PB
PDF

PB
ARCHIV

Nr.8-9/2019, S.18

dok: Rechte Provokationen --- Demokratische Antworten

Die Stadt ohne. Juden Ausländer Muslime Flüchtlinge

30|05|–10|11|2019: Ausstellung im NS-Dokumentationszentrum München

Hans Waschkau, München

In den letzten Jahren ist gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit durch identitäres, rassistisches und völkisch-nationalistisches Gedankengut sprunghaft angestiegen. Die neue Sonderausstellung im NS-Dokumentationszentrum „Die Stadt ohne. Juden Ausländer Muslime Flüchtlinge“ zeigt anhand historischer und aktueller Beispiele, wie eine zunehmende politische Polarisierung zur Spaltung und zum endgültigen Ausschluss einzelner Gruppen aus der Gesellschaft führen kann. Ausgangspunkt der Ausstellung ist die Verfilmung von Hugo Bettauers Roman „Die Stadt ohne Juden“ von 1924. Ort der Handlung ist im Roman Wien, im Film wird die Stadt „Utopia“ genannt. Roman und Film setzen sich satirisch mit dem damals aktuellen Antisemitismus auseinander. Einzelne Filmszenen verweisen jedoch auf die schrittweise Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung während des Aufstiegs und der Etablierung der NS-Bewegung in den 1920er- und 1930er-Jahren. Die Satire wurde durch die Realität auf grauenhafte Weise übertroffen: die Ausgrenzung war die Vorstufe von industriell organisiertem Massenmord.

Die Ausstellung setzt durch den Blick auf die heute aktuellen Entwicklungen Geschichte und Gegenwart zueinander in Bezug. Die gezeigten Exponate reichen von antisemitischen Klebemarken und Flugblättern der 1920er-Jahre über Namenslisten jüdischer Münchnerinnen und Münchner, die 1942 deportiert wurden, bis hin zu dem menschenverachtenden antisemitischen Brettspiel „Pogromly“ der rechtsterroristischen Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) von Ende der 1990er-Jahre und rassistischen Postings der Gegenwart. Der Hauptteil der Ausstellung setzt sich mit den Ausschlussmechanismen der Mehrheitsgesellschaft gegenüber einer Minderheit auseinander und führt – jeweils eingeleitet durch eine Filmszene – durch die Stufen der Ausgrenzung: von der Polarisierung der Gesellschaft über Stereotypisierung, Empathieverlust und Brutalisierung bis hin zum Ausschluss der zum Feindbild stilisierten Menschengruppe.

Der Prozess der Ausgrenzung wird zum einen an historischen Beispielen visualisiert – hier bilden die 1920er-Jahre den Ausgangspunkt –, zum anderen zeigt die Ausstellung exemplarisch auch die Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die Gegenwart hinein. Forderten in den 1920er-Jahren Antisemiten immer lauter den Ausschluss von Juden, geht es heute auch gegen Ausländer, Muslime, Geflüchtete und wie schon früher gegen Sinti und Roma. Mit dieser Gegenüberstellung greift „Die Stadt ohne.“ die zentralen Fragestellungen unserer Zeit auf: Haben wir wieder „Weimarer Verhältnisse“? Ähnelt die heutige Situation derjenigen am Ende der Weimarer Republik und kurz vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten? Ist noch Zeit, „Wehret den Anfängen“ zu mahnen?

Die Ausstellung zeigt die Kontinuität antisemitischer Fremdbilder und Stereotype. Wahlplakate, Publikationen und Klebemarken machten bereits vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten „den Juden“ zum Sündenbock für kleinere und größere Übel. Die ersten antijüdischen Pogrome gab es in Berlin bereits 1923; diese sollten nur der Auftakt für die „Juden raus“-Politik der Nationalsozialisten sein. Für einen zunehmenden Empathieverlust sorgte in den 1920er- und 1930er-Jahren die „Eugenik“, die Lehre von der „Erbgesundheit“, nach der angeblich „artfremdes Erbgut“ „ausgerottet“ werden sollte.

Auch heute werden „einfache Lösungen“ für komplexe Probleme gesucht und in Parolen wie „Ausländer raus“ vermeintlich gefunden. Ob Kriminalität, sexuelle Gewalt, Krankheiten oder Drogendelikte – an allem scheinen „die Anderen“, Musliminnen und Muslime, Flüchtlinge, Ausländer oder Jüdinnen und Juden schuld zu sein. Auch die Feindbilder gleichen sich, so dass heute nicht selten in antisemitischer Tradition die „blutsaugende Spinne“ oder der „raffgierige Unternehmer“ für die Darstellung „des Juden“ bemüht werden. Neben Jüdinnen und Juden werden besonders seit 2015 Geflüchtete sowie Musliminnen und Muslime diskriminiert; ihr Ausschluss aus der „deutschen Gesellschaft“ wird von rechten Parteien gefordert. Wenn die Alternative für Deutschland (AfD) in ihren Wahlkampagnen offen für „islamfreie Schulen“ wirbt, drängen sich Analogien zum „judenfreien Deutschland“ auf, das die Nationalsozialisten herbeiführen wollten. Hat man die Minderheit erst einmal als gefährlich, zersetzend oder minderwertig deklariert, ist es nicht weit bis zum gänzlichen Empathieverlust. Dann gibt es kein Mitgefühl mehr, dann darf die Mehrheitsgesellschaft auf die als Schädlinge deklarierten Menschen losgehen – anfangs mit Worten, dann mit Gewalt. Am Ende steht der Ausschluss bzw. die Vernichtung.

