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ARCHIV

Nr.8-9/2019, S.03

Jahrestagung des deutsch-französischen Instituts – dfi

01 Berichte zur Tagung im Juni– Bemerkungen zum Aachener Vertrag - paykowski

02 Arbeitsgruppe Wirtschaft - paykowski

03 Arbeitsgruppe Verteidigung - detscher

04 Gelesen: Emmanuel Macron: Revolution. Wir kämpfen für Frankreich - kuestler

01

Berichte zur Tagung im Juni– Bemerkungen zum Aachener Vertrag

Matthias Paykowski. Karlsruhe

Der im Januar 2019 von Macron und Merkel unterzeichnete „Vertrag von Aachen“, eine aktuelle Anpassung, Ergänzung und Modernisierung des Elysée-Vertrags von 1963, war Thema der Jahresversammlung des dfi. Nach drei Einleitungsbeiträgen mit Sicht aus der jeweiligen Perspektive von Deutschland, Frankreich und Polen auf das Vertragswerk wurden in zwei Arbeitsgruppen die Themen „Wirtschaft“ und „Verteidigung“ diskutiert. „Chancen für die Grenzregion“ und „Kommunale und zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit“ war Thema der Abendveranstaltung. Am zweiten Tag wurde in einer Feierstunde das deutsch-französische Parlamentsabkommen vorgestellt und gewürdigt, u.a. mit einer Ansprache des Bundestagspräsidenten Dr. Schäuble.

In der Erkenntnis, dass die Verstärkung der Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern einen unerlässlichen Schritt auf dem Wege zu dem vereinigten Europa bedeutet, welches das Ziel beider Völker ist.

Elysée-Vertrag: ein Rückblick

Mit dem Vertrag von 1963 war die Hoffnung verbunden- aus den Erfahrungen von Weltkrieg, Block-Konfrontation West-Ost und Kaltem Krieg – die Versöhnung zwischen dem deutschen und dem französischen Volk und damit eine „Jahrhunderte alte Rivalität“ zu beenden, das Verhältnis der beiden Völker zueinander „von Grund auf neu zu gestalten“ und beide Völker sowohl „hinsichtlich ihrer Sicherheit als auch hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung miteinander“ zu verbinden. Die Stärkung der Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern wurde als Weg betrachtet zu einem vereinigten Europa, „welches das Ziel beider Völker ist“. Insbesondere die junge Generation sollte eine entscheidende Rolle bei der Festigung der deutsch-französischen Freundschaft einnehmen.

Die Vertragspartner verpflichteten sich zur Zusammenarbeit, insbesondere in den Feldern auswärtige Angelegenheiten, Verteidigungsfragen sowie Erziehungs- und Jugendfragen (Punkt II des Vertrags). Ministerien, Botschaften, leitende Beamten und Behörden wurden auf regelmäßige, in kurzen Zeitabständen stattfindende Konsultationen, gemeinsame Beratungen festgelegt – auch weit über die in Punkt II beschriebenen Schwerpunkte der Zusammenarbeit hinaus.

In der Überzeugung, dass die enge Freundschaft zwischen Deutschland und Frankreich für eine geeinte, leistungsfähige, souveräne und starke Europäische Union entscheidend gewesen ist und ein unverzichtbares Element bleibt.

Aachener Vertrag

Mit dem Vertrag von 2019 werden die Gegenstände gemeinsamer Konsultation und Handlungen nicht nur um weitere ergänzt, sondern auch inhaltlich ausgebaut. Der Vertrag besteht aus fünf inhaltlichen Kapiteln: europäische Angelegenheiten; Frieden, Sicherheit und Entwicklung; Kultur, Bildung, Forschung und Mobilität; regionale und grenzüberschreitende Zusammenarbeit; nachhaltige Entwicklung, Klima, Umwelt und wirtschaftliche Angelegenheiten. Nicht nur die Felder der Konsultationen sind erweitert, auch Organisation und Strukturen sollen schneller an Erfordernisse angepasst werden, wenn gemeinsame Ziele nicht erreicht werden wie vereinbart.

