Politische Berichte Nr. 3/2021 (PDF)17
Aus Kommunen und Ländern

Südschleswiger Wählerverband: Rückenwind für die „Mission Bundestag“

Kein anderes Bundesland ist von Minderheitenangelegenheiten und kultureller Vielfalt derart berührt wie Schleswig-Holstein. Während die dänische Minderheit, die friesische Volksgruppe und das sorbische Volk in bestimmten, angestammten Gebieten leben, bilden die deutschen Sinti und Roma in den Bundesländern keine homogene Einheit. Seit vielen hundert Jahren sind sie in verschiedenen Gegenden der Bundesrepublik traditionell ansässig, sofern sie nicht vertrieben, für vogelfrei erklärt oder systematisch deportiert worden waren. Insgesamt leben in Deutschland Angehörige von vier nationalen Minderheiten, nach eigenen Angaben mit etwa 220 000, vielleicht 250 000 Angehörigen. Etwa 100 000 davon leben in Schleswig-Holstein.

Karl-Helmut Lechner, Norderstedt

Nun tritt der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) in diesem Jahr erstmals seit 1961 wieder zu einer Bundestagswahl an. Und wie eine aktuelle Umfrage ergibt, könnte sich fast ein Drittel der Menschen in Schleswig-Holstein vorstellen, den SWW zu wählen. „Ein fantastischer Wert“, freut sich SSW-Landeschef Flemming Meyer. „Wir treten an, um die Stimme für unser Bundesland und die Minderheiten zu erheben“, erklärt Stefan Seidler, der als Spitzenkandidat die Landesliste anführt. Er fährt fort: Der SSW sei auch in anderer Hinsicht ein echter Mehrwert für die Bundespolitik. Denn „als skandinavisch orientierte Partei haben wir einen anderen Blick darauf, wie sich Herausforderungen, vor denen wir als Gesellschaft stehen, lösen lassen. Vom Modell des nordischen Wohlfahrtsstaates bis hin zu einer vorbildlichen Klimapolitik, die nicht nur Wohlhabende, sondern für alle Menschen bezahlbar bleibt. Kurzum: Von Skandinavien kann Deutschland eine Menge lernen. Auch dazu wollen wir beitragen.“

Die Partei der dänischen Minderheit von der 5 %-Hürde befreit?

Seit seiner Gründung im Jahre 1948 ist der SSW die einzige Partei der dänischen Minderheit. Tritt der bei Wahlen zum Landtag und zum Bundestag an, profitiert der vom sogenannten „Verhältnisausgleich“, das heißt: als Partei der dänischen Minderheit ist der SSW von der 5 %-Hürde befreit. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die dänische Minderheit erheblich diskriminiert. Seit der Teilung des damaligen dänischen Herzogtums Schleswig im Jahre 1920 verblieb im heutigen Landesteil Schleswig ein dänischer Bevölkerungsteil mit deutscher Staatsangehörigkeit. Nördlich der neuen Grenze entstand in Dänemark die deutsche Minderheit. Diese dänische Minderheit war politisch höchst präsent und suchte wiederholt den Anschluss an Dänemark. Um diese Aktivitäten zu unterdrücken, setzte die CDU-geführte Landesregierung 1951 durch, dass die 5 %-Hürde im Landeswahlgesetz auf 7,5 % erhöht wurde, um so die dänische Minderheit künftig von der politischen Mitwirkung im Landtag auszuschließen. Das Bundesverfassungsgericht erklärte die Erhöhung der Sperrklausel allerdings für verfassungswidrig.

