Politische Berichte Nr.1/2022 (PDF)22
Rechte Provokationen - Demokratische Antworten

Rechte Brücken ins religiöse Milieu:

AfD: „Jesus sitzt nicht zufällig zur Rechten Gottes“

Karl-Helmut Lechner

01 In der Einleitung des Buches „Christentum von rechts“ schreiben die Herausgeber:
02 Eine kleine Kostprobe aus einem der Standardwerke zur Ausbildung von TheologInnen von Paul Althaus (1888 bis 1966) mag dies verdeutlichen:
03 Eine „Heilige Allianz“
04 Alte Werte – Neue Rechte

Die ideologischen Brücken zwischen konservativem Milieu und Rechtsextremismus haben auch eine religiöse Seite. Sie ist ihrer Natur gemäß vielgestaltig und reicht von antimoderner katholischer wie lutherischer Kirchlichkeit über evangelikale oder charismatische Freikirchlichkeit, von spirituellem Einzelgängertum bis hin zur Faszination für germanisches Neuheidentum.

Man könnte Hunderte von Seiten füllen, um ihre Inhalte, Erzählungen, ja, durchaus auch Argumente sichtbar zu machen.

01

In der Einleitung des Buches „Christentum von rechts“ schreiben die Herausgeber:

„Wer sich theologisch mit der Neuen Rechten auseinandersetzt, hat nicht nur die Chance, eine zumeist unbeachtete Tiefendimension auszuleuchten. Es bietet sich ihm auch die Gelegenheit zu einer Selbstprüfung. Denn die Neuen Rechten und ihre „ldeologien“ sind nicht einfach etwas Anderes, Fremdes und Problematisches, über das man sich lediglich entsetzt zu zeigen bräuchte. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass manches der evangelischen Theologie nähersteht, mehr mit „uns“ zu tun hat, als „uns“ lieb sein mag. Deshalb ist es so wichtig, ihre Texte zu untersuchen. Wer dies tut, dem stehen einige Déjà-vus bevor. Motive begegnen einem, die man aus der Theologiegeschichte kannte, aber längst für überwunden und abgelegt gehalten hatte. Es zeigt sich schnell: Es handelt sich hier offenkundig nicht um tote Archivalien, sondern um vitale und virulente Gegenwartsimpulse, auf die es auch in der Gegenwart eine konstruktive theologische Antwort bräuchte. Wer sich ihnen entgegenstellen oder mit ihnen umgehen will, muss sie allerdings zuvor wahrnehmen, deuten und verstehen — was ja nicht bedeuten muss, auch Verständnis für sie zu entwickeln.“

02

Eine kleine Kostprobe aus einem der Standardwerke zur Ausbildung von TheologInnen von Paul Althaus (1888 bis 1966) mag dies verdeutlichen:

„Volk ist die über Familie, Sippe, Stamm hinausgreifende, durch körperliche und geistige Fortzeugung über die Jahrhunderte reichende Lebenseinheit von Menschen gemeinsamer seelischer Art. Dieses besondere Seelentum heißt Volkstum. Es offenbart sich in der Sprache und in dem gesamten Kulturschaffen des Volkes.“ (Paul Althaus: „Grundriß der Ethik. Grundrisse zur evangelischen Theologie.“ 1953). Dabei ist insbesondere der lutherischen orthodoxen Theologie die Berufung auf Gottes „Schöpfungsordnungen“ grundlegend.

Kirchenglocken aus dem Lautsprecher

In dem heutigen religiös-reaktionären Milieu werden immer wieder Versuche unternommen, über die persönlich gepflegte Frömmigkeit hinaus, eine eigene — allerdings nicht-akademische — Theologie zu formulieren. So unterschiedlich, oft krude diese religiösen Narrativen und theologischen Aussagen auch sein mögen, so wirkmächtig sind sie doch, weil sie politische Kritik auf einem überpolitischen Fundament gründen und abstützen wollen. In den Schlagworten und der politischen Propaganda dieser rechten Gruppen, am deutlichsten markiert durch die Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) und „Pegida“, tauchen immer öfter christliche Begriffe und Bilder auf. Zur Bundestagswahl 2017 heißt es beispielsweise im Parteiprogramm der AfD, dass sie sich „zur deutschen Leitkultur“ bekenne, die sich an erster Stelle aus „der religiösen Überlieferung des Christentums [speist]“. Dazu gehört das Feindbild „Islam“ und die Vorstellung einer „Islamisierung“ der deutschen Gesellschaft, die das christliche Abendland gefährde. Auch gibt es die „Christen in der AfD“ (ChrAfD). Dieser kleine parteinahe Verein möchte für die AfD die „Bedeutung der christlichen Wurzeln für ein Leben in Freiheit und Wohlstand“ herausstellen.

