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Nr.11/2019, S.21

Nach der „Deutschland AG“: die neuen Eigentümer heißen BlackRock & Co

Rüdiger Lötzer, Berlin

Es ist still geworden um die Finanzmärkte. Seit dem Abklingen der globalen Finanzkrise von 2007f. gibt es viele Texte, warum und wieso es zu dieser Krise kam. Aber was sich seitdem an den Finanzmärkten neu entwickelt hat, wird kaum noch analysiert. Das Thema ist aus den Schlagzeilen. Dabei mussten die großen Banken – allen voran die der USA – bis Anfang 2018 über 243 Milliarden Dollar Bußgelder für ihre Verfehlungen in dieser Finanzkrise bezahlen. Hedgefonds und „Geier-Fonds“ sind weiter aktiv. Neue Entwicklungen sind hinzugekommen. Kunstwährungen wie die Bitcoins sind etabliert. Unternehmen wie Facebook denken über eine eigene Währung nach. Aber seriöse Analysen, was sich seit der Finanzkrise auf den Geldmärkten getan hat, sind Mangelware.

Heike Buchter, BlackRock, Campus Verlag, 280 Seiten, 27,95 Euro.

Ein Beitrag dazu, was sich dort seitdem getan hat, ist das Buch von Heike Buchter. Die Autorin ist seit 2001 Korrespondentin der „Zeit“ an der Wallstreet und hat eine entsprechende „Schreibe“. Die muss nicht allen gefallen, tut aber hier nichts zur Sache. Hierzulande ist ihr 2015 erschienenes Buch bisher kaum aufgefallen. Das wäre vermutlich auch so geblieben, wenn der CDU-Mann Friedrich Merz sich nicht nach dem Rücktritt Merkels als CDU-Parteivorsitzende in die Politik zurückgemeldet hätte. Merz war 2016 bis 2019 Aufsichtsratsvorsitzender von „BlackRock Deutschland“ mit Sitz in Frankfurt und München. Das hat einige Leute neugierig gemacht, bis hin zu einem Film über „BlackRock“, der im Fernsehen gesendet wurde und auf dem Buch von Heike Buchter aufbaut.

Hierzulande ist BlackRock Nachfolger dessen, was früher einmal die „Deutschland AG“ genannt wurde – ein Geflecht von Unternehmen der Finanzbranche mit der Realwirtschaft. Im April 2018 war BlackRock in Deutschland:

– größter Einzelaktionär bei einem Drittel aller DAX-Unternehmen, darunter der Deutschen Bank, der Lufthansa, der Bayer AG, der BASF, der Deutschen Börse, der Vonovia;

– mit Abstand größter Einzelaktionär aller an der Deutschen Börse gelisteten Unternehmen, besaß 5,3 % des Aktienkapitals und 10,7 % des sog. „Streubesitzes“.

Das schafft Tatsachen, die Geschäftsführer mittlerer und großer Unternehmen bei ihren geschäftlichen Entscheidungen tunlichst nicht übersehen sollten, die tief in wirtschaftliche Prozesse eingreifen und das Arbeitsleben und die Zukunft von Millionen Beschäftigten beeinflussen.

Weltweit ist Blackrock die mit Abstand größte Vermögensverwaltungsgesellschaft der Welt. Das erst 1988 gegründete Unternehmen mit Sitz in New York verwaltete laut „Wikipedia“ im Juni 2019 Vermögen in Höhe von gigantischen 6.840 Milliarden US-Dollar. Zusätzlich überwachte das Unternehmen weitere etwa 30 000 Investmentportfolios im Gesamtwert von etwa 15 000 Milliarden Dollar, die ihm von über 150 Pensionsfonds, Banken, Versicherungen, Stiftungen und anderen großen Anlegern weltweit anvertraut waren. Das entspricht fast 10 % aller Geldvermögenswerte weltweit. Zum Vergleich: die gesamte deutsche Staatsschuld betrug am 31.12.2018 etwa 2.100 Milliarden Dollar. Die von BlackRock direkt verwalteten und indirekt betreuten Vermögen betrugen also zusammen das Zehnfache der deutschen Staatsschuld. Die Warnungen der Zentralbanken vor den Risiken im Fall von Krisen großer, „systemrelevanter“ Banken („Too big to fail“) gelten für Unternehmen wie BlackRock potenziert.

