Politische Berichte Nr.1/2022 (PDF)06a
Aktuell aus Politik und Wirtschaft

Spanien: Neue Arbeitsreform gegen prekäre Arbeitsverhältnisse

01 Arbeitsreform im Parlament fast gescheitert

Claus Seitz, San Sebastian

Spanien ist Champion bei befristeten Arbeitsverträgen in Europa, nach letzten Statistiken sind in der spanischen Privatwirtschaft ca. 25 Prozent (an die 5 Millionen) befristet beschäftigt, im öffentlichen Dienst nochmal 10 Prozent mehr.

Mit der Arbeitsreform werden die Gründe für den Abschluss befristeter Arbeitsverträge eingegrenzt und unterschiedliche Typen von befristeten Arbeitsverträgen abgeschafft, insbesondere der Arbeits- und Servicevertrag („contrato de obra y servicio“), der 2019 in 8,2 Millionen Fällen angewandt wurde.

Künftig sind zwei Typen befristeter Arbeitsverträge möglich: Einer zum Zweck der Vertretung, ein anderer für besondere Produktionsereignisse: Unvorhersehbare Produktionsereignisse, die zu einem befristeten höheren Arbeitsbedarf führen (maximale Dauer sechs Monate, durch Kollektivverhandlungen auf zwölf Monate erweiterbar), vorhersehbare Ereignisse kurzer Dauer, „contratos ocasionales“, (maximal 90 Tage).

Werden befristete Verträge von mehr als 18 Monaten innerhalb einer Periode von 24 Monaten verkettet, erfolgt automatisch die Umwandlung in einen unbefristeten Vertrag (bisher nach 24 Monaten innerhalb von 30 Monaten). Dies betrifft nicht nur die Person, sondern den Arbeitsplatz selbst. Die unbegrenzte Aneinanderreihung befristeter Arbeitsverträge soll so verhindert werden.

Heute beschäftigen Hotels und Restaurants an Wochenenden wechselndes Personal mit Kurzverträgen je nach Stand der Reservierungen. In der Bauwirtschaft werden Arbeiter befristet für bestimmte Bauprojekte eingesetzt, danach entlassen, später eventuell wieder neu eingestellt. Solche befristeten Verträge sollen in „unstetig, aber feste“ Arbeitsverträge (contrato fijo-discontinuo), d.h. in stabile Arbeitsverhältnisse, umgewandelt werden, verbunden mit dem Recht auf Arbeitslosengeldbezug und auf Abfindung bei Einlassung.

Für duale berufliche Ausbildungen kann ein befristeter Arbeitsvertrag abgeschlossen werden (Dauer bis maximal zwei Jahre). Zur Berufseingliederung nach Studium oder Ausbildung eine Befristung für maximal ein Jahr. Das Entgelt in diesen Fällen soll an die Branchentarifverträge gekoppelt werden.

Gegen den weit verbreiteten Missbrauch befristeter Arbeitsverträge sieht das Gesetz deutlich erhöhte Strafen vor – bis zu 10 000 Euro für jeden einzelnen missbräuchlichen Arbeitsvertrag. Die Arbeitsinspektion wird verstärkt, eine Maßnahme mit der bereits in den vergangenen Monaten große Erfolge erzielt wurden. Bis Ende 2022 will man mit diesen Maßnahmen die Befristetenquote um zehn Prozent absenken.

„Mecanismo Red“ (Kurzarbeit)

Unter der Bezeichnung „Mecanismo Red“ soll künftig bei zyklischen Krisen oder Branchenkrisen Kurzarbeit zum Einsatz kommen. Zur Finanzierung wird ein staatlicher Fonds geschaffen. Während der Kurzarbeit müssen die Firmen den Beschäftigten den Arbeitsplatz garantieren und betriebliche Weiterbildungsprogramme anbieten. Das Kurzarbeitergeld soll dem Arbeitslosengeld entsprechend bei 70 % des Monatsentgelts liegen, ohne Anrechnung auf die Dauer des Bezugs eines möglichen künftigen Arbeitslosengeldes.

An zwei wesentlichen Punkten des kollektiven Tarifrechts hebt die Reform Verschlechterungen der Reform von 2012 auf und justiert das Kräfteverhältnis zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften neu:

Branchen-Entgelt-Tarifverträge erhalten wieder Vorrang vor Firmentarifverträgen

Neue Entgelt-Firmentarifverträge dürfen künftig die Konditionen der Branchentarifverträge nicht mehr unterschreiten.

