Aus Politische Berichte Nr. 05/2019, S.003 • InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

Türkei: Sechs Mandate an AKP übertragen, Millionenschulden durch Zwangsverwaltung

Rudolf Bürgel, Karlsruhe

Das Erdogan-Regime findet sich nicht mit der Niederlage bei den Kommunalwahlen in den kurdischen Gebieten ab. Der Hohe Wahlausschuss hat die HDP-Bürgermeistermandate in Baglar (Diyarbakir), in der Provinz Van in Tuspa, Edremit und Caldiran sowie in der Provinz Erzurum in Tekman und Dagpinar an die AKP als zweitstärkste Partei übertragen.

Der AKP-Kandidat von Baglar hatte Widerspruch gegen die Wahl des Lehrers Zeyyat Ceylan (71 Prozent) eingelegt und das mit dessen Entlassung aus dem Schuldienst während des Ausnahmezustands begründet. Der Hohe Wahlausschuss (YSK) entschied dann, dass Personen, die aus dem öffentlichen Dienst entlassen wurden, keine öffentlichen Ämter bekleiden dürfen. Bei der Wahlzulassung hatte das aber nicht gestört. Daraufhin verteilte der YSK die Bürgermeisterämter an die zweitstärkste Partei.

In den anderen Provinzhauptstädten und Kreisstädten warteten die gewählten Bürgermeister teilweise wochenlang auf ihre Ernennungsurkunden und konnten in der Zeit beobachten, wie die Zwangsverwaltungen Akten vernichteten, Mobiliar und Computer aus den Ämtern schaffte, Fahrzeuge verkaufte oder gar das Rathaus in Bismil abriss. Eine der ersten Amtshandlungen der gewählten HDP-Bürgermeister ist der Kassensturz. Die Zwangsverwaltungen haben innerhalb von zwei bis drei Jahren fast schuldenfreie Städte in Armenhäuser verwandelt: In Cizre (77 Prozent HDP) hinterlässt die Zwangsverwaltung einen Schuldenberg von 220 Millionen türkische Lira (TL), was ca. 34 Millionen Euro sind. Zudem hat sie zehn Wohnungen, zwei Parks und zwei Straßen verkauft. In Yüksekova (66 Prozent HDP) sitzt die Kreisverwaltung auf 680 Millionen TL (ca. 105 Millionen Euro) Schulden. Diese setzen sich aus angeblichen Krediten für Wasser- und Abwasseranlagen zusammen. Die Raten werden direkt von der Landesbank an die Kreditgeber überwiesen. In Idil (74 Prozent HDP) wurde während des Ausnahmezustands das Rathaus abgerissen. Der staatliche Treuhänder baute das Kulturzentrum zur Festung aus und ließ sich dort nieder. Keines der 36 kommunalen Fahrzeuge ist mehr einsatzbereit. Das einzige funktionierende Fahrzeug ist der Polizei von Sirnak überschrieben worden. Die Schulden belaufen sich auf 46 Millionen TL (7,1 Millionen Euro). Die Mauer um das Kulturzentrum und die Scharfschützenstellung auf dem Dach wurden als erstes beseitigt. In Mardin (70 Prozent HDP) stellten die staatlichen Strom- und Wasserlieferanten ihre Lieferungen an die Kommune ein. Der Zwangsverwalter hatte die letzten drei Monate keine Rechnungen mehr bezahlt. Allein die Stromrechnung beläuft sich auf 82 Millionen TL (12 Millionen Euro). In den Provinzhauptstädten dauert der Kassensturz noch an. In Diyarbakir-Sur hat die Zwangsverwaltung den öffentlichen Grund und Boden zu Spottpreisen an Gefolgsleute verkauft, ebenso in Van. Dort wurde noch nicht einmal vor einem Erholungsgebiet mit Wasserfällen Halt gemacht.