Politische Berichte Nr.2/2022 (PDF)19
Gewerkschaften/Soziale Bewegung

Gewerkschaftliche Solidarität im Zeichen des Angriffskrieges

Olga Losinskaya von der Marine Transport Workers Trade Union of Ukraine (MTWTU), die 80 000 Beschäftigte vertritt, hat auf der Sitzung des Verdi-Gewerkschaftsrates, das oberste ehrenamtliche Gremium von Verdi., am 24. März 2022 in Berlin eine Rede gehalten. Sie schildert anschaulich die Folgen des Krieges und die gewerkschaftliche Solidarität. Außerdem zeigt die Rede aus einer weiteren Perspektive, warum der Zugang zum Meer für die Ukraine so wichtig ist. Ukrainische Seeleute stellen laut Olga Losinskaya „die fünftgrößte maritime Beschäftigtengruppe weltweit und sie sind die zweithäufigste Nationalität auf Schiffen deutscher Eigentümer.“ Die Rede ist zur Veröffentlichung freigegeben, übersetzt wurde sie von Birgit Ladwig.

Olga Losinskaya, MTWTU, DOK

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen!

Danke dafür, dass ich in diesem wunderschönen und friedlichen Deutschland aufgenommen wurde, und dafür, dass ich die Gelegenheit habe vor Euch allen zu sprechen … Genau wie Verdi ist meine Gewerkschaft Mitglied in der ITF International Transport Workers Federation und ETF European Transport Workers Federation. Ich bin nun seit über elf Jahren Gewerkschaftssekretärin; meine Hauptaufgabe ist es Ansprüche ukrainischer Seeleute im Zusammenhang mit Arbeitsrechtsverletzungen zu bearbeiten, die Mitglieder meiner Gewerkschaft sind. Meine Gewerkschaft, die MTWTU, wurde 1992 gegründet, und trotz ihres kurzen Bestehens ist es ihr gelungen, sehr schwere Prüfungen zu bestehen, die in ihren Zuständigkeitsbereich fielen. Das waren die Ereignisse des Jahres 2014, als unsere Gewerkschaft während der gewaltsamen Konflikte in Kiew und Odessa als Ergebnis eines Brandes ihre Büros in den beiden Städten verlor. Dies war auch ein Jahr, in dem wir ein Dutzend unserer Gewerkschaftsorganisationen verloren, ebenso wie einen Großteil unserer Mitgliedschaft, die auf dem Gebiet der nun besetzten Krim wohnen … In der neuen Wirklichkeit von 2022 mussten wir alle Ressourcen, über die wir verfügten, mobilisieren, und auch um internationale Hilfe unserer Schwestergewerkschaften, Wohltätigkeitsorganisationen und ausländischer Arbeitgeber ersuchen, um in der Lage zu sein, den ukrainischen Seeleuten, Hafenarbeitern und ihren Familien Unterstützung zukommen zu lassen.

Die MTWTU hat zusammen mit dem von Gewerkschaften gegründeten Wohlfahrtsfonds Mortrans sofort auf die Herausforderungen reagiert – an den ersten Kriegstagen starteten wir großflächige Evakuierungsaktivitäten, damit die Familien der Seeleute und Hafenarbeiter aus den am stärksten betroffenen Gebieten sichere Orte erreichen können. An dieser Stelle sollte ich auch das große Stück Arbeit erwähnen, das von Verdi und der HHLA, der Hamburger Hafen und Logistik AG, gestemmt wurde, die Familien von Hafenarbeitern evakuierten, die bei einer Tochtergesellschaft der HHLA im Hafen von Odessa in der Ukraine – „Container Terminal Odessa“ – angestellt und ebenfalls Mitglieder meiner Gewerkschaft sind. Ihre Familien konnten erfolgreich nach Rumänien und Deutschland evakuiert werden, wo sie sich immer noch bis heute in Sicherheit befinden. Unsere Gewerkschaft strebt an gezielte Unterstützung zu leisten, wo immer wir die Gelegenheit haben das zu tun.

Dabei handelt es sich um die Auslieferung notwendiger Lebensmittel und Vorräte in schlecht zugänglichen Gebieten der Ukraine und in die am meisten von Mangel betroffenen Städte, das ist die individuelle Hilfe für Familien von Seeleuten und Hafenarbeitern, die in andere europäische Staaten umsiedelten – Unterkunftssuche, Bereitstellung von Logistik, Hilfe bei der Kommunikation mit Behörden, Übersetzungen, Beratung zu örtlichen Flüchtlingsregelungen und so weiter. Das alles wäre nicht möglich ohne die umfassende Unterstützung der ausländischen Gewerkschaften, unter diesen natürlich unsere Kolleginnen und Kollegen von Verdi, deren Hilfe gar nicht überschätzt werden kann.

