Aus Politische Berichte Nr. 05/2019, S.02 • InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

EU: Effizientere Beschlussfassung?

Rolf Gehring, Brüssel

Die Europäische Kommission hat mit einer Mitteilung vom 16. April die Debatte über eine Ausweitung des Mehrheitsentscheidungsverfahrens auf weitere Bereiche der Sozialpolitik eingeleitet. War die Sozialpolitik traditionell anders als die Binnenmarktregulierung im Gesetzgebungsverfahren der Einstimmigkeit unterworfen, so sind schon in der Vergangenheit Stück um Stück Regulierungsgegenstände dem Verfahren der qualifizierten Mehrheit zugeordnet worden. Mit der jetzt veröffentlichten Mitteilung schlägt die Kommission vor, Fragen der Nichtdiskriminierung, in denen die EU bereits eine ganze Reihe von fortschrittlichen Richtlinien erlassen hat, diesem Verfahren zuzuordnen. Perspektivisch sollen auch Fragen der sozialen Sicherung und des Sozialschutzes für Beschäftigte übergeleitet werden. Die Basis für den Vorschlag sind Überleitungsklauseln, die in den EU-Verträgen für bestimmte Bereiche vorgesehen sind. Mit der Überleitung zum Verfahren der qualifizierten Mehrheit würden gegenüber dem jetzigen Verfahren auch die Rechte des Europäischen Parlaments gestärkt. Die Kommission sieht diesen Vorschlag auch als einen Beitrag zur effizienteren Beschlussfassung auf EU-Ebene.

Die Tatsache, dass im Bereich der Sozialpolitik keine Harmonisierung stattfindet, sondern wesentlich mit Mindeststandards gearbeitet wird, dürfte das Vorhaben stützen und für viele Mitgliedsstaaten potenziell akzeptabel machen. Gleichwohl ist mit dem Vorschlag ein echtes politisches Schlachtfeld eröffnet worden. Das Problem: anders als im weitgehend standardisierten und normierten Wirtschaftsleben, ist das Sozialleben in den letzten Dekaden nicht nur durch eine starke kulturelle und lebensweltliche Ausdifferenzierung gekennzeichnet, sondern auch durch traditionell jeweils ganz spezifisch konstruierte und konstituierte Sozialsysteme. Zwar können Mindeststandards etabliert werden, aber die EU-Richtlinien formen auch Rahmung und Struktur dieser Sicherungssysteme um. Das wird starken Widerstand hervorrufen, neben dem generellen Ruf der Rechtspopulisten und Protektionisten, dass die EU die Souveränität der Mitgliedstaten aushöhlt.

Quelle: https://ec.europa.eu/social/main.jsp?langId=de&catId=89&newsId=9351&furtherNews=yes