Politische Berichte Nr.2/2022 (PDF)21
Rechte Provokationen - Demokratische Antworten

Gedenken an 1.616 KZ-Häftlinge in den Frankfurter Adlerwerken

Ulla Diekmann, Frankfurt, LAGG e.V.

Am 22.8.1944 wurde im Frankfurter Stadtteil Gallus, auf dem Gelände der Adlerwerke ein Konzentrationslager mit dem Decknamen Katzbach in Betrieb genommen. Die Adlerwerke waren im Nationalsozialismus ein Rüstungsbetrieb. Sie wurden von der SS mit KZ-Häftlingen für die Produktion versorgt. 1616 Zwangsarbeiter erlitten hier eine unbeschreibliche Hölle. Nur wenige von ihnen überlebten. Sie sind verhungert, erfroren, an nicht behandelten Krankheiten gestorben, sie wurden erhängt, erschlagen oder erschossen oder wurden während der Todesmärsche umgebracht. Die meisten Häftlinge wurden bei der Niederschlagung des Warschauer Aufstand von 1944 festgenommen und in das KZ Katzbach verschleppt.

Am 24. März 1945 trieb die SS 350 Häftlinge quer durch Frankfurt über Hanau, Schlüchtern und Fulda bis nach Hünfeld, von wo sie in Güterwaggons gepfercht ins KZ Buchenwald transportiert wurden. Diesen 120 Kilometer langen Todesmarsch überlebten vermutlich nur 280 von ihnen. Von Buchenwald schickte sie die SS ins KZ Dachau, wo wohl nur 40 Gefangene lebend ankamen.

Der Verein LAGG (Leben und Arbeiten in Gallus und Griesheim) ist aus einem Selbsthilfeverein von Betriebsräten und Beschäftigten der ehemaligen Adlerwerke entstanden. Seit seiner Gründung 1992 hat er sich u.a. zum Ziel gesetzt, das Konzentrationslager in den Adlerwerken nach jahrzehntelanger Leugnung und Verharmlosung zu einem festen Bestandteil der Erinnerungskultur Frankfurts zu machen. Einen Teilerfolg hatte der Verein mit der Forderung nach Entschädigung der damals noch lebenden ehemaligen Häftlinge erzielt, ein weiterer Erfolg ist jetzt die Errichtung einer Gedenk- und Bildungsstätte in den ehemaligen Adlerwerken. Diese wurde am 25. März 2022 eröffnet und trägt den Namen „Geschichtsort Adlerwerke – Fabrik, Zwangsarbeit, Konzentrationslager“.

Durch eine von der Stadt finanzierte Recherche sind inzwischen alle Namen, Geburtsdaten, Geburtsorte, Berufe und Herkunftsländer der KZ-Häftlinge bekannt. Aus diesem Grund organisierte der LAGG am 19. März, dem Samstag vor dem 77. Jahrestag des Todesmarsches, eine Gedenkaktion für alle 1616 KZ-Häftlinge. Es beteiligten sich über 1616 Menschen aus Frankfurt und Umgebung mit jeweils einem selbstgemachten Schild für einen der Häftlinge. Sie bildeten eine mehr als 2,5 km lange Reihe entlang des Mains. Dabei waren Jung und Alt; Menschen aus verschiedensten religiösen Gemeinden, mit den unterschiedlichsten familiären Wurzeln und den unterschiedlichsten Berufen. Viele Künstler*innen waren darunter: Theaterensembles, Musiker*innen und bildende Künstler*innen; viele Omas gegen Rechts, sogar aus Gießen; viele Motoradfans der Kuhlen Wampe, sogar aus Marburg; eine Nachbarschaftsplattform war gut vertreten; Schüler*innen; Student*innen; Politiker*innen fast aller Parteien aus der Stadt Frankfurt und vom Land Hessen. Große Unterstützung gab es von Gewerkschaften und Betriebsrät*innen und durch den gut vernetzten Stadtteil Gallus. Vertreten war auch das polnische Generalkonsulat durch den Konsul und die Vizekonsulin, die extra aus Köln angereist waren und die Kulturdezernentin Dr. Ina Hartwig.

Wladyslaw Jarocki, einer der Überlebenden, die mehrfach in Frankfurt waren, drückte die Bedeutung der Namen im Zusammenhang mit seiner Befreiung, so einfach aus. Er sagte: „Wir waren frei. Wir kehrten zu Namen und Vornamen zurück.“

Zygmunt Swistak überlebte das KZ Katzbach, das Sterbelager Vaihingen und wurde im KZ Dachau befreit. 1948 ist er nach Australien ausgewandert. Er ist einer der letzten zwei heute noch lebenden Häftlinge aus Frankfurt. Mit heute 98 Jahren hat er uns eine Nachricht zukommen lassen: „Ich bin tief bewegt und sehr berührt von der Großartigkeit dieser Aktion. So viel öffentliches Interesse zu gewinnen ist enorm und ich danke Ihnen, dass Sie dies möglich gemacht haben. Es bedeutet mir sehr viel, dass alle Gefangenen anerkannt werden und dass an diesem Tag so nachdrücklich an sie erinnert wird. Ich bedauere, dass die vier anderen Überlebenden, die mit mir vor einigen Jahren in Frankfurt waren, inzwischen gestorben sind und dieses Ereignis nicht mehr erleben können. Ich danke allen Beteiligten dafür, dies möglich zu machen und freue mich auf Fotos von dieser Aktion. Das ist eine Erinnerung, die ich ins Grab mitnehmen werde.“

Abb. (PDF): Verwendung der Fotos Nr. 1, 2 und 3 – 1616 Menschen gedenken der 1616 KZ-Gefangenen in den Adlerwerken in Frankfurt a.M. © Fotoloft-MaciejRusinek sowie Nr. 4 – Gedenken mit selbst gestalteten Tafeln am 19.3.22 © Fototeam Hessen– mit freundlicher Genehmigung.