Zugleich lässt sich aber beobachten, dass trotz dieser Bekenntnisse christliche Ideen für das politische Agieren der AfD umstritten oder gar marginal sind. Ähnlich unklar ist ihr Stellenwert für das bundesweite Protestbündnis Pegida, das seit 2014 in Dresden und später mit lokalen Ablegern in anderen Städten Demonstrationen und Kundgebungen organisierte. Während die Abgrenzung gegenüber dem Islam explizit aus dem Namen hervorgeht — das Bündnis besteht bekanntlich aus „patriotischen Europäern“, die sich gegen die „Islamisierung des Abendlandes“ einsetzen —, ist fraglich, inwiefern Europa oder das Abendland als Eigenbezeichnungen auch christliche Vorstellungswelten meinen. Zwar läuten bei der Berliner Gruppe „Bärgida“ Kirchenglocken aus dem Lautsprecher die Ansprachen der wöchentlichen Montagsprotestmärsche ein, aber ruft der Klang auch wirklich religiöse Bindungen und Empfindungen hervor?

Ein weiteres Beispiel ist die transeuropäisch agierende Organisation der Identitären Bewegung (IB). Eines ihrer zentralen migrationskritischen Anliegen ist es, die „jahrtausendealte Völkerfamilie Europas…“ vor „dem großen Bevölkerungsaustausch (zu) verteidigen.“ Dass dazu auch eigene Deutungsangebote zu christlichen Traditionen gehören, macht eine Aktion in Köln im November 2017 deutlich, als eine Regionalgruppe einen Laternenumzug anlässlich des Sankt-Martins-Tages organisierte. Mit ihrem Gedenken an die Legende, so schreibt sie unter einem zu der Aktion produzierten YouTube-Video, wolle sie „ein Zeichen für echte christliche Werte [setzen], entgegen einer abstrakten ‚humanitaristischen‘ Doktrin, die uns selbst zugrunde richten will.“

Die Forschung fasst derartige Inanspruchnahmen des Christentums unter der Formel „Belonging without Believing“ zusammen — also als „Glauben, ohne dazuzugehören“, als eine Art kollektiver Identitätsmarker, hinter dem kein konkreter religiöser Glaube stehe. Die Haltung „Belonging without Believing“ wird für den einzelnen Menschen zu einer Praxis gefühlsmäßiger Grenzziehung, um eine rechte Identitätsbildung auszubilden. „Belonging“ als Ausdruck von „Zugehörigkeit“ verweist dann auf die funktionale Seite, während „Believing“ auf die „Bedeutung“ der jeweiligen Inhalte anspielt. Christliche Ideen grenzen demnach das „Eigene“ von einem „Außen“ ab, ohne dass hierbei christliche Transzendenzen und Glaube aktiviert werden müssen. Praktisch geht es dabei eher um „Kulturrassismus“, der als neue Spielart des Rechtsextremismus über Kultur die Differenz zum „Fremden“ setzt und auf diese Weise versucht, als Neue Rechte politische Einheit und Schlagkraft zu entwickeln.