Das Königreich Dänemark nahm das zum Anlass, mit der Bundesrepublik Deutschland übereinstimmende Regelungen hinsichtlich der Rechte und Pflichten beider Minderheiten zu treffen, um den Grenzkonflikt zu befrieden. Auch das ging nicht so ganz harmonisch über die Bühne. Die BRD sollte und wollte 1955 in die Nato aufgenommen werden. Dänemark aber legte ein Veto ein und verlangte als Bedingung eine Regelung für das dänisch-deutsche Grenzgebiet. Dänemark war es, das durch diese Regelungen erreichen wollte, dass die dänische Volksgruppe in der Lage war, in dem neuen Land Schleswig-Holstein geordnet mit der deutschen Mehrheitsbevölkerung zusammen zu leben. Die dänische Minderheit und ihre Angehörigen sollten die gleichen Rechte und Pflichten wie die deutsche Mehrheitsbevölkerung erhalten. Zusätzlich sollte das Recht gewährt werden, mit eigenen Parteien gleichberechtigt alle Lebensbelange in dem Land mitzugestalten. Grundlage für all diese Regelungen sind die Bonn-Kopenhagener Erklärungen vom 29.3.1955.

Der SSW macht derzeit mit drei Sitzen im Kieler Landtag und 180 Kommunalmandaten in Schleswig-Holstein Politik. Er ist in seiner Programmatik, seiner Verankerung und Professionalität als fortschrittliche Alternative bekannt. Mit ca. 58 000 Stimmen bei einer Wahlbeteiligung in Schleswig-Holstein bei ca. 76 % wäre dem SSW ein Bundestagsmandat sicher.

Was will der SSW in Berlin?

Im Wahlprogramm heißt es: „Wir wollen in Berlin unsere Stimme als humane, soziale, umweltbewusste und regionale Alternative für die Minderheiten und Bürgerinnen und Bürger des Landes Schleswig-Holstein erheben. Die Dänen und Friesen Schleswig-Holsteins brauchen eine politische Stimme in Berlin. Wir sind die einzige Partei, die sich unverfälscht für die Interessen im Norden der Republik einsetzen kann. Als Stimme des Nordens. Ohne Einschränkungen durch Fraktionszwang. Ohne Weichspülung durch Befindlichkeiten anderer Bundesländer. Ohne den Einfluss großer Konzerne und Lobbyisten. Ihr Geld und ihre Macht interessieren uns nur insofern, als dass sie zurück in die Hände der Bürger*innen gehören.“

In einer Welt, in der das politische Spektrum sich vor allem nach rechts außen verbreitert, ist es wichtig, den Menschen positive Alternativen zu Hass, Angst und Fremdenfeindlichkeit aufzuzeigen. Der SSW kann diese positive Alternative sein.

Einige weitere Punkte aus dem Bundestagswahlprogramm des SSW: „Hartz IV überwinden: Der SSW steht für einen solidarischen Wohlfahrtsstaat nach skandinavischem Vorbild. Wir wollen, dass der Mindestlohn zum Leben reicht und vor Armut schützt. Wir fordern daher einen Anstieg des Mindestlohnes auf 13 Euro pro Stunde. Im Mindestlohngesetz muss der Schutz vor Armut als Ziel des Mindestlohns definiert werden.“

Der SSW will, dass die Bundesrepublik eine positive und friedliche Rolle in der EU und in der internationalen Politik spielt. „Vor dem Hintergrund unserer politischen, kulturellen und geschichtlichen Erfahrungen aus dem deutsch-dänischen Konflikt und zweier Weltkriege wollen wir einen besonderen, aktiven Beitrag dazu leisten, dass die Verständigung der europäischen Staaten und Völker wächst und gedeiht – zum Wohle aller Menschen in Europa. Die Wahrung von Frieden, sozialer Gerechtigkeit, Demokratie und Menschenrechten müssen stets die Eckpfeiler der Außenpolitik sein. Dabei spielt die Zusammenarbeit der Europäischen Union und anderer internationaler Staatenzusammenschlüsse wie UNO und OSCE eine entscheidende Rolle. Der unbestreitbare Wert von kritischen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und ihre Kompetenzen müssen anerkannt und genutzt werden.“

https://www.ssw.de/fileadmin/user_upload/bundestagswahlprogramm_2021-08.05.21.pdf

eoff