Aus Politische Berichte Nr. 12/2018, S.18 InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

dok: Rechte Provokationen --- Demokratische Antworten

01 Rechte Provokationsstrategie: Der kalkulierte Tabubruch. Von Helmut Kellershohnt

02 info DISS:

Redaktionsnotizen • Zusammenfassung: Rosemarie Steffens, Langen, Hessen

03 Für die Veränderung der europäischen Idee weg vom Bündnis gleichberechtigter Staaten tritt die Mehrheit der AfD-Europawahlkandidaten ein. V

04 In der Schweiz scheiterte die Volksinitiative der SVP „Schweizer Recht statt fremde Richter“.

05 In London demonstrierten gegen Rassismus und Faschismus in der Welt und im eigenen Land am 17.11. mehrere Tausende aus ganz Großbritannien.

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Rechte Provokationsstrategie: Der kalkulierte Tabubruch

Von Helmut Kellershohn

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Provokation als Methode

Was das Thema Provokation anbetrifft, muss man grob zwischen zwei Varianten unterscheiden. Die erste Variante wird getragen von einem existentialistischen Ansatz, die zweite entstammt dem Werkzeugkasten des politischen Marketings, wie sie für rechtspopulistische Parteien typisch ist. Beiden gemeinsam ist, dass sie aus einer Position der Schwäche Nutzen ziehen wollen, um in eine Position der Stärke zu gelangen. Provokation ist eine Methode, meint Kubitschek**, und insofern, darf man interpretierend hinzusetzen, doch wohl kein Allheilmittel. Die Schwierigkeit beginnt z. B., wenn populistische Parteien Regierungsverantwortung übernehmen. Sie gehören dann ein Stück weit selbst zum sog. Establishment und können sich schlecht in dieser Rolle selbst provozieren. Was erklärt, dass sie in dieser Lage Gefahr laufen, schnell ihre Wähler zu enttäuschen, „weil sie weder die Mittel noch die Erfahrung haben, um erfolgreich zu regieren“ (2). Erinnert sei hier an das Schicksal der FPÖ in der Schüssel-Haider-Ära.

Doch zunächst zu Kubitschek und damit zur ersten Variante. Sein Büchlein „Provokation“ gehört zu den Grundlagentexten der Identitären Bewegung und war schon damals, als er es schrieb, ein potenzieller Sprengsatz für das metapolitische Konzept des Instituts für Staatspolitik, als es noch von Karlheinz Weißmann maßgeblich geprägt wurde1. Kubitschek gebärdete sich damals als der Existenzialist unter den Jungkonservativen mit einer Vorliebe für Ernst Jünger und Gottfried Benn und der Bereitschaft, von linken Aktionsformen zur Zeit der Studentenbewegung zu lernen. Die von ihm initiierte Konservativ-subversive Aktion (KSA) erinnerte nicht umsonst an die Subversive Aktion der 1960er Jahre. Als Leitbild diente ihm der persönliche Einsatz nach dem existenzialistischen Motto „Ich handle, also bin ich“ Und er verstand sich explizit als „politischer Existenzialist“, insofern sich der Primat der Tat aus einem „Mangel an Versöhnung“ (Sezession 50/2012) mit dem bestehenden ‚System‘ speist. Es sei die Position des Unkonventionellen, des Randständigen, des Exzentrikers, der „gegen jede Vernunft und um den Preis der Anschlussfähigkeit“ (Sezession 52/2013) handelt, um dem Dilemma zu entgehen, dass seine Handlungen das System stabilisieren könnten. „Denn das Politische [in diesem System; H.K.] ist zu Ende. Alles Große [Volk und Nation; H.K.] dämmert vor sich hin, und selbst die Erinnerung daran schläft ein. Das Radikale ist der Stachel, der wach hält. Das Experiment ist das Gebot der Stunde […]“ (ebd.).

Was Kubitschek hier beschreibt, ist eine Haltung, ein Stil, und Ausdruck dessen ist die provokative Tat. Ihr gilt jeder konkrete, elaborierte politische Inhalt als zweitrangig, über diesen bzw. über „Tun und Lage“ muss zwar immer wieder neu verhandelt werden, Hauptsache aber ist, die Tat genügt dem Kriterium der Radikalität, der „expressiven Loslösung“, wie Kubitschek dies auch genannt hat (Sezession 50/2012, 13).