03

Eine „Heilige Allianz“

Und das durchaus erfolgreich. In Deutschland hat sich eine „Heilige Allianz“ zwischen der AfD und reaktionären Kirchenkreisen entwickelt. Bezeichnenderweise verbünden sich hier autoritäre Sehnsüchte, deutschnationale Träume, antifeministische Aggressionen, homophobe Überzeugungen und Visionen von moralischer Wiederaufrüstung mit antiislamischer Hetze. Für diese rechtschristlichen Kreise — nicht nur für die Katholiken unter ihnen — wird Papst Franziskus zur Hassfigur. Seine Offenheit, Spontaneität und moderate Reformbereitschaft sind vielen schon viel zu viel. Bei konservativen Katholiken eröffnet sich hier ein innerer Widerspruch: Man will zwar die absolute Autorität des Papstes. Aber was, wenn der Papst nicht so wie man selber will? Prompt findet man dann ganz unumwundene Erklärungen wie die von Alexander Gauland in „Christ & Welt“ vom 26. Mai 2016, die AfD sei „keine christliche Partei“, er „bekämpfe das Programm der Kirchen“, wenn die Flüchtlingspolitik dazu gehöre. AfD-Funktionäre beschimpfen Bischöfe in seit der Nazi-Zeit nicht gekannter Schärfe als „gefährliches Irrlicht“ und „verlogene, verrottete Funktionsträger“, als „Förderer“ des Islam und Geschäftemacher vom „Asylindustrieverband“, als Manipulatoren und „Beamte des Staates“. Hämisch kommentierte der AfD-Landeschef Höcke aus Thüringen: „Der gläubige Christ weiß: Jesus sitzt wahrscheinlich nicht zufällig zur Rechten Gottes“ — und ist sich gewiss, mit diesem Zitat so manche Frommen auf seiner Seite zu haben, denn dieser Satz stammt aus dem „Apostolischen Glaubensbekenntnis“, das seit dem Jahre 390 die Christen aller Richtungen in ihren Gottesdiensten sprechen.

Dennoch, bei allen eklatanten Unterschieden und Polemiken in Richtung Kirchen, insbesondere was die kritischen Positionen zu Demokratie und Verfassung angeht, wird mit Blick auf die „horizontalen“ Identitätselemente immer wieder ein gemeinsamer Bezugspunkt hervorgehoben. Die AfD, die Identitären oder Pegida haben gemein, dass sie ihre Politik über Kultur als Differenzprinzip betreiben. Um identitäre Differenz zu markieren und politische Ausschlüsse zu rechtfertigen, sprechen sie nicht mehr von „Rassen“, sondern von „Völkervielfalt“ und der Unvereinbarkeit ihrer „Kulturen“.

Mit einem bedeutungsvoll-christlich aufgeladenen Begriff „Kultur“ erhoffen sie sich, Brücken ins bürgerliche und christliche Milieu zu schlagen, um politische Einfluss zu gewinnen. Einerseits distanziert man sich dabei rhetorisch erfolgreich von faschistischen Gruppierungen einer „Alten Rechten“, die in ihrer Vorstellung des Volkes explizit biologistischen Rassenlehren anhängen, die heute wissenschaftlich so gut wie nicht mehr vertreten werden kann. Diese Theorien haben seit dem Ende des Nationalsozialismus eine öffentliche Delegitimierung erfahren. Andererseits wird es gerade dadurch möglich, das gesellschaftliche „Schlüsselthema“ der Einwanderung neu zu thematisieren: Denn man kann Differenzen setzen, indem man von „kultureller Fremdheit und Bedrohung“ statt von „Minderwertigkeit“ und „Untermenschen“ spricht. In vielerlei Hinsicht sind sie so anschlussfähiger an bürgerliche und somit kirchliche Milieus.

Hinter der Anrufung einer „christlich-jüdischen Leitkultur“ stecken paradoxe, letztlich reaktionäre Positionen, wie etwa eine Nostalgie für eine goldene nationale Vergangenheit. Christliche Bezüge sind dabei ganz und gar „säkular“ geworden, als sie ihre Plausibilität in der politischen Agitation nicht über eine „glaubende“, beispielgebende Lebensführung der Anhängerschaft erhalten. Die Religionswissenschaft folgert daraus, dass die Akteure der Neuen Rechten „die Religion kapern.“ Das Christentum fungiere in Zeiten der schwindenden Einsetzbarkeit von traditionellen Ideologien — beispielsweise des Faschismus oder Kommunismus — als „Gastideologie“, die eine Identität markiere, aber keinen religiösen Glauben ausdrücke. Das Szenario einer Bedrohung durch den Islam werde ergänzt durch einen gemeinsamen „Zivilisationismus“, in dem mit von den Rechten hervorgeholten christlichen Argumenten ironischerweise ausgerechnet Werte wie Liberalismus, Geschlechtergleichheit und Säkularität ins Feld geführt werden. Um Theologie, historische Korrektheit oder gar Wissenschaft geht es ihnen ohnehin nicht. Dieser Sorte Christen genügt ein aus dem Zusammenhang gerissenes Bibelzitat, um eine beliebige, als „liberal“ geschmähte Position pseudotheologisch zu widerlegen, von Homosexualität über soziale Gerechtigkeit bis hin zur Seenotrettung.