Nummer zwei unter den weltgrößten Vermögensverwaltungsgesellschaften ist „The Vanguard Group“, 1975 gegründet und ebenfalls in den USA ansässig. Weltweit brachte es die Gruppe 2015 auf etwa 3 000 Milliarden Dollar Vermögen. Sie ist an der „Google“-Firma „Alphabet“ mit 7,1 % beteiligt, am Finanzdienstleister „Paypal“ mit 6,8 %, hierzulande u.a. an „Diebold Nixdorf“, „Delivery Hero“, „HelloFresh“, „Home24“ und „Zalando“, weltweit an Unternehmen wie Apple, Caterpillar, John Deere, McCormick.

Wer wissen will, wie es zu diesem Aufstieg der großen Vermögensverwaltungsgesellschaften gekommen ist, für den lohnt das Buch von Heike Buchter. Wenn ihre Geschichte stimmt – und sie klingt plausibel – so gelang BlackRock der Aufstieg unter anderem durch Programme zur Risikovermeidung bei großen Geldanlagen. Der Einstieg ins große Geschäft gelang Larry Fink, dem Gründer und bis heute Vorsitzenden von BlackRock, schon 1994, als der US-Konzern General Electric entdeckte, dass er sich eine von Betrügern geleitete Wallstreet-Bank gekauft hatte mit Namen Kidder Peabody. Als die Geschäftsführer dieser Bank wegen Insidergeschäften und anderen Betrügereien verhaftet und in Handschellen aus ihren Büros geführt wurden, beauftragte der damalige Chef von GE, Jack Welch (der Erfinder des „Shareholder-Values“) BlackRock mit der Analyse eines zehn Milliarden Dollar schweren Immobilienportfolios der Bank, um es schnellstmöglich zu verkaufen und die Bank zu zerschlagen. BlackRock gelang es, das Portfolio zu analysieren, auf Schwachstellen abzusuchen und zu verkaufen. Dieser Erfolg begründete den Aufstieg von BlackRock.

Die nächsten Schritte sind in dem Buch nachzulesen. In der Finanzkrise wurde BlackRock dank seines Knowhows bei der Analyse fauler Geldmarktpapiere zu einem unentbehrlichen Berater der US-Regierung, der US-Zentralbank und anderer Zentralbanken. In der Eurokrise folgte der Einsatz in Irland, Griechenland und anderswo, bei der Entwicklung der „Stresstests“ für Banken und bei den Anleihe-Aufkauf-Programmen der EZB. Heute sind die BlackRock-Berater Dauergäste bei Finanzministerien und Zentralbanken. Sie verwalten Vermögen großer US-Pensionsfonds ebenso wie der Staatsfonds von Dubai, Singapur etc. Sie sind Großaktionäre von Banken wie JP Morgan, Citigroup und Bank of America, von ExxonMobil, Chevron, Apple, McDonalds und Nestle, von Bauunternehmen wie Hochtief, Bilfinger, von Airbus, Monsanto ebenso wie von Rüstungsunternehmen wie Raytheon, Lockheed Martin und General Dynamics. Kurz: Sie sind in allen Bereichen der Realwirtschaft und haben dort frühere Eigentümer als neue Eigentümer abgelöst.

Wie ist ihnen das gelungen? Anscheinend vor allem durch ihr Knowhow bei der Aufdeckung von Risiken für Geldanlagen. Dann durch den einfachen Trick, die Spekulation auf einzelne Aktien abzulösen durch sogenannte „Indexfonds“, bei denen Automaten das Geld der Anleger gleichmäßig auf komplette Börsenindizes wie den DAX, den Dow Jones usw. verteilen und binnen Millisekunden täglich an die Kursentwicklung dieser Indizes anpassen und umschichten. Und drittens dadurch, dass diese Firmen sorgfältig darauf achten, weder als Banken noch als Versicherungen zu gelten, so dass weder die Eigenkapitalvorschriften für Banken noch die Sicherungsvorschriften für Versicherungen für BlackRock & Co. gelten. Das spart enorme Kosten – für Eigenkapital, Börsenmakler und Fondsmanager. An deren Stelle treten Automaten und Programme, die ständig weiter verfeinert werden. Am Ende sinniert die Autorin vielleicht nicht zu Unrecht über Ray Kurzweil und dessen Theorien über „künstliche Intelligenz“ und darüber, ob die Menschheit vielleicht bald durch Automaten beherrscht wird. Lesenswert!

Weitere Quellen: Wikipedia zu „BlackRock“ und „The Vanguard Group“; FAZ-Sonntagszeitung, „Der größte Anleihefonds der Welt“, 9.5.2015; „Fonds Online“, 22.2.2018