Aus Politische Berichte Nr. 6/2019, S.03b • InhaltsverzeichnisPDFPB-Archiv

Nächste Runde Brexit-Desaster

Eva Detscher, Karlsruhe

„Tatsächlich weiß niemand wirklich, wie das Gleichgewicht der Stärke zwischen der geopolitischen Ordnung des Vereinigten Königreichs und dem geoökonomischen und georechtlichen System der EU gelagert ist.“ [1] Dies führt dazu, dass alle politischen Entscheidungen in den Ländern Europas wie auch auf europäischer Ebene ein spekulatives Element haben – keiner weiß, welche Kräfteverschiebungen und mögliche Szenarien sich auftun, je nachdem wie das Brexit-Desaster ausgehen wird.

Die Wahl zum Europäischen Parlament (EP) am 26.5.19 brachte die meisten Stimmen für die Partei, die nur diesen Brexit als Programm hatte: Nigel Farages sechs Wochen vor dieser Wahl gegründete Partei zieht mit 29 Sitzen ins neuen EP (31,6 % der Stimmen). Die eindeutig gegen den Brexit aufgestellten Parteien, die Liberalen (16 Sitze, 20,3 %) und die Grünen (7 Sitze, 12,1 %) erhielten in GB so viele Stimmen wie noch nie. Konservative und Labour sind die großen Verlierer – die alles überschattende Frage reibt sie nach und nach auf.

Theresa Mays am 7. Juni 2019 vollzogenen Rücktritt als Premierministerin– ein Posten, den nach Camerons Rücktritt direkt nach dem Referendum 2015 sonst keiner haben wollte – war für die „Nur-raus-aus-der-EU“-Schreier ein Fanal: jetzt soll Brüssel wieder an allem schuld sein: „Die müssen sich bewegen. Es muss nachverhandelt werden.“ Leider haben sich die Konservativen keine Wahlmöglichkeit mehr gelassen: die jetzt noch im Rennen um die Nachfolge Mays befindlichen Boris Johnson und Jeremy Hunt würden beide auch ohne Deal die EU verlassen wollen – beide bleiben allerdings auch die Antwort schuldig, wie sie mit dem Beschluss des britischen Parlaments (am 12.3.19) unter einen Hut bringen wollen: mit vier Stimmen Mehrheit wurde der „harte“ Brexit grundsätzlich und zu jedem Zeitpunkt ausgeschlossen!

Apropos Boris Johnson: „Viele im Königreich halten Boris Johnson für den Mann, der die Briten gespalten hat. Hätte er, der große Volkstribun der Tories, im Frühjahr 2016 nicht zur „Leave“-Kampagne gefunden und sie schließlich sogar angeführt, hätten ihr womöglich die entscheidenden zwei Prozentpunkte zum Sieg gefehlt.“ [2] Johnsons legendäre Gier nach höchsten Ämtern ist auch den Konservativen bekannt. Solange sie sich davon was versprechen …

Ein Wort noch zu Labour: Jeremy Corbyn, der jegliche Einladung zur linken Fraktion im EP während der letzten drei Jahre im Zuge der Brexit-Verhandlungen ausgeschlagen hatte, wird allmählich von der Lichtgestalt zur Last. Wie uns berichtet wird, will die frühere Schatten-Außenministerin von Labour, MP Emile Thornberry, sich für ein zweites Referendum stark machen und sagt, dass die Option für ein Verbleiben in der EU wieder sehr offen sei [3]. Wenn Labour mal nur von vorneherein für einen eindeutigen Verbleib gewesen wäre … Tatsache ist, dass die jungen Labour-Wähler (und nicht nur Wähler, sondern auch die, die sich in unzähligen lokalen Vereinigungen für eine linke Politik engagieren, die Labour-Partei als Ganzes nicht mehr wählen können: da ein Teil der Partei an dem als rechts empfundenen Brexit festhalten möchte, werden sie zu den Liberalen oder den Grünen wechseln. [4]

Ob allerdings ein zweites Referendum, böse gesagt: die Wiederholung eines politischen Fehlers, wirklich eine gute Option ist, ist zumindest fraglich. Wenn bis Ende Juli klar sein wird, wer neuer Ministerpräsident wird in GB, ergeben sich vielleicht noch andere Optionen – wobei Labour und Tories Neuwahlen fürchten.

Das Syndikat der Europäischen Gewerkschaften jedenfalls hat sich in einer Erklärung eindeutig für die Wahrung der Rechte und der Normen für die britischen Arbeiter (und für die anderen auch bürgerrechtlichen Standards für alle) ausgesprochen – und erklärt: „Working people and our unions across Europe will not be divided. We stand together for equality, democracy, peace and justice. Werktätige und unsere Gewerkschaften über ganz Europa werden sich nicht spalten lassen. Wir stehen zusammen für Gleichheit, Demokratie, Frieden und Gerechtigkeit.“ [5]

[1] Brendan Simms: Die Briten und Europa, Tausend Jahre Konflikt und Kooperation. Deutsche Verlagsanstalt München in der Verlagsgruppe Random House GmbH, deutsche Ausgabe 2019

[2] Jochen Buchsteiner in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 23. Juni 2019

[3] Hinweis von Linda Clarke, Professorin am Centre for the Study of the Production of the Built Environment (ProBE) der Westminster Business School

[4] Sinngemäß nach Joseph Healy, Left University, Beitrag auf dem Wiener Seminar von transform!europe im Juni 2019

[5] European Trade Union Confederation, Statement Approved At The ETUC 14th Statutory Congress, Vienna 21-24 May 2019 (www.etuc.org)