Politische Berichte Nr.1/2022 (PDF)06a
Aktuell aus Politik und Wirtschaft

Brexit: Feuer an allen Ecken

Eva Detscher, Karlsruhe

Die britische Bilanz ist durchwachsen; die Horrorszenarien für die Folgen des Brexits haben sich erst mal nicht bestätigt, die Pandemie hatte sowieso keiner auf dem Schirm.

Die Labour-Partei hat auf ihrem Parteitag Ende September 2021 die Losung ausgegeben: „Make Brexit work“ – den Brexit erfolgreich machen. Das European Trade Union Institute (ETUI) empfiehlt den Gewerkschaften, den Brexit nicht als Ereignis, sondern als Prozess zu begreifen und in den kommenden Jahren die Entwicklungen aufmerksam zu verfolgen, um Angriffen auf die Standards rund ums Arbeitsleben entgegenwirken zu können. Das Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der britischen Regierung und der EU stellt dafür eine ganze Reihe guter Argumente und Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung: Weder das Vereinigte Königreich noch die EU-Staaten dürfen die Standards für Arbeitnehmerrechte senken, sogenannte „Level Playing Field“-Verpflichtung. Dabei geht es um Erhalt des Schutzniveaus, IAO-Normen, Gesundheit, Sicherheit am Arbeitsplatz, faire Arbeitsbedingungen und Beschäftigungsstandards, Informations- und Konsultationsrechte auf Unternehmenseben und Umstrukturierung von Unternehmen. Der Trades Union Congress (TUC), der für 5,5 Millionen Arbeitnehmer steht und 28 Mitgliedsgewerkschaften vertritt, unterstützt dabei die Einzelgewerkschaften und zielt auf Verbesserungen im Abkommen, wenn es 2026 überprüft werden wird. DGB und TUC unterstützen sich gegenseitig. Beim deutsch-britischen Gewerkschaftsforum am 22.10.2021 wurde ein gelungenes Projekt zur Transformation in Nordengland vorgestellt. Es geht um den Dieselmotorenhersteller Cummins in der Grafschaft Durham. „Unter Beteiligung des Unternehmens Cummins, eines Forschungszentrums in Darlington, der betrieblichen Arbeitnehmervertretung, der Gewerkschaft Unite und Vertretern der Region wurde ein Plan für die Realisierung von Wasserstoffzell-Antrieben erarbeitet. Öffentliche Fördergelder konnten eingeworben werden…“ „… hat es möglich gemacht, im strukturschwachen Nordosten Englands einen Plan für nachhaltigen Wandel zu erarbeiten und dem Werk eine Zukunftsperspektive in der Transformation zu geben. Nicht nur bestehende Arbeitsplätze können so langfristig gesichert, sondern auch neue geschaffen werden. Das Werk soll außerdem einen Anker regionaler Entwicklung bilden. Und ist somit ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für die gesamte Grafschaft Durham, die vom Niedergang des Bergbaus und der traditionellen Schwerindustrie schwer getroffen wurde.“ (DGB-Mitteilung).

Eigentlich sollten viele solcher Projekte in den verarmten und wirtschaftlich wenig prosperierenden Regionen im Norden Englands und in Wales gestartet worden sein, jedenfalls wurde hinter der Parole „Levelling up“ den Wählern das hehre Versprechen der britischen Regierung dafür gegeben – VOR den Wahlen. Bekannterweise hat Labour daraufhin bei den Unterhauswahlen im Dezember 2019 etliche Stammbezirke an die Tories verloren – und die Regierung liefert nicht. Der versprochene Bahnausbau „High Speed 2“, der London mit dem Norden verbinden sollte, wird nicht in Angriff genommen. Die erhoffte Erhöhung der Transportkapazitäten wird also ausbleiben – eine große Enttäuschung! Schwer werden es die alten und vor allem die neuen Tory-Kandidaten im Norden haben, bei den bevorstehenden Kommunalwahlen am 5. Mai an ihren Stimmenanteil von 2019 anknüpfen zu können. Meinungsumfragen sehen Labour im Aufwind, Tories dagegen im Schwund der Wählergunst. Nicht gerade hilfreich sind da die Lehrstücke aus den Regierungskreisen unter Führung Boris Johnsons, die sich abstoßend verhalten – Stichwort Partys in der Downing Street Number 10, während andere das Haus nicht verlassen dürfen während der Pandemie-Lockdowns. Kandidaten der Tories im Norden wünschen, dass sich Boris Johnson nicht blicken lässt im Wahlkampf, sonst sei alles verloren.

Darüber, was derweil in den Ministerien ausgeheckt und beschlossen wird, wie sich die Verfassungslage entwickelt, was aus der angekündigten Ausbildungsoffensive geworden ist, wie sich die Lage für die Migranten verschlechtert, welche wirtschaftlichen Probleme sich auftun, wie mit dem Nordirland-Protokoll verfahren wird, gibt es erbitterten Streit im Land. Die Option eines Misstrauensvotums gegen Johnson könnte auch nach hinten losgehen und zur Festigung der jetzigen Regierung führen. Die nächsten Unterhauswahlen stehen erst 2024 an.

Quellen: Michèle Auga im IPG-Newsletter 30.9.21; Etui, Onlineveranstaltung; Etui, Policy Brief 3/21; TUC: Schutz der Arbeitnehmerrechte durch das Handels- und Kooperationsabkommen… Zusammenfassung in deutscher Sprache

Abb.(PDF): High Speed 2: so war die neue Schnellbahntrasse versprochen (High Speed 1 verbindet Dover mit London für den EuroStar-Zug). Übrig bleiben ein paar neue Schienen auf den Strecken – und weiterhin Verweigern des wirtschaftlichen Anschlusses des Nordens an den Süden.