Die Ausstellung „Die Stadt ohne.“ wurde nicht als rein historische Präsentation konzipiert, sondern greift permanent gegenwärtige gesellschaftliche Dynamiken auf und hinterfragt sie. Diesem Grundgedanken folgt auch der Katalog, dessen Beiträge die Ausstellung um historische und gegenwärtige Analysen und Perspektiven ergänzen. Viele Essays gehen auf einzelne Themen der Ausstellung ein, wobei sie diese weniger kommentieren, als vielmehr Perspektiven auf das Gesamtthema eröffnen.

Der Kauf des Katalogs ist für Interessierte empfehlenswert, da die Kombination von Ausstellung und Film nicht ganz geglückt ist.

Es würde der Ausstellung gut tun, in Texttafeln den Film insgesamt sowie das Geschehen der Film-Ausschnitte an den einzelnen Stationen vorzustellen. Bei der Ausgrenzung von Minderheiten gibt es Menschen, die sich aufhetzen lassen, aber eben auch die Hetzer. Für diese ist die Hetze in der Regel Mittel zum Zweck. Dieser Aspekt wird in Ausstellung und Katalog leider nur ganz am Rande beleuchtet.

Die Wiener Schriftstellerin und Kolumnistin Julya Rabinowich schreibt im Katalog:

„Der Mensch ist nie weit entfernt von einem ihm innewohnenden Abgrund. Die Zivilisation: eine spiegelglatte Eisschicht, deren Oberfläche wieder Risse zeigt, während man nicht müde wird, sich gegenseitig zu versichern, dass alles in bester, ja in höherer Ordnung sei.“

Das ist eine traurige Wahrheit. Sie entbindet aber niemanden von der Verantwortung dagegen einzuschreiten, wenn die Menschlichkeit mit Füßen getreten wird. Der Ausschluss von Minderheiten aus der Gesellschaft darf nicht zugelassen werden, da sonst Verbrechen gegen Menschen aus diesen Gruppen zur allseits akzeptierten Normalität werden.

Roman und Film „Die Stadt ohne Juden“.

Der Wiener Schriftsteller Hugo Bettauer entwarf in seinem 1922 erschienenen Roman „Die Stadt ohne Juden“ das Szenario einer Vertreibung der Juden aus Wien. Sein „Roman von übermorgen“, so der Untertitel, war ein Zeitdokument, eine Satire auf den seinerzeit grassierenden Antisemitismus in Wien. Es wurde mit 250 000 verkauften Exemplaren ein Bestseller. 1924 wurde der Roman von Regisseur Hans Karl Breslauer verfilmt. Die Kinovorstellungen in Österreich und Deutschland waren von Störaktionen der extremen Rechten begleitet. 1925 wurde Bettauer von einem Rechtsextremen in Wien ermordet. Und wenige Jahre später wurde die satirische Vision mit der Vertreibung und Ermordung der europäischen Juden grausame Realität.

Der Roman schildert, wie in einer polarisierten Gesellschaft die Juden zu vermeintlichen Sündenböcken für alle wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Probleme werden. Durch Druck von der Straße und im Parlament erreichen die Antisemiten einen Beschluss über die Ausweisung der Juden. Neue Arier-Paragrafen bestimmen wer gehen muss und wer bleiben kann. Familien und Liebespaare werden auseinandergerissen, die Jüdinnen und Juden verlassen Wien – zuerst die Wohlhabenden und Jungen, zuletzt die Armen und Schwachen. Zunächst scheint alles gut, da es jetzt Wohnraum und Arbeit gibt. Doch mit der jüdischen Bevölkerung ist all das gegangen, was eine Metropole ausmacht, alles Moderne, Kosmopolitische hat die Stadt verlassen. Wien wird zum dummen, öden Dorf, die Wirtschaft liegt brach, die Währung fällt ins Bodenlose. Mit einer List gelingt es schließlich dem jüdischen Protagonisten Leo Strakosch, die Ausweisung rückgängig zu machen und Wien zu retten. Am Ende werden die zurückkehrenden Juden freudig begrüßt.

Die Handlung des Films folgt im Wesentlichen dem Roman, spielt aber in einer allgemeingültigen Stadt „Utopia“.

Abb. (PDF): Das antisemitische, den Nationalsozialismus verherrlichende Spiel „Pogromly“ (Foto © Verfassungsschutz Thüringen) wurde von den NSU-Terroristen Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt entworfen und in rechten Kreisen vertrieben. Ziel des Spiels ist es, die auf dem Spielbrett genannten Städte „judenfrei“ zu machen. – Die NSU entschied sich dann aber zunächst für Muslime als Mordopfer. – Das Wahlkampfplakat der bayrischen AfD (Foto © Privatbesitz) zur Landtagswahl 2018 zeigt, wie nahe sich Untergrundorganisation und Partei sind.

Abb. (PDF): Film „Stadt ohne Juden“

Quellenhinweis: Katalog „Die Stadt ohne. Juden Ausländer Muslime Flüchtlinge“, Jüdisches Museum Augsburg Schwaben, NS-Dokumentationszentrum, Hirmer | www.ns-dokuzentrum-muenchen.de/presse/presseinformationen/ bzw. www.ns-dokuzentrum-muenchen.de/fileadmin/user_upload/08_presse/Sonderausstellungen/NS-Doku_pressemappe_Digitale_Medien.pdf (Presseinformationen) | www.ns-dokuzentrum-muenchen.de/presse/pressebilder/wecheslausstellung-die-stadt-ohne-juden-auslaender-muslime-fluechtlinge/ (Pressebilder, von dieser Seite stammen die Bilder zu diesem Artikel)