Politische Berichte Nr.2/2022 (PDF)08
EU-Politik

Auf den Weg gebracht! Das Europäische Lieferkettengesetz

Rolf Gehring (Brüssel)

Der gewerkschaftliche und der gesellschaftliche Kampf hat eine ganze Reihe von Gestaltung- bzw. Rechtsebenen zur Einschränkung dessen, was klassisch als exklusive Verfügungsmacht der Kapitaleigner gefasst wurde, hervorgebracht: Tarife, Betriebsverfassung, Betriebsvereinbarungen, gesetzliche Einschränkungen für wirtschaftliche Tätigkeiten und vieles mehr. Dieser Kampf fand und findet in vielen Ländern statt, parallel hat sich auch eine länderübergreifende Regelungsebene entwickelt. Internationale Konventionen und Vereinbarungen, insbesondere seitens der ILO, stellen weltweit Arbeitnehmerrechte und Menschenrechte sicher, es existieren europäische Betriebsräte und es gibt internationale Konzernvereinbarungen (laut Kommission: 321 Vereinbarungen mit internationalem Geltungsbereich, die mit multinationalen Konzernen geschlossen wurden, https://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=978&langId=de). Diese Vereinbarungen regeln die unterschiedlichsten materiellen Gegenstände, bis hin zu entgeltrelevanten Aspekten. Die ILO will nun den Arbeitsschutz zu einem weiteren Arbeitnehmergrundrecht ausbauen. Die Diskussionen um die Verantwortung der Unternehmen in ihren Lieferketten fokussiert auf die Wahrung von Menschen- und Arbeiterrechten im internationalen Wirtschaftshandeln.

In ihrer Einleitung zu dem nun vorgelegten Richtlinienentwurf zur „Verantwortung der Unternehmen in ihren internationalen Wirtschaftsbeziehungen“ legt die Kommission dar, dass sowohl der Rat (2020) als auch das Europäische Parlament (2021) die Kommission ausdrücklich aufgefordert hatten, im Bereich der Unternehmensverantwortung gesetzgeberisch aktiv zu werden.

Ausgangspunkte waren Bilder von Kinderarbeit in Steinbrüchen, die an Sklavenhaltung erinnerten, oder auch die Bedingungen in Textilfabriken, in denen Menschen verbrennen, weil sie die Gebäude nicht verlassen können. Die Kette von Beispielen wäre sehr lang. Die bisherigen rechtlichen Ergebnisse dieser Bewegung für eine rechtlich verankerte Verantwortung der Unternehmen in internationalen Verflechtungen und Lieferketten fasst die Kommission in einer Fußnote zum Richtlinienentwurf zusammen: Bisher haben Frankreich (Loi relative au devoir de vigilance, 2017) und Deutschland (Sorgfaltspflichtengesetz, 2021) horizontale Rechtsvorschriften zur Sorgfaltspflicht eingeführt, andere Mitgliedstaaten (Belgien, Niederlande, Luxemburg und Schweden) planen dies in naher Zukunft, und die Niederlande haben ein zielgerichteteres Gesetz über Kinderarbeit eingeführt (Wet zorgplicht kinderarbeid, 2019).

Der jetzt von der Kommission trotz erheblicher Widerstände aus dem Arbeitgeberlager vorgelegte Entwurf für eine Europäische Richtlinie erweitert die materielle Geltung um den Bereich „Umwelt“, und die Kommission führt aus, dass die Regelungen im gesamten Wirtschaftsrecht der Union und in diesbezüglichen Programmen und Initiativen der Kommission gelten sollen.

Geltungsbereich, Sorgfaltspflichten …

Artikel 2 des Entwurfes regelt den Geltungsbereich, der in etwa Folgendes umfasst: Die Bestimmungen gelten für

Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten (zum Vergleich: das deutsche Gesetz hat aktuell einen Schwellenwert von 3000, ab 2024 dann 1000) und einem Jahresumsatz oberhalb von 150 Millionen Euro. Leiharbeiter werden als Beschäftigte mitgezählt.

