Aus Politische Berichte Nr. 10/2018, S.20 InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung:

„Flucht, Migration und die Linke in Europa“

Christoph Cornides, Mannheim

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2017 erschien in Buchform eine informative Studie herausgegeben von Michael Bröning und Christoph P. Mohr „Flucht, Migration und die Linke in Europa“ (2017, Bonn, Dietz Verlag). Bröning ist Leiter des Referats Internationale Politikanalyse der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Berlin, Mohr Mitarbeiter dieses Referats der FES. Gemeinsam mit 26 Autorinnen und Autoren aus verschiedenen Ländern versucht der Sammelband in Länderberichten (Teil I) und thematischen Querschnittsanalysen (Teil II) eine „… ebenso kontroverse wie realistische Bestandsaufnahme der aktuellen Debatte“ (Klappentext) um Flucht, Asyl, Migration in Europa zu geben. Mit der „Linken in Europa“ ist damit das Parteienspektrum hauptsächlich der Sozialdemokratie, teilweise der Grünen und eher am Rande der parteimäßigen Linken in Europa gemeint.

Die Herausgeber vertreten die These, die inzwischen sowohl in der Parteiensoziologie wie in der praktischen Parteipolitik ein erhebliche Rolle spielt, dass nach dem Konflikt um konfessionelle Bekenntnisse „im Zentrum politischer Identitätsbestimmung“, ergänzt um die Frage nach Eigentumsverhältnissen im Zuge der Industrialisierung, sich „… in den vergangenen Jahren in vielen europäischen Gesellschaften die Bewertung von Migration zu einer Kernfrage politischer Positionsbestimmungen und zu einer der zentralen politischen Herausforderungen der Gegenwart entwickelt“ hat. Demnach hat sich also die „Bewertung von Migration“ zu einer neuen Konfliktlinie der Gesellschaft („Cleavage“-Theorien der Wahlforschung) entwickelt. In den Querschnittsanalysen des Teils II wird diese Theorie unter dem Titel „Kosmopolitismus versus Kommunitarismus – ein neuer Konflikt“ von dem Politologen Wolfgang Merkel weiter thematisiert. Vereinfacht gesagt gibt es „Globalisierungsgewinner“, „Kosmopoliten“, und Globalisierungsverlierer, „Kommunitaristen“, und der Konflikt, die unterschiedliche Sicht auf die Welt und die Gesellschaft ergibt sich demnach aus der Frage „Wie weit sollen die Grenzen der Nationalstaaten geöffnet und inwieweit sollen sie geschlossen werden?“ (W. Merkel). Die Angemessenheit dieses Ansatzes für die Analyse und Bewertung gegenwärtiger Kontroversen und für praktische Konsequenzen der Politik z.B. im Kampf gegen Rechts soll und kann an dieser Stelle nicht weiter verfolgt werden sondern erfordert eine getrennte Behandlung. Als gewissermaßen unterlegte These für eine Studie „Flucht, Migration und die Linke in Europa“ zeigt sich daran aber die Schwierigkeit des gewählten Ansatzes in der Zusammenstellung und der Fragestellung der Beiträge:

Wie in der aktuellen praktischen Politik werden mehrere Fragen zu scheinbar einer Fragestellung verbunden und je nach praktischem Interessensstandpunkt könnten ganz unterschiedliche theoretische und praktische Konsequenzen daraus geschlussfolgert werden. (Die möglichen Schlussfolgerungen sind aber nicht das erklärte Ziel der Herausgeber, sondern die Bestandsaufnahme.) Aber eben auch in der Bestandsaufnahme sind mindestens drei unterschiedliche Fragestellungen verknüpft, die dann auch die Analysen prägen:

1. Flucht, Asyl, Migration – sowohl als Auswanderung wie als Einwanderung – nach Europa und in Europa (alleine nochmal in sich drei unterschiedliche Fragen) als gesellschaftliche Aufgabe für linke Politik im weitesten Sinne in den europäischen Ländern,

2. die sozialen Veränderungen in den Ländern des „europäischen Nordens“ und die Verschiebungen im Parteiensystem (Verluste der Sozialdemokratie und Gewinne des sog. „Rechtspopulismus“) ,

3. der Kampf gegen Rechts und die Feindbestimmung „Flüchtlinge“, „Ausländer“, „Migranten“ in der nationalistischen, identitären Propaganda des sog. „Rechtspopulismus“ und der „neuen Rechten.“

Mit dieser Vermischung von Fragestellungen durch die Fokussierung auf aktuelle Konflikte, so wie die politische Auseinandersetzung darum geführt wird, kommt z.B. auch in der Bestandsaufnahme überhaupt nicht zur Sprache, dass die politischen Konflikte um „Flucht, Asyl, Migration“ sowohl bereits in den 1990er Jahren wie auch heute jeweils eine konkrete, hauptsächliche Fluchtursache hatten: die Jugoslawienkriege und die Kriege im Nahen Osten, insbesondere Syrien. (Das stellt per se eigentlich schon vorschnelle generalisierende sozialwissenschaftliche Theoriebildungen an der Entwicklung dadurch beeinflussten aktuellen Geschehens in Frage.)

Auch fällt an den Länderstudien auf, dass die Diskussion um die Programmatiken linker Parteien immer im jeweils nationalen Rahmen beleuchtet werden. So fällt offensichtlich nicht als bemerkenswert auf, dass in keinem der untersuchten Länder die Diskussion mit einem Bezug auf gemeinsame internationale Regelungen, Vereinbarungen, Handlungsvorschläge der UNO oder der internationalen Flüchtlingsorganisationen geführt wird.

Ein Ergebnis der Bestandsaufnahme in 12 europäischen Ländern ist, dass in allen untersuchten Ländern – Deutschland ist nicht Teil der Bestandsaufnahme – die Frage „Flucht, Asyl, Migration“ von rechtspopulistischen Parteien aufgegriffen wahlentscheidend wurde. Unter diesem Druck haben die Mitte-Links-Parteien in unterschiedlicher Weise dem von Rechts beherrschten Diskurs nachgegeben. Für Großbritannien wird der Frage „Flucht, Asyl, Migration“ als ein wesentliches Thema des Brexits analysiert. In allen behandelten Ländern hätten die Mitte-Links-Parteien nur reagiert, aber keine eigenen Lösungen rechtzeitig entwickelt.

In Teil II der „politischen Einordnung“ wird versucht die Diskussion in den Organisationen unter bestimmten Fragestellungen – u.a. Diskussion in den Gewerkschaften, „Rassismus“ als Erklärungsmuster – oder eben der bereits genannten Cleavage-Theorie behandelt. Der Beitrag von Aydan Özguz, nach der Bundestagswahl 2013 Beauftragte der Bundesregierung für Migration Flüchtlinge, Integration und Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin, hebt sich deutlich in Analyse und Praxisorientierung von anderen Teilen dieses Abschnittes ab: sie versucht zunächst die Fakten der Entwicklung von Flucht, Asyl, Einwanderung nach und in Deutschland zu umreißen, um dann Eckpunkte eines Leitbildes für Politik in Deutschland dazu zu skizzieren.

Einfache Handreichungen für linke Politik in Deutschland kann niemand erwarten. Aber ein Einstieg in die Diskussion zwischen den behandelten Mitte-Links-Parteien könnte der Sammelband sowohl im Informationsgehalt wie in den aufgeworfenen wie in den fehlenden Fragestellungen durchaus sein.

Abb. (PDF): Cover Studie Flucht, Migration und die Linke in Europa“