Politische Berichte Nr.1/2022 (PDF)26b
Ankündigungen, Diskussion, Dokumentation

* 26a-impfpflicht-debatte-konkretisiert-sich-kakoures-5.html * 26b-impfpflicht-wenn-der-gesetzgeber-pfuscht-fochler-5.html

Wenn der Gesetzgeber pfuscht, wird’s gefährlich

Martin Fochler, München. Die Abfolge der pandemischen Wellen hat die Notwendigkeit verpflichtender Massenimpfungen unterstrichen. Gleichzeitig nimmt die Auseinandersetzung um die Anti-Pandemie-Gesetze und Verordnungen an Schärfe zu. Boykott, Blockade und sogar Sabotage der Impfkampagne werden laut gefordert und die Legitimität demokratischer Entscheidungen bestritten. Im Kampf um die öffentliche Meinung kommt es auf die Qualität von Gesetzgebung und Verwaltungsvollzug an.

Pandemische Gefahr wird permanent. Verfahren spezialisierter Kooperation haben sich weltweit durchgesetzt, sie sind hoch produktiv und werden bleiben, auch wenn die Erfahrung von Pandemie, politischen Konfliktlagen und technischen Unglücken punktuell zur Verkürzung von Lieferketten und Rückholung von Schlüsselproduktionen führen mag. Normal ist auch die Tätigkeit der Erwachsenen in spezialisierten Berufen geworden, öffentliche Einrichtungen der Bildung und Erziehung, der Versorgung im Alter sind unverzichtbar. Die weltweite und lokale Vernetzung erfasst alle Bereiche der Lebensgestaltung. Viren, die geteilte Atemluft als Übertragungsweg nutzen, können weltweit und lokal Seuchen auslösen. Die Weltgesellschaft ist dem nicht hilflos ausgeliefert. Verhaltensregeln und medizinische Behandlung können Ausbreitung und Verlauf der Erkrankungen dämpfen, aber: die Viren können sich diesen Hindernissen anpassen.

Tastende Verfahren erzeugen Rechtsunsicherheit. Gegenmaßnahmen basieren auf Hinweisen und Mittel aus Wissenschaft und Forschung, bleiben aber praktisches Verfahren unter dem Regime von Erfolg/Irrtum. Es kommt zu wechselnden und gleichwohl verbindlichen Regeln, das gerade Gegenteil von Rechtssicherheit. Jede Art von Lebenspraxis ist – heute mehr denn je in der Geschichte – auf gesellschaftlich bereitgestellte Einrichtungen und Vorleistungen angewiesen, zu deren gemeinverträglichen Gebrauch eine Unzahl geschriebener und ungeschriebener Regeln eingehalten wird, weil sie nützliche und erfreuliche Aktivitäten möglich machen. – Die Änderung solcher Angebote – sie sind Daseinsbedingungen – ist immer aufwändig, in der Demokratie erfolgt sie nach ausbalancierten Prozeduren. Ist rasches Handeln und Herantasten nötig besteht ein Trend zu Ermächtigung und die Gefahr von Willkür.

Der Körper als Objekt anderer und Patientenrechte. Wenn die Lebensführung so sehr auf den Gebrauch gesellschaftlich bereitgestellter Hilfsmittel angewiesen und von Rücksichten aller Art geprägt ist, wird das Bedürfnis stark, wenigsten mit dem eigenen Körper nach eigenem Willen zu verfahren. Auch behandelnde Ärzte dürfen den Patienten Behandlungen nur vorschlagen, wobei sie sich am Wohl des Patienten zu orientieren haben. Eine Impfpflicht schafft eine andere Konstellation. Ärzte werden zu Vollstreckungsbeamten politischer Beschlüsse, und der Staat erteilt an Stelle des Patienten die Zustimmung.

Den Ausnahmezustand kontrollieren. Der Infektionsweg ist eine Eigenschaft des von buchstäblich allen geteilten Sozialraums. Abwehrmaßnahmen müssen alle berühren. Im Einzelnen nach Wirksamkeit, Eingriffstiefe usw. umstritten, werden sie mit erdrückender Mehrheit gefordert. Versuche, die Impfpflicht durch Boykotte usw. zu unterlaufen, sind zum Scheitern verurteilt.

Die Impfpflicht und die Sanktionen. Pflichten können als Gesetz nur bestehen, wenn sie von den vielen anerkannt werden. Impfpflicht bedeutet zunächst die Verpflichtung der öffentlichen Hand, die Entwicklung und Verteilung des Impfstoffes zu gewährleisten, für das Gesundheitswesen, die Behandlung anzubieten. Erst dann geht es um die Einzelnen, die mitmachen müssen. Es werden Leute übrigbleiben, die sich einer hoheitlich verordneten Behandlung nicht unterziehen. Die praktische Frage ist: Wie viele werden das sein?

Das hängt a) davon ab, wie sorgsam und glaubhaft die Feststellung einer pandemischen Lage vollzogen wird; b) wie und von wem der Impfstoff in Bezug auf Wirkung und Nebenwirkung zertifiziert wird; c) ob der Erfolg der Maßnahme einigermaßen sicher ist. Bei der Impfpflicht geht es um die Fixierung von Verfahren im Notfall. Akut geht es um die Situation im kommenden Herbst / Winter.

Was ist mit der Impfverweigerung? Die Impfpflicht betrifft ein Verhältnis der Bürger zueinander. Eine gesetzliche Festschreibung würde dazu führen, dass die Bereitschaft zur Immunisierung per Impfung Bestandteil von Arbeitsverträgen und Dienstleistungsangeboten sein kann. Der persönliche Boykott der Impfkampagne würde (wie das ja gegenwärtig auch schon der Fall ist) ganz erhebliche Nachteile bei der Lebensgestaltung mit sich bringen. Zu beachten ist, dass eine sachlich wohl begründete und gut organisierte Impfkampagne zu einer ausreichenden Beteiligung führen kann. Dafür gibt es Beispiele im Inland wie im Ausland.