Dies ist das dezisionistische Element des politischen Existenzialismus, der Wille zur Entschiedenheit ist wichtiger als das, wofür sich entschieden wird – was durchaus impliziert, das für den politischen Existenzialisten auch der Faschismus eine Option sein kann. Die Provokation ist eine politische Kunstform, in der sich, so Kubitschek in einer Rede vor Burschenschaftlern 2009, die „Beunruhigung des Gegners“ mit der „Werbung für die eigene Sache“ und – das ist der entscheidende Punkt – mit der „Selbstvergewisserung des Ichs und der Gruppe“ trifft: „Immer dann, wenn einer entschieden etwas tut, vergewissert er sich seiner selbst.“

Eine wesentliche Bedingung für die Realisierung dieser drei Effekte aber ist die öffentliche Resonanz, sprich: die Reaktion der Medien, die in der Gestaltung der Provokation von vornherein mitbedacht werden muss. „Denn im Medienzeitalter hat nur das, über was berichtet wird, auch wirklich stattgefunden – und hieran bemisst sich der Erfolg jeder Aktion.“ Die Provokation muss so angelegt sein, dass sie der medialen Aufmerksamkeit etwa in Form einer Skandalisierung sicher sein kann.

Die existenzialistische Variante der Provokation ist eine Art Stellvertreterhandeln. …

AfD: Provokation als Marketingstrategie

Mit dem Aufkommen von Pegida und AfD hat sich die Sachlage geändert. Die Neue Rechte hat nun ihre Ansprechpartner (die „Infanterie“ würde Kubitschek als ehemaliger Oberleutnant sagen), auf die sie lange gewartet hat. Das ‚Volk‘ agiert nun scheinbar selbst, während die Provokationsspirale von den Identitären nach dem Vorbild der KSA auf erweiterter Stufenleiter bedient wird und sich in den Wahlkämpfen und den Parlamenten die Propaganda der Tat zum professionell betriebenen politischen Marketing verändert. Die AfD ist eine Omnibus-Partei, die verschiedene und z.T. gegensätzliche Interessen (z.B. neoliberaler bzw. sozialpopulistischer Provenienz) artikuliert und artikulieren muss. Rhetorische Provokationen haben hier die Funktion, inhaltliche Gegensätze zu überdecken und symbolisch Gemeinsamkeiten zu stiften. So heißt es in dem sog. AfD-Manifest 2017 bezüglich der im Wahljahr einzuschlagenden Strategie mit Blick auf mögliche interne Spaltungen, dass das „Gemeinsame der AfD-Wählerschaft“ betont werden müsse: „Während Teile des liberal-konservativen Bürgertums auf der einen und Arbeiter und Arbeitslose auf der anderen Seite bei Themen wie Euro/Europa, Sicherheit, Migration/Islam, Demokratie, nationale Identität durchaus ähnliche Positionen vertreten, kann es Differenzen bei Fragen wie Steuergerechtigkeit, Rentenhöhe, Krankenkassenbeiträge, Mietbremsen oder Arbeitslosenversicherung geben.“ Daher gelte es, besonders die „konsensstiftenden Themen“ im Wahlkampf zu bearbeiten und dabei primär „den Finger in die Wunde der Altparteien zu legen“, als sich mit ausgefeilten Lösungsmodellen zu allem und jedem zu Wort zu melden. „Harte und provokante Slogans“ seien „wichtiger als lange, um Differenzierung bemühte Sätze“. Auf der anderen Seite wird betont, dass die AfD über den Bezug auf ihre Stammklientel hinaus eine Protestpartei sei, die auf den Zuwachs aus der Nicht-Wählerschaft setzen müsse. Daher müsse die AfD „ganz bewusst und ganz gezielt immer wieder politisch inkorrekt sein“ und dürfe „auch vor sorgfältig geplanten Provokationen nicht zurückschrecken“. Dabei müssten die Reaktionen des politischen Gegners, der Altparteien, mit berücksichtigt werden: „Je mehr sie versuchen, die AfD wegen provokanter Worte oder Aktionen zu stigmatisieren, desto positiver ist das für das Profil der AfD. Niemand gibt der AfD mehr Glaubwürdigkeit als ihre politischen Gegner. Deren negative Reaktion muss daher bewusst […] einkalkuliert werden.“