Nach der Arbeitsreform 2012 schossen „empresas mulitservicios“, vergleichbar den deutschen Fremdfirmen (Werkverträge), in Bereichen wie Reinigung, Werkssicherheit, Instandhaltung, Call Centers, Transport wie Pilze aus dem Boden. Mit Firmentarifverträgen betrieben sie Lohndumping. Die Gewerkschaften erwarten, dass in Folge des neuen Gesetzes die Entgelte vieler Beschäftigter um bis zu 35 Prozent steigen werden. Als Beispiele wurden benannt: Bei einer Hotelbeschäftigten in der Provinz Barcelona beträgt die Differenz zwischen Firmentarifvertrag und Provinztarifvertrag 5.351 Euro jährlich, bei einem Lkw-Fahrer in Madrid über 7 000 Euro.

Nachwirkung der Tarifverträge wieder in Kraft

Mit der Aufhebung der Nachwirkung der Tarifverträge versetzte die Reform der PP-Regierung 2012 der Gewerkschaftsbewegung den wohl härtesten Schlag seit dem Übergang zur Demokratie. Wurde innerhalb eines Jahres nach dem Ablauf der Geltungsfrist eines Tarifvertrags kein neuer Tarifvertrag vereinbart, verlor der alte Tarifvertrag seine Gültigkeit, im Regelfall verbunden mit starken Entgeltverlusten für die Arbeitnehmer, bis hin zur Anwendung des Mindestlohns.

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Arbeitsreform im Parlament fast gescheitert

Um ein Haar hätten es die Abgeordneten des spanischen Parlaments geschafft, den zwischen Regierung, Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften geschlossenen Pakt für eine Reform, die den spanischen Arbeitsmarkt modernisiert und prekäre Arbeitsverhältnisse eingrenzt, zu Fall zu bringen. Eine Reform, die eng verknüpft ist mit der Genehmigung von Mitteln aus dem europäischen Rekuperationsfonds für die Modernisierung der spanischen Wirtschaft und die von der EU-Kommission begrüßt wird.

Vox und Partido Popular lehnten in ihrem Eifer, die Regierung zu stürzen, die Reform brüsk ab. Die PP kündigte an, bei Rückkehr an die Macht, sie sofort wieder abzuschaffen und legte sich dafür sogar mit den Arbeitgeberverbänden überkreuz.

Die Regierung brachte die Reform als Gesetzesdekret, über das nur als Ganzes abgestimmt werden kann, ins Parlament ein. Die baskischen und katalanischen nationalistischen Parteien PNV, ERC und EH Bildu, bislang Bündnispartner der linken Minderheitsregierung im Parlament, stellten sich gegen dieses Vorgehen, forderten Veränderungen unterschiedlicher Natur und kritisierten die Reform von links, weil sie die PP-Reform nicht vollständig außer Kraft setzen würde.

Am Vorabend der Abstimmung im Parlament sah es danach aus, dass die Regierung die Abstimmung trotzdem mit 176 Ja- zu 173 Nein-Stimmen gewinnen würde. Ciudadanos hatte sich entschieden, den Sozialpakt zu unterstützen und kritisierte die PP schärfstens für ihre verantwortungslose Politik. Auch die konservative Union des navarresischen Volkes (UPN) hatte angekündigt, dass „aus Verantwortung, aus Regierungs- und Staatsräson“ ihre zwei Abgeordneten für die Arbeitsreform stimmen würden.

Nach intensiven Gesprächen zwischen den beiden UPN-Abgeordneten und der PP brachen die UPN-Abgeordneten schließlich mit der Parteidisziplin und stimmten gegen die Reform. Als die PP bereits triumphierte und glaubte, die Regierung im Sack zu haben, stellte sich heraus, dass ein PP-Abgeordneter, der auf telematischem Weg an der Abstimmung teilnahm, seine Stimme irrtümlicherweise für die Reform abgegeben hatte. Mit 175-Ja- zu 174-Nein-Stimmen wurde das Gesetzesdekret der Regierung bestätigt.

Jetzt hat die PP eine „Wahlbetrugskampagne“ losgetreten und will Abstimmung und Arbeitsreform vor Gericht anfechten. Trump lässt grüßen!

Abb.(PDF): Demonstration der baskisch nationalistischen Gewerkschaften ELA und LAB am 29.1. in San Sebastian. „Nein zu dieser Arbeitsreform. Für einen baskischen Rahmen der Arbeitsbeziehungen.“