Ukrainische Seeleute stellen die fünftgrößte maritime Beschäftigtengruppe weltweit und sie sind die zweithäufigste Nationalität auf Schiffen deutscher Eigentümer. Wegen der Bekanntgabe der Mobilisierung (zur Armee bzw. zur Landesverteidigung, BL) und der Verhängung des Kriegsrechts, das es Männern im Alter zwischen 18 und 60 Jahren untersagt, die Ukraine zu verlassen, werden unsere Seeleute nun davon abgehalten ihre Arbeitspflichten auf ihren Schiffen zu erfüllen und die globalen Schifffahrtsverbindungen zu sichern.

Unterstützt von der ITF forderte die MTWTU den ukrainischen Präsidenten dazu auf, diese Beschäftigtengruppe von den Ausreisebeschränkungen auszunehmen, was nun auch von den zuständigen Stellen umgesetzt wird.

Unsere Gewerkschaft hat auch Vorschläge für die staatlichen Behörden der Ukraine entwickelt, die eine Liste mit dringenden staatlichen Unterstützungsmaßnahmen beinhaltet, inklusive solcher, die die laufenden und zukünftigen Beschäftigungsverhältnisse und die Berufsgruppe ukrainischer Seeleute im Dienst der weltweiten Schifffahrt regulieren. Weil Seeleute jetzt noch der Ausreisebeschränkung unterliegen, sind Hunderte Crew- Wechsel durcheinandergebracht worden, und die Seeleute sind nicht mehr in der Lage den Lebensunterhalt für ihre Familien zu verdienen.

Zusätzlich kommt erschwerend hinzu, dass das Banksystem der Ukraine seit Februar nicht mehr in der Lage ist, die Gehälter der Seeleute zu überweisen.

Demzufolge haben der Wohlfahrtsfonds und die MTWTU bereits ungefähr 200 individuelle dringende Bitten um finanzielle Unterstützung bearbeitet, die wir von Seeleuten und ihren Familien erhielten, die einer schwierigen finanziellen Situation gegenüberstehen.

Innerhalb der Gewerkschaft machen wir weiter mit der Erfüllung unserer normalen Pflichten, wie der Bearbeitung von Ansprüchen ukrainischer Seeleute, die derzeit an Bord von Schiffen weltweit sind, und die die Verletzung der Arbeitsrechte der Seeleute betreffen, wie sie in den Arbeitsverträgen, den geltenden Tarifverträgen, im Flaggen- und internationalem Arbeitsrecht festgelegt sind.

Wir helfen ausländischen Seeleuten in ukrainischen Häfen – es befinden sich derzeit 94 Schiffe in unseren Häfen –, indem wir den Evakuierungsablauf der ausländischen Crews begleiten, indem wir medizinische Hilfe für durch militärische Angriffe verletzte Personen leisten, indem wir sicherstellen, dass ausreichende Vorräte für die Versorgung der Mannschaften ausgeliefert werden, indem wir die Rechte der Seeleute bezüglich ihrer vereinbarten Ansprüche durchsetzen. Die Gewerkschaft und der Wohlfahrtsfonds erhalten auch massive humanitäre Hilfe aus Europa – Hunderte Kilogramm an Hygieneprodukten, Kleidung und Schuhe, Nahrungsmittel,

Weil die Zukunft meines Landes, meines Volkes und insbesondere meiner Gewerkschaftsmitglieder unsicher bleibt, – und es ist auch unklar, welche Herausforderungen vor uns liegen –, ist es unser Hauptziel weiterhin die notwendige Unterstützung für unsere Mitglieder und deren Familien zu gewährleisten. Und das heißt, dass wir alles möglich machen wollen, um abzusichern, dass die notwendigen Ressourcen da sind, um ihre Bedarfe abzudecken.

Deshalb nehmen wir dankbar jede Gabe und jede finanzielle Hilfe an, die an die Bankverbindung des MTWTU Wohlfahrtsfonds MORTRAMS überwiesen wird. (…)

Abb. (PDF): Logo der Marine Transport Workers Trade Union of Ukraine (MTWTU),