04

Alte Werte – Neue Rechte

Es mag empören, wie die Rechten mit dem Christentum umgehen. Aber das Christentum – das sich eh schon immer als Religion den politischen Bedingungen angepasst hat – ist längst zum Steinbruch für Identitäten aller Couleur, rechter wie linker, geworden. Unter den heutigen säkularen Bedingungen bilden sich „christliche“ Identitäten durch vielfältig schillernde normative, kognitive, ästhetische, spiritualistische, national-kulturelle Sinnbezüge aus. Sie sind in ihrer Gestalt fließend, hybrid, experimentell und reichen von orthodox-fundamentalistischen bis zu nicht-religiösen, zum Beispiel atheistischen Formen. Die klassische christlich-kirchliche Wissensordnung – vor allem für die ungebildeten Gläubigen unter ihnen – ist vergangen. Religiös markierte Symbole und Praktiken im politischen Bereich sind nicht mehr eindeutig als links oder rechts zuordenbar. Während dies also die Neue Rechte eint, dass sie diese Spannung gegenüber islamisch markierten Praktiken erfolgreich politisiert hat, bleibt die Frage offen, ob und wie sich Christen als affektive Grenzmarker gegen Rechts und im Kampf gegen den Faschismus inhaltlich und plausibel mit Hilfe ihres Glaubens positionieren können.

Zu dem Spiel mit dem Unbestimmten gehört, dass die evangelischen Fundamentalisten einheitlich behaupten, keine Fundamentalisten zu sein und der „Neuen Rechten“ nicht nahe zu stehen. Diese Nähe hat die katholische Theologin Sonja Angelika Strube, von der Forschungsgruppe „Frieden, Religion, Bildung“ an der Universität Osnabrück, detailliert beschrieben. „Das mediale Zusammenwirken christlicher und neurechter Kreise verläuft in Wechselseitigkeit.“ Frau Strube verweist darauf, dass sich die Deutsche Evangelische Allianz sowie die Medien „idea“ und „medrum“ auf die Berliner Wochenzeitung „Junge Freiheit“ und ähnliche Scharnierorgane bezögen. Auch der wegen Volksverhetzung verurteilte Bremer Pastor Olaf Latzel gab, nachdem er sich ins Gerede gebracht hatte, der „Jungen Freiheit“ ein Interview, das noch am selben Tag von „idea“ zitiert wurde. Der ehemalige Allianz-Vorsitzende Michael Diener erklärte darauf hin, der Eindruck, dass die 1,3 Millionen theologisch konservativen Christen, die der Allianz nahestehen, „durchweg rechtsradikal“ sind, sei falsch. Dass sie es „durchweg“ sind, hatte freilich auch niemand behauptet.

Sonja Angelika Strube gibt eine interessante Beschreibung des Profils rechter Christen: „Eine gefährliche Nähe zu rechtsextremen Einstellungen entsteht überall da, wo Glaube geprägt ist von dualistischem Denken, rigidem Urteilen und Verhalten, von einer feindseligen Grundhaltung sowie … einer Vereindeutigung, die die eigene enge Perspektive verwechselt mit dem Willen Gottes.“

Quellen: • Johann Hinrich Claussen / Martin Fritz / Andreas Kubik / Arnulf von Scheliha / Rochus Leonhardt: „Christentum von rechts“, 2021 • „Christen in der AfD“: https://www.chrafd.de/index.php/ueber-uns • Sonja Angelika Strube, https://www.kath-theologie.uni-osnabrueck.de/fachgebiete/pastoraltheologie_religionspaedagogik/pd_dr_theol_sonja_angelika_strube/ankuendigung/publikationen.html • B. Höcke wird zitiert nach: Stefan Orth, Volker Resing (Hg.): „AfD, Pegida und Co. Angriff auf die Religion?“ © Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2017, Seite 45, dazu Fußnote 56): Björn Höcke am 11. 3. 2016 in Magdeburg: www.youtube.com/watch?v=FHQ4Qt-g9y0

Abb.(PDF): Logo Christen in der AFD, https://www.chrafd.de/

Abb.(PDF): Christen von Rechts Buchcover