  1. Unternehmen mit mindestens 250 Beschäftigten und einem Umsatz von 450 Millionen Euro, wenn sie in einer der genannten, für Verstöße anfälligen („mit hohem Schadenspotential“) Branchen tätig sind. (Hier nicht abschließend aufgelistet.) | Herstellung von Textilien, | Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Fischerei, Lebensmittelgroßhandel, Holz | Gewinnung mineralischer Ressourcen und deren Großhandel, Herstellung von Grundmetallerzeugnissen, Bauprodukte.
  2. Unternehmen aus Drittstaaten, deren Umsatz über 40 Millionen Euro liegt oder zwischen 40 und 150 Millionen Euro, wenn sie in einem der prekären Sektoren tätig sind.

Die Sorgfaltspflichten sind im Artikel 4 gelistet und werden in den folgenden Artikeln dann im Einzelnen operationalisiert. Artikel 4: „…

  1. Einbeziehung der Sorgfaltspflicht in ihre Unternehmenspolitik nach Artikel 5;
  2. Ermittlung tatsächlicher oder potenzieller negativer Auswirkungen nach Artikel 6;
  3. Vermeidung und Abschwächung potenzieller negativer Auswirkungen, Behebung tatsächlicher negativer Auswirkungen und Minimierung ihres Ausmaßes nach den Artikeln 7 und 8;
  4. Einrichtung und Aufrechterhaltung eines Beschwerdeverfahrens nach Artikel 9;
  5. Überwachung der Wirksamkeit ihrer Strategien und Maßnahmen zur Erfüllung der Sorgfaltspflicht nach Artikel 10;
  6. öffentliche Kommunikation über die Sorgfaltspflicht nach Artikel 11.“

Es besteht Berichtspflicht, und die Unternehmen müssen Bevollmächtigte benennen. Personen oder Organisationen können Beschwerden vorbringen. Artikel 9 nennt hier Betroffene oder potentiell Betroffene, Gewerkschaften, zivilgesellschaftliche Organisationen, die in der betroffenen Wertschöpfungskette aktiv sind. Sie können sich an eine von den Ländern zu benennende Aufsichtsbehörde wenden. Die Aufsichtsbehörden haben relativ weitgehende Rechte der Kontrolle, bei der Initiierung von Maßnahmen, aber auch der Verhängung von Sanktionen. Die zivilrechtliche Haftung der Unternehmen ist aufgenommen, die konkrete Ausgestaltung aber an die nationale Ebene verwiesen, wie insgesamt viele Fragen der konkreten Ausgestaltung an die nationale Ebene delegiert werden.

Gewerkschaftliche Kritik

Gewerkschaftliche Kritik am vorgelegten Entwurf fokussiert vor allem auf die fehlende direkte Beteiligung der Gewerkschaften und der Betriebsräte bei der Umsetzung der unternehmerischen Pflichten, den fehlenden Bezug auf europäische Rechtsgüter im Bereich der Arbeitnehmerrechte oder die Unklarheit, welche unternehmerischen Rechtsformen durch die Richtlinie abgedeckt bzw. nicht abgedeckt sind. Auch die Beschränkung auf „etablierte“ Geschäftsbeziehungen bleibt etwas unklar.

Bezüglich der Kritiken verweist die Kommission nicht ganz unberechtigt darauf, dass das Gesetz weltweite Geltung haben wird und die EU nicht einfach Rechtsgüter exportieren kann. Außerdem würde natürlich der europäische Rechtsbestand den Rahmen für die Richtlinie bilden, bestehende Beschäftigten- und Gewerkschaftsrechte behielten ihre Geltung.

Wahrscheinlich wird es bei den nun anstehenden Verhandlungen zwischen Parlament, Rat und Kommission aber wohl eher darum gehen, die doch weitreichenden Bestimmungen des Entwurfs zu verteidigen. Und am Ende dürfte es sowieso viel mehr darum gehen, eine vernünftige gesellschaftliche Praxis rund um dieses neue Rechtsgut zu entwickeln.

Richtlinienentwurf und Anhang: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52022PC0071&from=EN

Begleitet wurde der Richtlinienentwurf durch eine Mitteilung der Kommission zu Gute Arbeit weltweit. Fokus: Bekämpfung von Zwangs- und Kinderarbeit: Euro-Lex – 52020DC0066 – EN – Euro-Lex (europa.eu)