergeben waren 8400 Sitze in Stadt-, Kreis- und Gemeinderäten, Tories minus 1269 Sitze, Labour minus 63 Sitze, LibDems plus 676 Sitze, Greens plus 185. Vor zwei Jahren gaben 82 Prozent der Wähler ihre Stimme entweder den Tories oder Labour, dieses Mal kaum mehr als 60 %.

Kommunale Verwaltung funktioniert – diese stand nur bedingt zur Wahl. Von vielen Seiten wird über eine ganz andere Polarisierung berichtet: Attacken auf Menschen anderer Hautfarbe, anderer Sprachen, anderer Staatsangehörigkeiten nehmen erschreckend zu und auch die Härte der Attacken. Es rächt sich, dass die politisch Verantwortlichen den Referendumsprozess vor drei Jahren nicht sofort beendet haben, als die junge Labour-Abgeordnete Jo Cox am 16. Juni 2016 von einem rechtsextremen Nationalisten ermordet wurde und Rechtfertigungsthesen die Runde machten und Hass-Sprache zu einem Teil der politischen Kultur geworden ist..

Ob die Briten an den Europawahlen teilnehmen? Diese Frage kann heute, am 6. Mai, nicht beantwortet werden: es wird Wahlen geben, wenn sich das Unterhaus nicht auf eine Kompromisslinie einigen kann: Zollunion mit der EU (wahlweise für eine bestimmte Zeit oder bis zu den nächsten Parlamentswahlen im Mai 2022), Sicherung von Arbeitnehmerrechten und freier Warenverkehr; ob das die Grenzfrage auf der irischen Insel entschärfen könnte? Das wird der Prüfstein sein. Der 31. Oktober steht als nächster offizieller Austrittstermin fest mit der Option, jederzeit vorher austreten zu können. Es scheint aber immer mehr darauf hinauszulaufen, dass ohne eine Veränderung der Mehrheiten im Unterhaus, d.h. ohne Neuwahlen, sich nichts bewegen wird. Im Moment sieht es also eher danach aus, dass Großbritannien weiterhin mit am Tisch sitzt, was den Haushalt der EU für die nächsten fünf Jahre, die Wahl des Kommissionspräsidenten und der Kommissare (die ab 1. November ihre Arbeit aufnehmen müssen) und viele Entscheidungen der zukünftigen EU betrifft. Begrenzt ist die Mitgliedschaft auf 31. Dezember 2022, sofern der Austrittsantrag nicht zurückgezogen wird.

Und wenn die Briten Abgeordnete fürs EU-Parlament wählen werden müssen, dann werden neue Akteure auf den Plan treten wie ChangeUK (ehemalige Tories- und Labour-Abgeordnete) oder die „neue“ Brexit-Party von Nigel Farage, der hinter sich alles sammeln wird, was für eine sofortigen Austritt und damit eine sofortige Beendigung der Diskussionen steht.

Nach einer zehn Tage dauernden Auszeit von parlamentarischen Sitzungen sind viele Abgeordnete rührig im Sammeln von Gleichgesinnten: auf Labour-Seite Jon Lansman, der Gründer der Bewegung Momentum, erinnert an die Parteitags-Stimmung: jeder Deal müsse über eine Volksabstimmung abgesegnet werden. Die Jugendorganisation von Labour und auch die Gewerkschaften sprechen sich eindeutig gegen ein neues Referendum aus.

Das Gefährliche an der gegenwärtigen Situation in Großbritannien ist, dass die Lieber-ein-Ende-mit-Schrecken-Stimmung überhand gewinnen könnte gerade in Gebieten, in denen ein Brexit zu größerer Arbeitslosigkeit und Perspektivverlust führen wird. Viele gesellschaftliche Themen scheinen lösbar, wenn der Brexit endlich durchgezogen würde – dieses Mantra, was das Referendum 2016 überhaupt erst auf den Weg gebracht hat, erfährt eine Renaissance: die einfache Lösung, aus der sich alles andere dann ergibt. Verantwortung dafür zu übernehmen, was sich wirklich abspielen wird – das ist eine der offenen Fragen. Es wäre ein gutes Zeichen, wenn May und Corbyn hier ein Beispiel gäben. Das wäre auch für die internationale Politik und hier insbesondere für die EU-Außenpolitik und die zwischenstaatlichen Beziehungen innerhalb der EU bedeutsam.