Dieses Kalkül, aus der Einbeziehung der „negativen Reaktion“ Nutzen zu ziehen, zielt darauf, den Gegner in eine No-win-Situation (2) zu versetzen: Wenn der Gegner (Parteien, Medien) nicht auf eine skandalöse Bemerkung oder Anspielung reagiert, könnte man dies als klammheimliche Zustimmung auslegen; erfolgt dagegen eine negative Reaktion (Stigmatisierung), wird die Äußerung erstens reproduziert, wodurch sie sich im öffentlichen Bewusstsein verfestigt; zweitens profiliert sie die Partei in den politischen Bereichen, in denen sie Themenführerschaft beansprucht, und drittens erzwingt sie (idealerweise) durch den öffentlichen Widerspruch Solidarisierungseffekte in den eigenen Reihen. Egal wie, die Sagbarkeitsgrenzen des hegemonialen Diskurses werden infragegestellt. Allerdings beruhen diese Effekte auf einer wichtigen Voraussetzung: Derartige Provokationen wirken nur dann, wenn im Alltagsbewusstsein relevanter Teile der Bevölkerung bereits Bruchlinien in der Affirmation des hegemonialen Diskurses sichtbar geworden sind, also ein Bedürfnis nach einer ‚weltanschaulichen‘ Neuorientierung de facto vorliegt. Provokationen sind Handlungen (ein Zeichen setzen!), die wirken, insofern das in ihnen verdichtete Weltanschauungsangebot (z.B. völkische Ideologie) auf eine entsprechende Nachfragesituation stößt. Sie setzen Orientierungspunkte, die auch diffusen Bewusstseinslagen Richtung und affektive Bindung bieten. Das ist ein gewichtiger Unterschied zur existenzialistischen Variante, die noch sehr viel stärker auf Selbstvergewisserung und Stabilisierung eines intellektuellen Kleinmilieus bezogen ist. Gleichwohl gibt es Verbindungslinien: Kubitscheks KSA war die Blaupause für die hiesige Identitäre Bewegung, und diese wiederum hat sich zu einem Partner des Teils der AfD entwickelt, die die AfD zu einer fundamentaloppositionellen Bewegungspartei „mit Regierungsanspruch“ (Kyffhäuser-Manifest 2017) im Sinne von Höckes 51 Prozent-Ziel (Dresdner Rede) transformieren möchte (was im zitierten AfD-Manifest noch als unerwünscht abgelehnt wird).

Was tun?

Die beschriebene No-win-Situation kann unmittelbar nicht durchbrochen werden. Möglicherweise können intelligente und gut gemachte Gegen-Provokationen für ein Gegengewicht sorgen, wie aktuell etwa die Anti-Höcke-Aktion des Zentrums für politische Schönheit (ZPS) in Bornhagen. In der Hauptsache aber bleiben nur zwei Möglichkeiten: Erstens systematische Aufklärung über die völkisch-nationalistischen Implikationen rechter Provokationen; dazu bedarf es genauester Kenntnisse rechter Begrifflichkeiten und Konzepte einschließlich ihrer ideologiegeschichtlichen Voraussetzungen; und es bedarf der Fähigkeit, deren Kritik auf den verschiedensten Ebenen der Zivilgesellschaft, angefangen vom Wissenschaftsbereich bis runter zu den Stammtischen, also jeweils adressatengerecht zu organisieren. Zweitens aber gilt es, was nur bedingt mit der Rechten zu tun hat, an den eigenen Schwächen und Defiziten zu arbeiten, also die Fähigkeit zu entwickeln, in die zentralen gesellschaftlichen Konflikte intervenieren und die wesentlichen gesellschaftlichen Felder besetzen zu können. Sicherlich eine Mammutaufgabe, aber im hundertsten Jahr nach der Novemberrevolution und zum 200. Geburtstag von Marx sollte die Devise sein: Jetzt erst recht.

* Dieser Beitrag von Helmut Kellershohn erschien zuerst in analyse & kritik, 633, 12. Dezember 2017 und ist in vollständiger Form nachzulesen unter https://www.diss-duisburg.de

Wir veröffentlichen den gekürzten Beitrag mit freundlicher Genehmigung des Autors.