Vorangestellt ist eine Würdigung des Elysée-Vertrages als historischer Beitrag der Aussöhnung, und das in Folge dieses Vertrages entstandene „beispiellose Geflecht bilateraler Beziehungen zwischen … Zivilgesellschaften und staatlichen Stellen auf allen Ebenen“.

Ziele des Vertrags: die bilateralen Beziehungen auf eine neue Stufe heben; die Konvergenz der Volkswirtschaften und ihrer Sozialmodelle erhöhen, kulturelle Vielfalt fördern, die Gesellschaften und ihre Bürgerinnen und Bürger enger zusammenbringen. Eine „geeinte, leistungsfähige, souveräne und starke Europäische Union“ braucht die enge Freundschaft zwischen Deutschland und Frankreich, sie bleibe ein unverzichtbares Element. In der Europapolitik soll verstärkt zusammengearbeitet werden, um „die Einheit, die Leistungsfähigkeit und den Zusammenhalt Europas zu fördern und diese Zusammenarbeit zugleich allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union offen zu halten.“ Das Stichwort für die Sozial- und Wirtschaftspolitik lautet „Aufwärtskonvergenz, um die gegenseitige Solidarität zu stärken und im Einklang mit den Grundsätzen der europäischen Säule sozialer Rechte auf eine fortwährende Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen hinzuwirken“. Besonderes Augenmerk soll auf die Stärkung und Selbstbestimmung von Frauen sowie die Gleichstellung der Geschlechter gerichtet werden.

02

Arbeitsgruppe Wirtschaft

Die AG „Der deutsch-französische Wirtschaftsraum: Mehr als ein Traum?“ wurde von Dr. Eileen Keller vom dfi eingeführt und moderiert.

Beiträge zur Diskussion lieferten Dr. Corinna Bölhoff, vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, Leiterin des Referats Beziehungen zu EU-Mitgliedsstaaten; Catherine Rozan, Mitarbeiterin in der französischen Botschaft in Deutschland, dort zuständig für den Dienst regionales Wirtschaften; Xavier Susterac, von der Deutsch-französischen Handelskammer.

Der französische Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire und der deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmaier hatten im Februar 2019 ein „deutsch-französisches Manifest für eine europäische Industriepolitik im 21. Jahrhundert“ vorgestellt, das ebenso Eingang in die Diskussion fand wie Altmaiers „Nationale Industriestrategie 2030 – Strategische Leitlinien für eine deutsche und europäische Industriepolitik“.

Der Meinungsaustausch war so rege und unstrukturierbar wie die Vielfalt des Publikums und ihre Anliegen.

Hier einige der Fragezeichen: Handelt es sich bei einer gemeinsamen deutsch-französischen Initiative zu einer gemeinsamen Industriepolitik um eine europäische Sonderrolle? Werden damit andere europäische Wirtschaftsräume abgehängt oder dominiert? Müssen die Wettbewerbsregeln an globale Konkurrenzverhältnisse angepasst werden, nachdem die EU-Wettbewerbs-Kommissarin Vestager die Fusion der Mobility-Sparte von Siemens und von Alstom untersagt hat oder werden damit, wie die Kommissarin urteilt, Wettbewerber in der EU benachteiligt und die Monopolbildung gefördert? Wie müssen die vielfältigen industriellen Anstrengungen im Bereich Rüstung beurteilt werden? Sind sie notwendig für die Entwicklung technologischer Führerschaft oder als staatliche Förderung privater Unternehmen zu beurteilen?

Erfolgversprechender scheinen die Aussichten in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und auf kommunaler Ebene der Kooperation: Der Aachener Vertrag räumt – und das ist neu gegenüber dem Elysee-Vertrag – für grenzüberschreitendes Zusammenarbeiten und -wachsen weitreichende Möglichkeiten ein, u.a. auch das Novum, die jeweils nationalen rechtlichen Rahmen den regionalen Gegebenheiten der Grenzregionen anzupassen.

