Politische Berichte Nr.1/2022 (PDF)26a
Ankündigungen, Diskussion, Dokumentation

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Impfpflicht – Die Debatte konkretisiert sich

Johannes Kakoures, München

Noch bis kurz vor Verfassen diesen kleinen Berichts wurde die Diskussion über die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht sehr abstrakt und sehr grundsätzlich geführt. In der Woche nach dem 7. Februar verschob sich diese Diskussion etwas mehr ins Konkrete, ausgerechnet anhand eines Aspektes, von dem man glauben konnte, zumindest dieser wäre entschieden. Doch in dieser Pandemie gibt es selten unumstößliche Gewissheiten, und so wurde die einrichtungsbezogene Impfpflicht, die mit großer Mehrheit von Bundestag und Bundesrat verabschiedet worden war, von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder wieder in Frage gestellt. Ausgerechnet von Markus Söder, der doch im vergangenen Jahr derjenige war, der gemeinsam mit seinem Amtskollegen aus Baden-Württemberg die Debatte um die Einführung einer Impfpflicht erst so richtig ins Rollen gebracht hatte. Nun kündigte er an, bei der Anwendung des Gesetzes, das Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in bestimmten medizinischen Einrichtungen verpflichtet, einen Immunitätsnachweis zu erbringen, größtmögliche Großzügigkeit bei der Auslegung der Übergangsfristen anzuwenden. Dies wurde in den Medien weitgehend als Opportunismus und wahltaktisches Einknicken vor den Gegner der Corona-Maßnahmen beurteilt. Tatsächlich ist es vor dem historischen Hintergrund des politischen Konzeptes der „Ordnungszelle Bayern“ immer gut, genau hinzuschauen, wenn der landschaftlich schöne Freistaat im Süden verkündet, dass man mit Regelungen aus Berlin seinen eigenen Weg gehen will.

Bundessozialgericht: Der Präsident mischt sich ein

Im vorliegenden Fall könnte ein genaueres Hinschauen aber auch dazu führen, zu erkennen, dass Söder hier nicht einfach um Wählerstimmen aus esoterischen Kreisen buhlt, sondern es wohl um reale, zumindest aber um juristische Probleme geht. So griff kurz nach Söders Verlautbarung für Bundesrichter erstaunlich offensiv der Präsident des Bundessozialgerichts in die politische Debatte. Zwar könne ein einzelnes Bundesland nicht einfach beschließen, Gesetze nicht anzuwenden, allerdings gäbe es in diesem Fall erstaunlich viele offene Frage, etwa danach, ob den Arbeitgebern gegenüber ungeimpften Arbeitnehmern ein Kündigungsrecht zustehe, ob diese im Falle einer Freistellung einen Anspruch auf Lohnfortzahlung oder im Falle einer eigenen Kündigung eine Sperrfrist für das Arbeitslosengeld hinnehmen müssten, so dass eine Verschiebung des Anwendens des Gesetzes durch den Gesetzgeber, also den Bundestag, zumindest in Betracht käme.

Bundesverfassungsgericht: Impfpflicht jedenfalls vorläufig verfassungsgemäß

In der gleichen Woche verkündete das Bundesverfassungsgericht seine Eilentscheidung, in welcher das Gericht die beschlossene einrichtungsbezogene Impfpflicht für vorläufig verfassungsrechtlich zulässig erklärte. Diese Entscheidung wirft jedoch wie die Impfpflicht selbst einige Fragen auf. In Eilentscheidungen prüft das Gericht eine Maßnahme nicht streng unter dem in der Pandemie zum Allgemeingut gewordenen Prüfungsschema der Verhältnismäßigkeit, sondern macht eine Folgeabwägung. Es prüft also, ob die Außervollzugsetzung einer staatlichen Maßnahme durch das Gericht einen größeren Schaden anrichtet, wenn sich die Maßnahme als später verfassungsgemäß erweist, als die vorläufige Beibehaltung der Maßnahme, wenn sie sich später als verfassungswidrig erweist. Das Gericht bejaht potentiell höheren Schaden durch die Außervollzugsetzung, da in diesem Zeitraum vulnerable Gruppen, insbesondere auch solche, die durch ein geschwächtes Immunsystem durch eine eigene Impfung keine hinreichende Prävention betreiben können, einem erhöhten Risiko der Ansteckung durch ungeimpfte Pflegekräfte ausgesetzt seien. Es stellt lapidar fest, dass dies auch im Hinblick auf die Omikronvariante gelte, da die Impfstoffe hier einen „relevanten – wenngleich mit der Zeit deutlich nachlassenden – Schutz vor einer Infektion bewirken“ (BVerfG – Beschluss vom 10.2.22 in der Sache 1 BvR 2649/21). Das Gericht geht in seiner Entscheidung auf die exorbitanten Infektionszahlen in Deutschland, aber auch anderen Ländern mit signifikanter Impfquote nicht ein. Einige Virologen äußerten sich dahingehend, dass die Impfung eine Infektion zwar nicht verhindere, jedoch das durch die Impfung vorbereitete Immunsystem dafür sorge, dass die Infektion und damit auch der Zeitraum der Weitergabe des Virus verkürzt werde. Das Gericht diskutiert jedoch nicht, ob es tatsächlich einen Unterschied macht, ob eine Pflegekraft an drei oder vier von fünf Tagen für Infektionen unter Bewohners sorgen kann. Für die betroffenen Arbeitnehmer wiederum bejaht das Gericht zwar einen erheblichen Eingriff, da die Impfung jedenfalls irreversibel ist und „im Einzelfall auch schwerwiegende Impfnebenwirkungen, die im Extremfall auch tödlich sein können“, auslösen kann. Allerdings könnten die Betroffenen dem beispielsweise mit einem Berufswechsel entgegen treten, der nach derzeitigem Stand nicht irreversibel ist.

Allgemeine Impfpflicht oder man ist nur so alt, wie man sich fühlt

Wenn nun ein Berufswechsel zumindest für die Folgenabwägung im Eilverfahren maßgeblich ist, dürfte die Diskussion um die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht für alle ab dem 18. Lebensjahr, die sich ebenfalls in der geschilderten Woche mit der Vorlage eines Gesetzesentwurfes durch einzelne Mitglieder des Bundestages um den Gesundheitsexperten der Grünen Janosch Dahmen weiter konkretisiert hat, verfassungsrechtlich spannend werden. Einen Beruf mag man in späteren Jahren noch wechseln können, ewig jung zu bleiben, ist dagegen deutlich anstrengender.

Abb.(PDF): Impfspritze