**Götz Kubitschek, Neurechter Vordenker (Institut für Staatspolitik)

Literatur (1) Kellershohn, Helmut 2009: Widerstand und Provokation: Strategische Optionen im Umkreis des „Instituts für Staatspolitik“, in: Stephan Braun u.a. (Hg.): Strategien der extremen Rechten. Hintergründe-Analysen-Antworten, Wiesbaden, S. 259-289. (2) Wodak, Ruth 2016: Politik mit der Angst. Zur Wirkung rechtspopulistischer Diskurse, Wien/Hamburg.

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info DISS:

Seit dem Jahr 1987 forscht und publiziert das Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung zu gesellschaftlichen Entwicklungen im In- und Ausland. Es analysiert die Genese von sozialen und kulturellen Ordnungen, um emanzipative Ansätze für eine demokratische Praxis in Politik, Pädagogik und Journalismus zu fördern. Dabei stützt sich das Institut auf die Methode der Kritischen Diskursanalyse, die im Rahmen der konkreten Forschungen beständig weiterentwickelt wird. Die Arbeitsschwerpunkte liegen derzeit in folgenden Bereichen:

Rassismus und Einwanderung in Deutschland, Entwicklungen der Extremen Rechten, Antisemitismus– Antiziganismus, Jüdische Publizistik im 19. Jahrhundert, Soziale Ausgrenzung, Biopolitik, Krieg und Friedenspolitik, Angewandte Diskurstheorie.

Redaktionsnotizen • Zusammenfassung: Rosemarie Steffens, Langen, Hessen

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Für die Veränderung der europäischen Idee weg vom Bündnis gleichberechtigter Staaten tritt die Mehrheit der AfD-Europawahlkandidaten ein. Von vielen, die einen zeitnahen Austritt Deutschlands aus der EU fordern, setzte sich fast keiner durch. Die AfD sieht sich als Heilsbringer für die EU, die Deutschen vor allem Schlechtes zufügt, das andere Europa soll „von innen heraus“ entstehen. Meuthen, mit 90 % zum Spitzenkandidat gewählt, wirbt für ein „Europa der Vaterländer“ und strebt Vernetzung der derzeit auf drei Fraktionen verteilten rechtspopulistischen Parteien im EU-Parlament an. Strache, Orban und Salvini seien natürliche Verbündete der AfD. Er verband in seiner Rede geschickt verschiedenartige EU-Kritiken, z.B. Forderungen nach Beschränkung auf den EU-Binnenmarkt, gegen Subventionsbetrug und Lobbyismus, für Schutz der Außengrenzen und Kritik der EU als bürokratisches Monster. Bei den Kandidaten soll für jede Strömung was dabei sein. Im Januar findet Teil 2 des Parteitags statt, bis jetzt sind von 40 Listenplätzen 13 gewählt.

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In der Schweiz scheiterte die Volksinitiative der SVP „Schweizer Recht statt fremde Richter“. Zwei Drittel lehnten die Geltung nationalen über internationalen Rechts ab. Bei Annahme hätten die Behörden der Verfassung widersprechende völkerrechtliche Verträge nötigenfalls kündigen sollen.

05

In London demonstrierten gegen Rassismus und Faschismus in der Welt und im eigenen Land am 17.11. mehrere Tausende aus ganz Großbritannien. Die Demonstration wurde von „Stand Up To Racism“ initiiert und unterstützt von „Unite Against Fascism“, „Love Music Hate Racism“, der Gewerkschaft TUC und den Parlamentsabgeordneten D. Abb. (PDF): ott, J. McDonnell u.a. Die Organisatoren sagen: „Die Wahl von Bolsonaro in Brasilien, einen Tag nach dem schockierenden antisemitischen Angriff auf die „Tree of Life-Synagoge“ in Pittsburgh, USA, markiert einen äußerst ernsten Punkt im Aufstieg der globalen Rechtsextremen. Er ist bekannt für Angriffe auf Frauen, Schwarze und LGBT+ Menschen und erklärte, dass Linke „nach Übersee gehen müssen, oder sie gehen ins Gefängnis“ und nennt Flüchtlinge „den Abschaum der Erde“. In jüngster Zeit ist auch in GB eine gewalttätige, rechtsextreme Bewegung entstanden mit Rassismus, Islamophobie und Antisemitismus, die größte seit den 30er Jahren. Sie erhält politische und finanzielle Unterstützung von Trumps ehem. Stabschef Steve Bannon und Rechtsextremen aus ganz Europa.