Grenzüberschreitende Regionen können damit wie Versuchsfelder oder Labore agieren, um das Alltagsleben in diesen Regionen zu erleichtern. Von Erfahrungen und Fortschritten im deutsch-französischen „Labor“ könnten dann auch Grenzregionen von anderen Nachbarstaaten in der EU profitieren, immerhin leben etwa 150 Millionen Menschen in solchen Grenzregionen.

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Arbeitsgruppe Verteidigung

Eva Detscher, Karlsruhe

„Verteidigung: eine gemeinsame Strategie, konkrete Projekte?” wurde von Jean-Dominique Giuliani, Präsidenten der französischen Robert-Schumann-Stiftung, Paris moderiert. Auf dem Podium Stefan Bantle vom Auswärtigen Amt („Entstehung und Prioritäten des Verteidigungskapitels des Aachener Vertrags“), Luc Jouvenance („Die bestehenden militärischen Kooperationen, Erfahrungen und Herausforderungen“) sowie Prof. Dr. Hans Stark vom Französischen Institut für internationale Beziehungen ifri („Was sind die Voraussetzungen für den Erfolg einer verstärkten Zusammenarbeit?”). Die Grafik auf der nächsten Seite verweist auf einen der vielen Aspekte komplexer Überschneidungen der zwischenstaatlichen Ebenen. Acht Staaten (Spanien, Frankreich, Niederlande, Portugal, Deutschland, Italien, Belgien und Estland) sind in allen vier Kreisen zuhause. Eine Mitarbeiterin des Auswärtigen Amtes wies darauf hin, dass Sicherheitspolitik weit vor militärischen Optionen beginnt und dass sie mit vielen anderen Ressorts direkt gekoppelt ist, am engsten wahrscheinlich mit der Außenpolitik.

Aus dem Publikum wurde die als verstärkt geführt empfundene Debatte um militärische Kooperationen thematisiert. Sie berge doch die Gefahr, Ziele und Interessen militärisch durchsetzen zu wollen, als Ein- und Angriffsstrategie. Dazu wollten sich die Vortragenden aber nicht äußern.

Die Bilanz der Einsätze der letzten 15 Jahre unter der seit dem Lissaboner Vertrag bestehenden gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) bezifferte Jouvenac auf 34 Operationen und Missionen (zwölf militärische, 22 zivile), aktuell 16 (sechs militärische, zehn zivile).

Den unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Bedingungen allein schon zwischen Deutschland und Frankreich, unter denen seit Jahrzehnten diskutiert wird, müsste gemeinsames militärisches Handeln Rechnung tragen. „Während der französische Präsident den Einsatz der Truppe befehlen kann und das Parlament erst nachträglich informieren muss, hat der Bundestag beim Einsatz der Bundeswehr das letzte Wort“, fasst Prof. Frank Baasner, Präsident des dfi, einen der verfassungsrechtlichen Punkte zusammen. „Man kann kaum davon ausgehen – darin waren sich die Diskutanten schnell einig – dass sich in absehbarer Zeit etwas an den Rahmenbedingungen ändert. So wird der Schwerpunkt in nächster Zeit wohl stärker auf der Herausbildung gemeinsamer Führungskapazitäten liegen, mit dem Ziel, eine gemeinsame strategische Militärkultur zu entwickeln. Mehr Spielraum besteht zumindest theoretisch bei industrieller Kooperation. Große Rüstungsprojekte sind vereinbart. Aber auch hier zeigen sich große Hindernisse, etwa bei der Frage der unterschiedlichen Regeln und Bedingungen für den Waffenexport. Heikle politische Fragen, die da auf der Tagesordnung stehen.

Abb (PDF): Logo dfi

Deutsch-französische Militärkooperationen

Zur See: Frankreich verfügt mit der Charles de Gaulle über einen – als einziger außerhalb der US Navy – atomar angetriebenen, 2001 in Dienst gestellten Flugzeugträger. Für 2030 plant Frankreich einen weiteren in Dienst zu nehmen. Die CDU-Vorsitzende Kramp-Karrenbauer möchte diesen als „deutsch-französisches Gemeinschaftsprojekt“, mit europäischem Etikett versehen, eingesetzt sehen.

Zur Luft: Für das Future Combat Air System (FCAS), ein gemeinsames Kampfflugzeugprojekt von Deutschland und Frankreich, hatte der Bundestag die ersten Zahlungen bewilligt. Das Kampfflugzeug soll die französische Rafale und den deutschen Eurofighter ab 2040 ersetzen.

Zu Land: der erste deutsch-französische Kampfpanzer MGCS (Main Ground Combat System), einer Art Hightech-Kampfpanzer plus Begleitfahrzeuge soll ab 2035 den Leopard und den französischen Leclerc ersetzen.

Im Weltraum: Änderung der französischen Weltraumdoktrin. Frankreich will Satelliten künftig mit Laserwaffen ausrüsten. Ab Jahr 2023 sollen sogenannte Nanosatelliten mit einem Gewicht bis zu zehn Kilogramm, ins All geschickt werden – zur „Selbstverteidigung“.

Abb (PDF): „Charles de Gaulle“. Von USN – U.S. Navy VFA-146 official website [1] photo [2], gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=11845362

04

Gelesen: Emmanuel Macron: Revolution. Wir kämpfen für Frankreich

Alfred Küstler, Stuttgart. Die etwas mehr als 200 Seiten umfassende Darlegung der politischen Ziele und des biografischen Hintergrunds des französischen Präsidenten ist zwar schon drei Jahre alt, es war die programmatische Schrift, mit der Macron zu den Wahlen antrat. Aber sie ist immer noch interessant, vor allem weil sie in deutscher Übersetzung die Person und die Ziele des französischen Präsidenten deutlich macht. Manches davon ist sicher „Werbeblock“, wie die Überschriften der ersten drei Kapitel: „Was ich bin. Woran ich glaube. Was wir sind.“ Wobei die Biografie deutlich macht, dass Macron kein „Neoliberaler“ ist – politisch sozialisiert wurde er eher bei der Linken, schließlich war er auch Minister in der sozialistischen Regierung von François Hollande.

Einige Kapitelüberschriften geben die Richtung für die nationale Politik Frankreichs an, wobei drei Jahre nach dem diese Thesen veröffentlicht wurde, schon deutlich sichtbar ist, was auf den Weg gebracht wurde und was noch lange brauchen wird oder gar zu scheitern droht: „Bildung für alle unsere Kinder“ (immerhin mit der Idee, dass die berufliche Bildung gestärkt werden muss). „Von seiner Arbeit leben können“ (hier fordert Macron vor allem eine Reform des Arbeitsrechts, das ist teilweise umgesetzt). „Mehr für die tun, die weniger haben“ (hier will Macron vor allem eine Änderung des Sozialsystems, das eher ausgrenzend wirke). „Die vielen Frankreichs versöhnen“ (Metropolen und Randlagen, ein Thema, das mit dem Auftreten der „Gelbwesten“ inzwischen sehr brisant wurde). „Denen die Macht zurückgeben, die handeln“ (Bürgerbeteiligung, Verlagerung von Kompetenzen in die Kommunen).

„Eine neue Grundlage für Europa“ – Souveränität, und hier ist sich Macron einig mit der deutschen Politik, bedeute Schutz der europäischen Außengrenzen. Aufschwung der Wirtschaft, dazu ein gemeinsamer Haushalt für Investitionen, das lehnt die deutsche Politik bisher strikt ab. Demokratische Debatte in Europa, dazu auch Überprüfung der europäischen Verfahrensregeln, ein Vorschlag Macrons, zu dem sich die deutsche Politik gar nicht äußert.

Emmanuel Macron, Revolution. Wir kämpfen für Frankreich. Morstadt Verlag Kehl am Rhein. April 2017. 234 Seiten, 22,90 Euro

Abb (PDF): Schnittmengen der vier zwischenstaatlichen und mehrstaatlichen Institutionen

EU: Europäische Union, 28 Staaten. Nato: Nordatlantischer Verteidigungspakt: 29 Staaten.

EI2: Europäische Interventionsinitiative (engl.: EII): 10 Staaten. SSZ: Ständige Strukturierte Zusammenarbeit der Europäischen Union (engl.: PESCO): 25 Staaten. Bild nach Folie von Jouvenac.